Elternabend im Kindergarten – Vorschläge für die Diskussionsleitung

Helga Gürtler

Hguertler

Die Erzieherin sorgt sich vielleicht um den Fernsehkonsum und die Montagsaggressionen der Kinder. Es gibt Meinungsverschiedenheiten darüber, was verboten, was erlaubt sein sollte, wie schmutzig Kinder sich beim Spielen machen dürfen, ob alle mittags schlafen müssen. Wie geht man damit am besten um?

Hier ein paar Vorschläge dazu, wie solche kritischen Themen so aufgearbeitet werden können, dass möglichst viele Eltern nachdenklich nach Hause gehen, bereit, auch ihr eigenes Verhalten kritisch zu überprüfen.

Das einfachste ist: Man lädt sich einen Referenten/ eine Referentin ein, der/die einen klugen Vortrag hält. Hinterher dürfen noch Fragen gestellt werden. Es gibt Themen, zu denen man erst mal eine Wissensbasis braucht, um diskutieren zu können. Zum Beispiel über die Zweckmäßigkeit von Schutzimpfungen oder die Besonderheiten einer Waldorf- oder Montessori-Schule. Hier ist ein Fachreferent sinnvoll.

Aber schon aus Kostengründen kann man das nicht oft machen, es ist auch nicht unbedingt das effektivste. Wenn Eltern nur zuhören, aber ihre eigene Meinung zum Thema für sich behalten, ist die Chance einer Einstellungsänderung gering. Sie ist viel größer, wenn die Kontrahenten ihre Positionen offensiv äußern und verteidigen.

Geht es um ein kontroverses, emotional geladenes Thema, werden die Eltern womöglich dem Referenten misstrauen. Sie gehen (mit Recht?) davon aus, dass die Erzieherin ihn schon so ausgesucht haben wird, dass er ihre Position stützt. Das heißt: Eine engagierte Diskussion ist meistens effektiver als ein noch so kluger Vortrag.

Zur Diskussion anregen

Gehen wir also davon aus, Sie wollen so ein strittiges Thema in eigener Regie, ohne einen Referenten behandeln. Wie können Sie das machen?

Halten Sie keinen Vortrag, in dem Sie Ihre Position darlegen und begründen, auf mögliche Fragen und Kritik eingehen, bevor die überhaupt geäußert werden. Das drängt Eltern in die Opposition, das erschlägt ihren Mut zum Diskutieren.

Die Einführung in ein strittiges Thema sollte nicht Fragen beantworten, sondern Fragen aufwerfen, die zum Diskutieren anregen. Das Ergebnis muss offen bleiben, damit jede Position geäußert werden kann. Also etwa so:

  • Lesen Sie eine Glosse oder Kurzgeschichte zum Thema vor, die das Ganze humoristisch auf die Schippe nimmt. Sammeln Sie solche Glossen aus Zeitungen. Viel Anregendes findet sich auch in Büchern wie: “Der kleine Erziehungsberater” von Axel Hacke.
  • Sie können auch eine Szene schildern, die sich im Kindergarten abgespielt hat, ohne zunächst dazu Stellung zu nehmen.
  • Oder listen Sie einfach Positionen auf, die man zu dem strittigen Thema haben kann – Was die einen sagen, was die anderen, was dafür spricht, was dagegen, wie eine Sache aus Erwachsenensicht aussieht, wie aus Kindersicht.
  • Formulieren Sie ruhig etwas überspitzt und provokant, das reizt zum Diskutieren. Sie dürfen es nur nicht so einseitig tun, dass Vertreter einer Position gar nicht erst wagen, sich zu äußern.
  • Beobachten Sie die Leute – wer lacht, wer schnappt nach Luft, wer macht Anstalten zu widersprechen?
  • Hören Sie auf zu reden, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, wenn die Eltern anfangen zu diskutieren, auch wenn Sie noch nicht alles losgeworden sind.

Ziel der Diskussion ist, die Eltern zum Nachdenken anzuregen, zu erreichen, dass sie möglicherweise ihr Verhalten ändern. Ziel der Diskussion ist nicht, dass Sie Ihre Überlegenheit vorführen, Ihr Wissen beweisen.

Diese Zurückhaltung fällt Ungeübten oft sehr schwer. Sie möchten den Eltern zeigen, dass sie was vom Thema verstehen, sich damit beschäftigt haben, viel dazu zu sagen haben. Und es ist leichter, an einem vorbereiteten Konzept entlang zu reden, als sich auf die Unwägbarkeiten einer Diskussion einzulassen. Aber Sie müssen das einfach üben. Zu Anfang geht das bei jedem und jeder mal etwas daneben!

Es ist auch leichter, sich hinter Fachbüchern oder bekannten Namen zu verschanzen, um die eigene Meinung zu untermauern. Aber das ist unfair. Eltern, die ja meistens nicht “vom Fach” sind, haben diese Möglichkeiten nicht und fühlen sich unterlegen.

  • Versuchen Sie also nicht, mit Fachwissen zu imponieren. Bleiben Sie auf gleicher Ebene mit den Eltern.
  • Berichten Sie, wenn Sie Position beziehen wollen, von eigenen Erfahrungen.
  • Belehren Sie nicht, erzählen Sie Beispiele, die für sich selbst sprechen, überlassen Sie es den Eltern, Schlüsse daraus zu ziehen.

Eltern sollen sich nie wie Schüler fühlen, die Rat annehmen, sondern wie gleichberechtigte Gesprächspartner.

Wenn andere Eltern sagen, was Sie auch sagen wollten, ist das viel effektiver.
Denn Ziel dieser Diskussionen ist es ja, Eltern zu eigenständiger Meinungsbildung anzuregen.

Wer eine bestimmte Position öffentlich vor anderen vertritt, fühlt sich außerdem im eigenen Verhalten viel stärker daran gebunden.

  • Haben Sie deshalb den Mut, sich zurückzuhalten.
  • Ertragen Sie Schweigephasen, füllen Sie sie nicht gleich mit eigenen Beiträgen.

Menschen im Gespräch können solche Schweigephasen nur schwer ertragen. Sie fühlen sich gedrängt, etwas zur Beseitigung dieses Schweigens beizutragen. Das ist der Diskussion förderlich. Wenn Sie aber selbst dieses Schweigen immer gleich auffüllen, nehmen Sie den Eltern die Chance, hier aktiv zu werden.

Dieses Sich-Zurückhalten, dieses Ertragen von Schweigen verlangt allerdings eine ziemliche Selbstsicherheit. Sonst keimt schnell Angst auf, die anderen könnten vermuten, Sie sagen nichts, weil Ihnen dazu nichts einfällt. Aber diese Selbstsicherheit können Sie nur erwerben, wenn Sie es einfach probieren und die Erfahrung machen, dass es positiv wirkt!

Um viele Anregungen zum Nachdenken zu geben, soll die Kommunikation nicht nur zwischen Ihnen und einzelnen Eltern hin- und hergehen, sondern auch möglichst viele Eltern miteinander verbinden. Beantworten Sie deshalb nicht jede Frage selbst, geben Sie sie in die Gruppe zurück: “Was denken Sie denn? Welche Erfahrungen haben Sie damit?” Auch das ist für Ungeübte wieder eine Frage der Selbstsicherheit. Eine gestellte Frage saugt geradezu eine schnelle Antwort aus Ihnen heraus, damit nur ja keiner denken kann, Sie wüssten keine. Lernen Sie trotzdem, diesem Sog zu widerstehen. Es kommt der Diskussion zugute, weil es Eltern ermutigt, selbst nach Antworten zu suchen.

Den Diskussionsverlauf strukturieren

Oft kommen Gruppen beim Diskutieren “von Hötzchen auf Stötzchen”
Man folgt relativ zufälligen Assoziationen und Gedankenverbindungen. Und gegen Schluss fragen sich dann viele:” Wie sind wir darauf eigentlich gekommen? “Für einen gemütlichen Schwatz zum Kennenlernen ist das sicher in Ordnung, für die Behandlung eines bestimmten Themas aber meist unbefriedigend. Deshalb ist es auch Aufgabe der Diskussionsleiterin, den roten Faden im Auge zu behalten.

Wenn die Diskussion abschweift – melden Sie das der Gruppe zurück. Skizzieren Sie kurz den Diskussionsverlauf, machen Sie darauf aufmerksam, wo die Diskussion vom Weg abgekommen ist. Fragen Sie die Gruppe, ob sie hier weitermachen oder zum Thema zurückkehren möchte.

Manchmal ist es gruppendynamisch erklärlich, warum so etwas passiert
Wird ein Thema zu brenzlig, retten die Teilnehmer sich auf ein” harmloseres “Nebengleis. Hat jemand das Gefühl, der Ton wird zu scharf, erzählt er etwas, was andere zum Lachen bringt. Wird die Diskussion zu anstrengend, steigt die Neigung, lockere Dönchen zu erzählen. Es ist das Recht der Eltern, das Thema zu wechseln, es soll ihnen nur bewusst sein.

Wenn die Diskussion in eine Sackgasse gerät, holen Sie sie zurück
Es gibt typische Sackgassen für Diskussionen, in denen man sich recht unfruchtbar im Kreis bewegen kann. Zum Beispiel, wenn alle über” die Anderen “reden, die falsch machen, was man selbst richtig macht, die typischerweise wieder nicht da sind… Das hat entlastende Wirkung, denn wenn man über die Schwächen anderer redet, kann man sich selbst besser fühlen, es hält einen aber auch davon ab, über sich selbst und das eigene Verhalten nachzudenken.

Oder es werden unverbindliche Allgemeinplätze ausgetauscht, mit denen jeder schnell einverstanden sein kann. Das stärkt zwar das Gemeinschaftsgefühl, hält einen aber auch davon ab, kritisch ins Detail zu gehen, in dem ja bekannterweise oft der Teufel steckt. Auch das gemeinsame Schimpfen über die heutige Zeit und das, was sie mit uns anstellt, verbindet und entlastet zwar, ist aber wenig effektiv, wenn man nicht ganz konkrete Schlüsse für das eigene Verhalten daraus zieht.

Wenn das Ende näher rückt, fassen Sie zusammen
Gegen Ende einer Diskussion sollte die Diskussionsleiterin versuchen,” den Sack zuzubinden “. Dieses Bild ist ganz brauchbar. Das, was besprochen wurde, braucht eine Hülle, die es zusammenhält, die dem Ganzen Struktur gibt, die das Erinnern erleichtert. Aus einem offenen Sack würden die einzelnen Gedanken schon auf dem Heimweg unkontrolliert herauspurzeln und auf der Strecke bleiben.

Sie können den Diskussionsverlauf noch einmal kurz zusammenfassen. Sie können Punkte benennen, die nicht zur Sprache gekommen sind, die vielleicht später wieder aufgenommen werden sollten. Sie können noch einmal auf Fragestellungen vom Anfang hinweisen und die Teilnehmer fragen, ob ihre Erwartungen befriedigt worden sind.

Die emotionale Ebene beachten
Trotz bester thematischer Aufbereitung kann es passieren, dass Teilnehmer enttäuscht oder verärgert nach Hause gehen. Denn zu einer gelungenen Diskussion gehört auch, dass die Teilnehmer sich wohl fühlen.

  • Versuchen Sie eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder sich angenommen fühlt.
  • Niemand soll sich isoliert fühlen, niemand soll sich bloßgestellt oder blamiert fühlen.
  • Ermutigen Sie jeden, sich zu äußern, aber nötigen Sie niemanden.

Manch einer äußert sich nur ungern und ist zufrieden damit, einfach zuzuhören. Das Recht muss er haben, auch wenn es nicht sehr effektiv ist. Fühlt sich jemand zu sehr bedrängt, kommt er vielleicht das nächste Mal gar nicht mehr.

Aber andere möchten gern reden, trauen sich nur nicht und sind enttäuscht, wenn ihnen keiner eine Brücke baut.

Blicken Sie Leute, die Sie zum Reden ermuntern möchten, direkt und freundlich-auffordernd an. Nicken Sie zustimmend, wenn jemand nur zögernd in Gang kommt.

Bremsen Sie Übereifrige!
Spielen sich Einzelne zu sehr in den Vordergrund, entmutigt oder verärgert das oft andere. Manchmal nehmen sie sich mehr zurück, wenn man sie freundlich darauf hinweist.

Sie können in einem solchen Fall aber auch” Körpersprache “einsetzen. Wenden Sie sich jemandem, den Sie ermutigen wollen, mit dem ganzen Körper betont zu, zeigen Sie jemandem, der sich zu sehr spreizt, eher mal die kalte Schulter. Manchmal hat man als Referent eine zu einseitige Körperhaltung – guckt ständig in die eine Richtung, übersieht die Teilnehmer auf der anderen. Achten Sie gezielt darauf, dass Sie sich allen Teilnehmern gleichmäßig zuwenden.

Sprechen Sie unterschwellige Störungen an!
Manchmal radikalisieren sich die Positionen in einer Diskussion, der Ton wird hitzig, ohne dass das von der Sache her zu verstehen ist.

  • Ist hier unterschwelliger Ärger im Spiel,
  • verhält sich einer provokativ,
  • hat jemand einen wunden Punkt berührt,
  • schwingen unausgesprochene Emotionen mit.

Achten Sie auf Ihr eigenes Gefühl. Es zeigt Ihnen oft recht genau, wo eine Störung ihren Ursprung hat.

Versuchen Sie solche unterschwelligen Störungen zu erkennen und anzusprechen. Wenn so ein Punkt nicht geklärt wird, kann er die ganze Diskussion verderben. Die Teilnehmer gehen unzufrieden nach Hause, weil sie nicht recht verstehen, was da eigentlich gelaufen ist.

Stützen Sie Angegriffene!
Manche Eltern kommen schon mit unguten Erwartungen in die Gruppe, zum Beispiel die Eltern des Jungen, der die anderen immer haut. Solche Eltern können Sie stützen, indem Sie sich zum Beispiel neben sie setzen, freundlich und ermutigend das Wort an sie richten. Alle sollten sich gleichermaßen anerkannt, niemand sollte sich an den Pranger gestellt fühlen.

Wenn Eltern sich angegriffen fühlen, gehen sie leicht in die Opposition, werden unzugänglich,” machen dicht “. Das blockiert ein offenes Gespräch.

Haben Sie den Eindruck, dass Einzelnen Unrecht geschah, dass jemand missverstanden wurde, frustriert ist? Sprechen Sie das nachträglich an.
Nicht immer können Sie solche Entwicklungen verhindern. Indem Sie Betroffene aber hinterher darauf ansprechen, teilen Sie ihnen wenigstens mit: Ich habe es bemerkt, und es hat mich gestört. Das gibt ihnen die Chance, sich noch einmal dazu zu äußern und besser damit fertig zu werden.

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Autorin

Helga Gürtler ist Diplom-Psychologin. Sie schreibt Bücher und Zeitschriften-Artikel zu Erziehungsthemen, hält Vorträge, arbeitet mit Elterngruppen und in der Fortbildung von Erzieherinnen.

Kontakt

Helga Gürtler

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Erstellt am 2. September 2003, zuletzt geändert am 9. September 2013

 

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