Sexuelle Störungen bei Männern

Rolf Gindorf

Sehr wahrscheinlich sind gelegentliche Störungen im Sexualleben unter unseren Lebensverhältnissen unvermeidlich. Nur sehr wenige Menschen können wohl wahrheitsgemäß von sich sagen, in ihrer gelebten Sexualität tatsächlich immer völlig glücklich und zufrieden zu sein. Vermutlich sind sexuelle Probleme bis zu einem gewissen Ausmaß ein fester Bestandteil menschlicher Existenz.

Aber davon unabhängig gibt es in unserem Sexualleben eine Menge Probleme, deren Lösung in Beratung oder Therapie gefunden werden kann. Denn viele Probleme bzw. Störungen beruhen auf falschen, vorurteilsbehafteten oder angstmachenden Vorstellungen oder auf falsch “gelernten”, das heißt lebensgeschichtlich erworbenen Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen.

So klagen viele Menschen etwa über so genannte “Funktionsstörungen”:

Störungen der sexuellen Funktion beim Mann:

  • Potenz-Probleme (erektile Dysfunktion)
  • vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)
  • verzögerter Samenerguss (Ejakulationshemmung)

Störungen der sexuellen Funktion bei der Frau:

  • sexuelle Unansprechbarkeit (Frigidität)
  • Orgasmusstörung
  • Scheidenverkrampfung (Vaginismus)

Dabei handelt es sich (bis auf den Vaginismus) im Grunde um zwei analoge Probleme bei Männern wie bei Frauen: um das Fehlen körperlicher Erregung (Tumeszenz-Probleme) sowie um Orgasmusprobleme (mangelnde Zeitkontrolle, Lustlosigkeit, Fehlen des Orgasmus).

Grundsätzlich sind alle diese Störungen therapeutisch behandelbar. Die Grundlagen für die so genannten “funktionalen Sexualtherapien” wurden bereits vor vielen Jahren in den Vereinigten Staaten gelegt, vor allem von Masters und Johnson. Seither wurden die therapeutischen Vorgehensweisen weltweit millionenfach angewandt, überprüft und weiterentwickelt.

Ihre erfolgreiche Praktizierung setzt eine genaue Erhebung des Befunds (Sexual-Anamnese) sowie gegebenenfalls eine vorhergehende medizinische Untersuchung voraus, um mögliche organische Ursachen der Störung abzuklären bzw. auszuschließen.

Im Folgenden werden beispielhaft die beiden am häufigsten vorkommenden sexuellen Probleme von Männern vorgestellt.
 

Was tun, wenn er immer zu früh “kommt”? Der “vorzeitige Samenerguss”

Die so genannte Ejaculatio praecox (der vorzeitige Samenerguss) ist das Problem sehr vieler heterosexueller Männer. Es ist fast nie organischer Natur. Und leider helfen da weder Tipps noch Bücher noch Medikamente noch Ärzte (in der Regel jedenfalls nicht, denn die lernen das nicht in ihrer Ausbildung) noch Selbstkontrolle noch sonstige Tricks. Sie haben nämlich in Ihrer “Sexualisation” keine (ausreichende) Kontrolle über Ihren Ejakulations-Reflex “gelernt”, d.h. lebensgeschichtlich erworben. Sie stürzen daher gleichsam blind kopfüber in den Orgasmus, ohne ausreichend auf Ihre eigenen Empfindungen und die Reaktionen Ihrer Partnerin zu achten – wie sehr viele andere Männer leider auch.

Abhilfe schafft da nur eine “funktionale Sexualtherapie” nach Masters & Johnson, in die auch Ihre Partnerin einbezogen werden müsste. Es bestehen gute Heilungsaussichten (obwohl: eine “Krankheit” ist das nicht!) bei qualifizierter Therapie und strikter Compliance, d.h. Befolgung der therapeutischen Anweisungen. Die Therapie kann ca. 15 bis 30 Sitzungen dauern.
 

Potenzstörungen – “erektile Dysfunktion”

Eigentlich müssten am Anfang einer sexualtherapeutischen Konsultation eine Reihe von konkreten, persönlichen Fragen gestellt und beantwortet werden. Dies ist aber auf einer Webseite oder auch im Rahmen eines Emails oder Briefes unpraktisch bis unmöglich. Daher müssen wir uns hier mit einer allgemeinen Darstellung verschiedener Aspekte der Problematik begnügen.

Oft kann eine Stress- oder Angstsituation eine hinreichende Ursache für Potenzstörungen sein. “Dagegen tun” können Sie dann am ehesten nichts – nämlich auf partnerbezogenen Sex solange verzichten, bis Sie selbst sich hinreichend stressfrei und lustvoll fühlen. Sie sollten sich auch überlegen, dass Sexualität nicht zwangsläufig mit Erektion (Gliedsteife) und Ejakulation (Samenerguss) verknüpft sein muss.

Klienten mit Erektionsproblemen benötigen oft zunächst einige allgemeine Erklärungen. Manches könnte auf Ihre Situation zutreffen: Es kommt ja bei Männern – nicht nur bei unerfahrenen, unsicheren und “nervösen” – gelegentlich bis ziemlich oft zu mangelhafter oder auch ausbleibender Gliedsteife. Das ist häufig durchaus im Bereich des Normalen. Erst wenn das oft oder gar (fast) immer passiert, ist es ein Problem.

Sicher haben Sie schon von der verschreibungspflichtigen (und in der Regel nicht von den Kassen bezahlten) “Potenzpille” VIAGRA gehört. In vielen Fällen kann deren Einnahme auch sinnvoll sein; das sollte aber grundsätzlich ein Facharzt (Androloge, Urologe) nach Untersuchung entscheiden. Die Ursachen einer Erektionsschwäche können aber auch in eine andere, nicht-organische Richtung deuten, die dauerhaft nicht mit Pillen therapiert werden sollte.

Der Arzt bzw. Sexualtherapeut möchte auch wissen, ob die Erektionsschwäche schon früher auftrat und vielleicht schon seit langem besteht. Ferner wird er eine Sexualanamnese (genaue Geschichte Ihrer sexuellen Erfahrungen und Gefühle) machen, um präzise analysieren und raten zu können.

Wenn Sie bei der Masturbation (ohne andere Beteiligte bzw. Zuschauer) in der Regel keine Erektionsprobleme haben, können Sie zwei Dinge annehmen: Erstens, Sie sind physiologisch (körperlich) “in Ordnung”; zweitens, Ihre Probleme rühren von seelischen Ursachen her (z.B. Stress, Selbstunsicherheit, Hemmungen, Ängsten, Schuldgefühlen, Gelangweiltsein durch die Partnerin u.a.).

Es folgen einige allgemeine Tipps für den Fall, dass Sie vielleicht Ängste haben oder sich selbst einem schädlichen Leistungsdruck aussetzen (“Verdammt, ich muss das doch schaffen!”). Oder Sie erinnern sich an die Fehlschläge von den letzten Malen und wiederholen die dann unbewusst und zwanghaft: im Weg der “sich selbst erfüllenden Prophezeiung”. Versuchen Sie dann, Ihren Sex locker zu sehen – als Spiel, ohne feste Zielrichtung, ohne Konzentration auf Orgasmus, am besten zunächst unter Verzicht auf Orgasmus. Nehmen Sie sich viel Zeit mit dem “Vorspiel”: zärtliches Streicheln am ganzen Körper; nicht sofort an “Sex” (im Sinne von Glied-/Scheide-Kontakt) denken, sondern das nur und erst versuchen, wenn die Erektion stark ausgebildet ist. Man kann nämlich Sexualität auch ohne “Beischlaf” genießen!

Wenn das alles keine Besserung bringt, dann müssen Sie einen spezialisierten Sexualtherapeuten persönlich konsultieren. Der kann Ihnen wahrscheinlich durch eine besondere Therapie helfen – durch eine so genannte “funktionale Sexualtherapie” nach Masters & Johnson, verbunden evtl. mit einem “Sensibilitäts-Training”. In bestimmten therapeutischen Schritten “entlernt” man das “falsche” (störende, behindernde) und “lernt” dafür das “richtige” Verhalten. Dazu braucht man (als Heterosexueller) eine Partnerin, mit der man zuhause bestimmte Übungen nach zuvor erteilten Anweisungen des Therapeuten macht. Die auftretenden Reaktionen werden in der anschließenden Sitzung besprochen, und man schreitet Stufe um Stufe fort, bis man eine befriedigende Sexualität auch in der Partnerbeziehung “gelernt” hat.

Die Therapiedauer ist individuell sehr unterschiedlich, liegt aber erfahrungsgemäß bei ca. 15 bis 30 Sitzungen im Wochenabstand, Regelmäßigkeit und Compliance – genaue Beachtung der therapeutischen Instruktionen – vorausgesetzt.
 

Einen Sexualtherapeuten finden

Leider gibt es aber in Deutschland nur sehr wenige qualifizierte Sexualtherapeuten, weil Sexualwissenschaft und -therapie an deutschen Universitäten keine ordentlichen Hauptfächer sind. Sie können z.B. bei der örtlichen Ärztekammer oder bei Pro Familia nachfragen, im Telefonbuch (Psychologen, Psychotherapeuten) suchen oder die Hinweise auf der Website der DGSS nutzen. Lange Wartezeiten und lange Anfahrtswege sind jedoch oft unvermeidlich.

Autor

Rolf Gindorf, Klinischer Sexologe, ist Leiter des DGSS-Instituts für Lebens- und Sexualberatung (DGSS-Institut) und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS).
 

Kontakt

Rolf Gindorf
c/o DGSS
Gerresheimer Straße 20
D-40211 Düsseldorf

Tel.: 0211/354591
Fax: 0211/360777

Email
Website
 

Erstellt am 15. Oktober 2001, zuletzt geändert am 18. März 2010

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
Logo: Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz