Kita-Eingewöhnung: Warum Kinder Zeit für einen guten Start brauchen
Berliner Modell, Münchner Modell oder doch das Tübinger? Vielen Eltern schwirrt bei der Eingewöhnung ihrer Kinder in Krippe oder Kindergarten der Kopf. Zum Start des neuen Kita-Jahres erzählt die Fachberaterin beim Evangelischen Kita-Verband Bayern (Nürnberg), Nicole Lustig, wie eine gute Eingewöhnung gelingen und warum sie hilfreich fürs ganze Leben sein kann. Unabhängig von all den unterschiedlichen Eingewöhnungsmodellen: Zeitdruck sei kontraproduktiv, sagt die Sozialpädagogin und gelernte Erzieherin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kinder sollten in ihrem ganz eigenen Tempo in der Kita ankommen dürfen.
Wenn ein Kind neu in eine Kita kommt - egal, ob Krippe oder Kindergarten - ist das ein Meilenstein für Kinder wie Eltern. Wie gelingt eine gute Eingewöhnung?
Lustig: Für eine gelingende Eingewöhnung ist ein gutes Zusammenspiel von Kind, Eltern und Kita wichtig. Die Kita muss Kind und Eltern dabei gleichermaßen in den Blick nehmen. Denn auch für die Eltern ist es ein einschneidender Übergang, wenn sie ihr Kind außerhalb der Familie betreuen lassen. Kita-Fachkräfte müssen hier empathisch, feinfühlig und partnerschaftlich vorgehen. Eingewöhnung gelingt dann am besten, wenn sie als gemeinsamer Prozess gesehen wird.
Haben Sie da auch ganz praktische Tipps?
Ausreichend Zeit einplanen, damit die pädagogischen Fachkräfte, das Kind und die Eltern sich kennenlernen können. Die Kita sollte Eltern gut informieren, damit diese wissen, was auf sie zukommt. In der Regel sind Eltern auch sehr dankbar für Anregungen, wie sie ihr Kind bestmöglich bei der Eingewöhnung unterstützen können. Es ist zum Beispiel hilfreich, wenn sie bereits vor dem ersten Kita-Tag "kleine" Trennungen mit dem Kind üben.
Während der ersten Tage in der Kita ist es wichtig, dem Kind Zeit zu lassen, in seinem Tempo anzukommen und es dabei feinfühlig zu begleiten. Je nach Temperament und bisherigen Erfahrungen erleben Kinder diese erste Zeit sehr unterschiedlich und brauchen daher auch individuelle Unterstützung. Rituale oder Kuscheltiere von zuhause helfen da.
Sie haben den Faktor "Zeit" genannt. Wie wichtig ist der?
Eine gute Eingewöhnung ist die Basis dafür, dass Kinder Vertrauen zu Menschen außerhalb ihrer Familie aufbauen können. Diese Sicherheit ist notwendig, damit sich die Kinder auf die Kita, die anderen Kinder, die Erzieher und auf all die Bildungsangebote einlassen können. Doch das ist nicht alles: Ein guter Kita-Start hat Auswirkungen aufs ganze Leben. Das Kind ist gestärkt für den weiteren Lebensweg und entwickelt viele Kompetenzen, die es später bei Veränderungen braucht, zum Beispiel beim Übergang in die Schule.
Einige Eltern stehen wegen ihres Berufs unter Zeitdruck. Immer wieder hört man, dass eine Kita-Eingewöhnung nur drei Wochen dauern sollte: Ist Termindruck da wirklich sinnvoll?
Jedes Kind ist individuell und bewältigt Übergänge in seinem Tempo, das gilt übrigens auch für die Eltern. Daher sollte jedes Kind für seine Eingewöhnung die Zeit bekommen, die es braucht. Zeit- und Termindruck sind kontraproduktiv, da er alle Beteiligten unter Druck setzt.
Wie tolerant sollten denn Arbeitgeber in Sachen Eingewöhnung sein?
Da braucht es schon eine gewisse Toleranz und Flexibilität. Gerade in der Eingewöhnungszeit ist es sehr entlastend für Eltern, wenn sie verständnisvolle Arbeitgeber haben. Es kommt schließlich immer mal wieder vor, dass sich die Eingewöhnung länger hinzieht als geplant, weil das Kind für eine Trennung noch nicht bereit ist. Oder wenn es noch nicht so lange im Kita-Alltag durchhält und daher früher abgeholt werden muss.
Gibt es ein Alter, in dem sich Kinder leichter oder schwerer mit der Kita-Eingewöhnung tun?
Lustig: Das kommt sehr stark auf das Kind an. Manche lösen sich sehr leicht, andere brauchen mehr Zeit. Wenn noch einschneidende Veränderungen in der Familie dazukommen - Geburt eines Geschwisterkindes, der berufliche Wiedereinstieg eines Elternteils oder gar eine Trennung der Eltern -, dann beeinflusst das natürlich auch die Eingewöhnungszeit. All das sollten die Eltern der Kita natürlich mitteilen.
Was ist eigentlich die schwierigste Hürde für die Kinder? Die Trennung von den Eltern grundsätzlich, das gemeinsame Mittagessen oder der Mittagsschlaf in neuer Umgebung?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Jedes Kind ist anders. Die Trennung von den Eltern ist vor allem für Kinder, die bislang nur wenig außerfamiliären Kontakt hatten oder noch nie fremdbetreut waren, eine große Herausforderung. Für andere wiederum ist der neue "Alltag" mit Essen und Schlafen eine Hürde. Oft sind auch die kleinen Übergänge im Tagesablauf für neue Kinder eine Herausforderung, zum Beispiel wenn es vom Spielen zum Anziehen in die Garderobe geht. Wichtig ist, dass die Kita-Kräfte das Kind feinfühlig und achtsam begleiten.
Welche Eingewöhnungsmodelle gibt es denn eigentlich?
Es gibt eine Reihe von Modellen. Das bekannteste ist wahrscheinlich das sogenannte "Berliner Modell", das sich sehr stark auf die Bindungstheorie bezieht. Der Fokus liegt darauf, dass das Kind zu einer vorher festgelegten Fachkraft eine Beziehung aufbaut. Dann gibt es noch das Münchner Eingewöhnungsmodell. Dieses Modell stützt sich nicht nur auf eine festgelegte Bezugsfachkraft, sondern bezieht das gesamte Setting mit ein. Hier geht es vorrangig darum, dass Kind und Eltern den Tagesablauf und die Räumlichkeiten der Kita kennenlernen.
Die Modelle sind tatsächlich recht bekannt, mehr würden mir auf Anhieb aber nicht einfallen. Gibt es noch mehr?
In den letzten Jahren ist das sogenannte Tübinger Modell etwas stärker in den Blick geraten, das sich vor allem auf die Eingewöhnung innerhalb einer Peergroup konzentriert. Auch bei diesem Modell ist der Beziehungsaufbau zu den Fachkräften wichtig. Der Fokus liegt jedoch darauf, dass sich neue Kinder und Eltern untereinander bekannt machen und sich gegenseitig unterstützen können.
Dann gibt es noch das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell. Es ist bindungsorientiert und hat die individuellen Bedürfnisse der Kinder im Blick. Sowohl Kinder als auch Eltern werden partizipativ in den Prozess der Eingewöhnung eingebunden. Es gibt keinen festen Zeitplan, vielmehr wird auf Signale des Kindes oder des begleitenden Elternteils geachtet, ob beide bereit für eine erste Trennung sind.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Modellen?
Alle Modelle haben gemeinsam, dass sie die Trennungsphasen schrittweise ausdehnen, von anfangs nur wenigen Minuten bis hin zur angestrebten Betreuungszeit. Eine Kita sollte aber nicht starr an einem Modell festhalten, sondern sich immer auf das Kind und die jeweilige Familie einstellen. Besser als ein starres Modell ist eine individuelle Strategie, in dem Kind, Eltern und Kita zusammenwirken.
Quelle
epd Bayern - Sonntagsblatt - Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
eingestellt am 19.09.2025