Gutachten zur Weiterentwicklung der Grundschule

In ihrem neuen Gutachten „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ empfiehlt die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) wichtige Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Grundschule. Diese umfassen unter anderem die Konzetration auf Lesen, Schreiben und Mathematik.

Zentral ist die Konzentration auf basale Kompetenzen wie zum Beispiel Lesen, Schreiben und Mathematik, damit mehr Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik in der Grundschule erreichen können.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat am 09.12.2022 gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) ihr Gutachten „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ vorgestellt. Das Gutachten stellt die Diagnose und Förderung grundlegender sprachlicher und mathematischer Kompetenzen als zentrale Herausforderungen in den Mittelpunkt. Darüber hinaus formuliert die Kommission Empfehlungen zu strukturellen und organisatorischen Aspekten des Systems Grundschule.

Prof. Dr. Felicitas Thiel, Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin und Co-Vorsitzende der SWK fasst zusammen:

Die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends sind alarmierend: Wir können nicht einfach hinnehmen, dass ein wachsender Anteil an Schülerinnen und Schülern die Mindeststandards nicht erreicht. Die Grundschule muss dringend die basalen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen fokussieren. Dafür ist es erforderlich nicht nur Einzelmaßnahmen zu ergreifen, sondern eine Strategie zu entwickeln, die das gesamte System von der Schule über die Schulaufsicht bis zu den Kultusministerien in die Verantwortung nimmt. Nur so kann die Grundschule ihrem Bildungsauftrag nachkommen.“

Auch Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein spricht sich dafür aus, ein Augenmerk darauf zu legen, dass das Fundament für erfolgreiche Bildungsverläufe bereits in der Kindheit gelegt wird und unter anderem bereits Kitas mit in den Prozess einbezogen werden müssen.

Die Sprachentwicklung bereits im Kita-Alter ist ebenfalls für Prof. Dr. R. Alexander Lorz, B-Länderkoordinator und Hessischer Kultusminister, ein zentraler Punkt des Gutachtens.

Ties Rabe, A-Länderkoordinator und Hamburgs Senator für Schule und Berufsbildung spricht sich auf Grundlage des Gutachtens dafür aus, vor allem in die Grundschule zu investieren.

Erhöhung der Unterrichtsqualität auf Basis evidenzbasierter Konzepte

Im Kern empfiehlt die SWK eine Verbesserung der Unterrichtsqualität. Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und SWK-Mitglied:

„Sowohl für den sprachlichen als auch den mathematischen Bereich gibt es wirksame Unterrichtskonzepte. Diese sollten Lehrkräfte systematisch im Unterricht einsetzen, um alle Schülerinnen und Schüler zu motivieren und zu aktivieren. Dazu gehört vor allem das regelmäßige und verstehensorientierte Üben der basalen Kompetenzen im Lesen, Zuhören, Schreiben und Rechnen.“

Die Erhöhung der Unterrichtsqualität setzt zum einen ausreichende Lernzeit voraus: Für das Fach Deutsch sollten 24, für das Fach Mathematik 20 Wochenstunden in den ersten vier Grundschuljahren zur Verfügung stehen. Zum anderen empfiehlt die SWK, den Lernstand der Kinder kontinuierlich zu prüfen, mit mehreren Diagnosezeitpunkten pro Schuljahr.

Qualifizierung des pädagogischen Personals für Diagnose und Förderung

Studien belegen, dass die Qualität des Unterrichts entscheidend von der Lehrkraft abhängt. Daher ist die SWK überzeugt, dass die Professionalisierung von Lehrkräften im Studium, Referendariat und im Beruf ein entscheidender Ansatzpunkt ist, um die Unterrichtsqualität zu verbessern. „Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte erfüllen häufig nicht die Kriterien für wirksame Fortbildungen. Die Kommission empfiehlt daher die Entwicklung forschungsbasierter Fortbildungsprogramme für die Diagnose und Förderung basaler Kompetenzen in Deutsch und Mathematik, die flächendeckend implementiert werden“, so Felicitas Thiel.

Verbindliche Diagnose und Förderung schon in der Kita

Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen eindeutig den Stellenwert frühkindlicher Bildung. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die SWK eine stärkere Verbindlichkeit alltagsintegrierter Bildungsangebote in der Kita sowie die Diagnostik eines möglichen Förderbedarfs bei allen Kindern im Alter von drei bis vier Jahren. Michael Becker-Mrotzek erklärt:

„Der SWK ist bewusst, dass der Elementarbereich vor zahlreichen Herausforderungen steht, insbesondere hinsichtlich der Personalausstattung. Dennoch halten wir es für dringend nötig, zu prüfen, ob und in welcher Form Förderangebote zumindest für jene Kinder verpflichtend sein sollten, bei denen ein Bedarf festgestellt wurde. Zudem sollte der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nach Vollendung des ersten Lebensjahres konsequent umgesetzt werden.“

Mehr Investitionen für Personal und Schulen mit einem hohen Anteil an sozioökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schülern

Insbesondere hinsichtlich des Personals sieht die Kommission einen erhöhten Investitionsbedarf. Schulleitungen benötigen ausreichend Zeit für Leitungsaufgaben. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte sollten über Kooperationszeit verfügen und für ihre komplexen Aufgaben angemessen besoldet werden. Die SWK empfiehlt zudem eine datenbasierte Unterrichts- und Schulentwicklung. Für die Koordination dieser Aufgaben sind in größeren Grundschulen Funktionsstellen, in kleineren Schulen Entlastungsstunden erforderlich.

Besondere Aufmerksamkeit benötigen aus Sicht der SWK Grundschulen mit einem hohen Anteil an sozioökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schülern. „Es ist wichtig, dass Ressourcen gezielter an den Schulen eingesetzt werden, die sie benötigen. Finanzielle Mittel allein genügen aber nicht. Unterricht und Ganztag müssen auf eine wirksame Förderung basaler Kompetenzen ausgerichtet werden. Dazu ist eine datenbasierte Schulentwicklung erforderlich“, so Felicitas Thiel. Zusätzlich sollten finanzielle Zulagen und weitere Anreize geschaffen werden, um Lehrkräfte und Schulleitungen dauerhaft für die Arbeit an diesen Schulen zu gewinnen.

Die Empfehlungen auf einen Blick

  • Stärkere Ausrichtung der Angebote der Aus- und Fortbildung pädagogischer Fachkräfte auf evidenzbasierte Ansätze der Förderung sprachlicher, mathematischer und sozial-emotionaler Kompetenzen
  • Stärkere Verbindlichkeit, alltagsintegrierte Bildungsangebote zur Förderung sprachlicher, mathematischer sowie sozial-emotionaler Kompetenzen für alle Kinder zu implementieren
  • Implementation einer frühen (im Alter von drei bis vier Jahren) flächendeckenden Diagnostik zur Identifikation eines über die alltagsintegrierte Förderung hinausgehenden zusätzlichen Förderbedarfs und verbindliche Förderung bei identifiziertem Bedarf
  • Entwicklung einer Strategie zur Senkung von Zugangsbarrieren zu Angeboten der Familienbildung und zu Kindertageseinrichtungen zur Stärkung der Teilhabe an frühkindlicher Bildung für alle Kinder
  • Verankerung elternbildender Maßnahmen der Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Familien in allen Kitas
  • Verbindliche Verankerung eines Konzepts zur systematischen Diagnose und Förderung basaler Kompetenzen im Schulprogramm
  • Erhöhung der Quantität und Qualität der aktiven Lernzeit für den Erwerb sprachlicher und mathematischer Kompetenzen
  • Konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung der Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring
  • Bereitstellung von wissenschaftlich fundierten, qualitätsgesicherten diagnostischen Instrumenten und darauf bezogenen Förderinstrumenten
  • Verbindliche Verankerung eines Konzepts zur Förderung sozialer Integration und sozial-emotionaler Kompetenzen im Schulprogramm jeder Grundschule
  • Etablierung von klaren Verfahren zur systematischen Unterstützung von Lehrkräften
  • Entwicklung eines im Schulprogramm verankerten Konzepts für die Zusammenarbeit mit Eltern
  • Verankerung des Kooperationsauftrags von Lehrkräften mit weiterem multiprofessionellem Personal im Schulprogramm
  • Ländergemeinsame Entwicklung eines kohärenten phasenübergreifenden Kerncurriculums für Lehrkräfte
  • Gezielte Gewinnung und Qualifizierung von Fachleiterinnen und -leitern und Mentorinnen und Mentoren in der zweiten Phase.
  • Implementation forschungsbasierter Fortbildungsprogramme zur diagnosebasierten Förderung der basalen Kompetenzen
  • Entwicklung einer angemessenen Aufgabenbeschreibung für (kollegiale) Schulleitungen an Grundschulen
  • Entwicklung von Strukturen (Aufgabendifferenzierung) und Gewährung von (zeitlichen) Ressourcen für eine datenbasierte Schulentwicklung
  • Aktive Kompensation der Benachteiligungen von Schulen mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schülerinnen und Schüler durch eine indexbasierte Zuweisung zusätzlicher Ressourcen auf allen Ebenen
  • Entwicklung von Strategien zur Reduzierung von Segregationstendenzen

Weitere Informationen

Quelle

Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) und Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
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