Rechtsfreier Raum Internet? Wenn sich Kinder strafbar machen

Wenn in Messenger-Gruppen Nacktfotos oder Hakenkreuze verschickt werden, können sich Heranwachsende strafbar machen. SCHAU HIN! erklärt was Eltern tun können, um ihre Kinder zu schützen.

Der Klassenchat, die WhatsApp-Gruppe für das nächste Treffen im Park oder den Gruppenvortrag – all diese Kanäle bieten Jugendlichen die Möglichkeit, nicht nur inhaltlich relevante, sondern auch unangemessene Inhalte mit größeren Personengruppen zu teilen. Auf diesem Weg können neben Gewaltvideos und Stickern mit rechtsextremen Inhalten auch Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen in Gruppenchats gelangen. Viele Heranwachsende wissen nicht, dass sie eine Verantwortung tragen, wenn sie mit solchen Inhalten in Berührung kommen. Eltern sind in diesem Fall eine wichtige Instanz, sie dafür zu sensibilisieren. Sie können ihren Kindern helfen, indem sie ihnen frühzeitig erklären, dass ihr digitales Handeln Konsequenzen hat. Es gilt, ihnen ebenso wie in der realen Welt Grenzen aufzuzeigen, bei deren Überschreitung aus Spaß Ernst wird.

Sexting oder Missbrauchsdarstellung

Dem neuen Freund ein freizügiges Bild senden oder dem Mädchen aus der Schulklasse ein Foto nach dem Duschen – oftmals sind es die Jugendlichen selbst, die intime Bilder von sich in privaten Chats versenden. Rund 20 Prozent der Zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen gaben in einer Studie zur Online-Erfahrung von Neun- bis 17-Jährigen des Hans-Bredow Instituts an, in den vergangenen zwölf Monaten sexuelle Nachrichten geteilt, aber auch selbst versendet zu haben, darunter auch Bild- und Videomaterial. Stellen Kinder und Jugendliche pornografische Materialien von sich selbst her, so fällt dies unter den Begriff des Sexting und ist an sich nicht strafbar. Eltern sollten ihren Kindern jedoch bewusst machen, dass solche Bilder schnell zum Risiko werden können, wenn die EmpfängerInnen die Bilder nach einem Streit oder einer Trennung weiterversenden.

Wird ihr Vertrauen missbraucht und der/die EmpfängerIn des Bildes teilt es ungefragt weiter, so macht diese/r sich des sexuellen Missbrauchs strafbar. Kinder, deren Bilder ungewollt auf die Handys Dritter geraten, werden so nicht nur Opfer sexuellen Missbrauchs, sondern können auch Opfer von Cybermobbing und Sextortion werden. Bekommen Kinder und Jugendliche ein Bild zugesendet, welches den Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen beinhaltet, ist ihnen oft nicht bewusst, dass es sich um etwas Illegales handelt. Sie können sich nicht nur beim Teilen des Inhaltes strafbar machen – auch der Besitz, gewollt oder ungewollt, ist rechtswidrig und kann somit Konsequenzen nach sich ziehen. 2019 registrierte die Polizei insgesamt 12.262 Fälle von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen. Demnach sind die Zahlen um 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Waren 2018 26 Prozent der TäterInnen unter 21 Jahren, sind es 2019 schon 41 Prozent. Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, erklärt auf einer Pressekonferenz am 11. Mai 2020 zur Vorstellung der Zahlen kindlicher Gewaltopfer, dass er keine pädosexuellen Tendenzen als Motive sähe, sondern vielmehr Gedankenlosigkeit sowie fehlende Aufklärung. Ihnen droht eine strafrechtliche Verfolgung im Rahmen des Jugendstrafrechts. Eltern können dem vorbeugen, indem sie ihren Kindern einen verantwortungsvollen Umgang nicht nur mit den eigenen, sondern auch mit ihnen anvertrauten Bildern beibringen und ihren Kindern als AnsprechpartnerInnen zur Verfügung stehen.

Gewalt als Unterhaltungstrend

Auch Gewaltdarstellungen finden immer öfter ihren Weg auf die Smartphones von Kindern und Jugendlichen. Laut Strafgesetzbuch fallen darunter Inhalte, die grausame oder unmenschliche Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder entwürdigend darstellen. Diese reichen von Tierquälereien, über gewaltpornografische Aufnahmen, bis hin zu Aufnahmen von Schlägereien oder Tötungsdelikten. Strafbar machen sich hierbei nicht nur diejenigen, die ein solches Video aufnehmen, sondern auch die Personen, die es besitzen, teilen, veröffentlichen oder gar an Minderjährige weiterversenden.

Kinder, die mit Gewaltvideos beispielsweise in Klassenchats konfrontiert werden, gehen unterschiedlich damit um. Während es die einen hinnehmen, wie ein alltägliches Phänomen, traumatisiert es die anderen. In jedem Fall aber erregt es Aufmerksamkeit, schockiert und macht Angst, denn auch emotional erproben viele Heranwachsende ihre Grenzen und die der anderen. So werden die Videos nicht nur aus Angst oder wegen der Aufmerksamkeit geteilt, sondern auch als eine Form der Mutprobe.

38 Prozent der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 13 Jahren gaben im Rahmen der JAMES-Studie 2018 an, schon einmal brutale Videos gesehen zu haben. Fünf Prozent gaben an, selbst welche versendet zu haben, bei den 14- bis 15-Jährigen sind es zehn Prozent – Tendenz steigend. Oft sind die Gewaltvideos verharmlost, mit Musik hinterlegt oder mit Emojis versehen, so dass es Jugendlichen leichtfällt, sich emotional von den Opfern zu distanzieren. Die Gefahr an den sogenannten „Happy-Slapping-Videos“ ist, dass sie Kinder und Jugendliche zum Nachahmen animieren, und somit zur Körperverletzung verleiten können.

Eltern können mit ihren Kindern über Gewalt sprechen, die ihnen potenziell im Internet, aber auch in Messenger-Gruppen begegnen kann. Lachen Kinder über genannte Inhalte, so können Eltern sie dazu anregen, das Gesehene zu hinterfragen und einzuordnen. Gemeinsam mit dem Kind ist es möglich in die Diskussion, aber auch ins Handeln zu kommen.

Rechtsextreme Inhalte

Auch rechtsextreme Inhalte kommen besonders als Sticker oder Memes immer wieder in digitalen Räumen in Umlauf. Darunter fallen Symbole, Lieder, Zahlenkombinationen, aber auch Sprüche, die der rechtsextremen Szene zuzuordnen und gesetzlich verboten sind.

Besonders Heranwachsende testen Grenzen aus, so dass die verbotenen Inhalte einen besonderen Reiz auf sie ausüben können. Oftmals mit witzigen Sprüchen, Emojis, oder Darstellungen versehen wirken sie auf einige Jugendliche belustigend und harmlos. Werden die vermeintlich harmlosen Bildchen jedoch geteilt, beispielsweise im Klassenchat, so wird daraus schnell ein Straftatbestand. Strafbar macht sich nach Strafgesetzbuch (StGB) §86a, wer Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verbreitet und sie so einem größeren Personenkreis zugänglich macht. Ebenso macht sich nach StGB §130 strafbar, wer volksverhetzende Inhalte versendet oder auch besitzt. Bereits Kinder und Jugendliche ab 14 Jahren können so für das Verbreiten dieser Inhalte strafrechtlich belangt werden. Geschichtliche und politische Aufklärung kann dem entgegenwirken.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor strafbaren Inhalten zu schützen?

  • Prävention im Unterricht und der Familie –  Eltern können ihre Kinder vor Sexting schützen, indem sie Sicherheitsregeln vereinbaren und es thematisieren.
  • Eltern, SchülerInnen und Lehrende können Regeln für den Klassenchat aufstellen und den digitalen Umgang miteinander diskutieren.
  • Kinder und Jugendliche wollen nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt begreifen lernen. Tabuthemen sollte es deshalb nicht geben. Offene Gespräche über Politik, Geschichte und Sexualität sind wichtig, um ihre Neugierde zu stillen.
  • In vielen Messengern lassen sich NutzerInnen blockieren, und auch melden – Eltern, wie Kinder können von dieser Funktion Gebrauch machen, sollten die unerwünschten Inhalte nicht aus den Chats verschwinden.
  • Im Unterricht, aber auch im privaten Kontext, sollten Kinder dafür sensibilisiert werden, welche Folgen ihr Handeln auch im Internet haben kann. Eltern sollten sie darüber aufklären, dass sie bereits ab sieben Jahren zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, strafrechtlich ab vierzehn Jahren.

Wie handeln, wenn das Kind ungewollt strafbare Inhalte zugesendet bekommt?

Sollte das eigene Kind ungewollt rechtswidrige Inhalte zugesendet bekommen, so sollten Eltern dringend das Gespräch mit den Eltern des Kindes suchen, das die Inhalte versendet hat.

Verantwortung übernehmen – ein Gang zur Polizei ist unbedingt zu empfehlen, um die Strafverfolgung möglich zu machen. Bevor die Inhalte aus Angst einfach gelöscht werden, sollte man sich bewusst machen, dass hinter jedem Bild, hinter jedem Video, ein realer Kindesmissbrauch oder eine reale Gewalttat stehen, die ohne eigenes Zutun nicht nachverfolgt werden kann.

Auf keinen Fall sollten Eltern darauf bestehen, dass ihre Kinder ihnen den strafbaren Inhalt auf das eigene Smartphone senden. Auch von eigenständigen Recherchen zum Ursprung des Inhalts ist dringend abzuraten. Besser ist es, die Polizei vor weiteren Handlungen zu informieren und nach dem weiteren Vorgehen zu fragen.

Ist man sich nicht sicher, ob es sich bei dem erhaltenen Inhalt um etwas Strafbares handelt, sollten auf keinen Fall Dritte bei der Einschätzung des Inhalts hinzugezogen werden. Besser ist es sich an eine zuständige Stelle zu werden. Eine gute Möglichkeit ist hier die internet-beschwerdestelle.de oder jugendschutz.net.

Quelle

SCHAU HIN!

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
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