“Wo die Liebe hinfällt” – Binationale Familien in Deutschland
Elke Homburg
Urlaubsreisen, Arbeits- und Studienaufenthalte im Ausland, offene Grenzen. Mit steigender Mobilität wird unsere Gesellschaft immer multikultureller. Bei jeder sechsten Eheschließung in Deutschland stammt zumindest einer der Partner aus dem Ausland. Nicht mitgezählt sind die Eheschließungen mit deutscher Beteiligung im Ausland. Jedes fünfte Kind, das in Deutschland geboren wird, hat zumindest ein ausländisches Elternteil.
Nach wie vor müssen binationale Paare jedoch zahlreiche bürokratische Hürden überwinden und gegen gesellschaftliche Vorurteile ankämpfen. “Das kann ja nicht gut gehen!” – diesen Satz bekommen Menschen, die einen ausländischen Partner lieben, immer noch häufig zu hören. Die Scheidungszahlen liegen bei binationalen Ehen jedoch keinesfalls höher als bei deutsch-deutschen Ehen, wie eine Untersuchung des Verbandes Binationaler Partnerschaften zeigt. Allerdings – viele Liebesbeziehungen, die romantisch unter südlicher Sonne beginnen, erfahren nach dem Happy End vor dem Standesbeamten schneller als andere Partnerschaften die erste Ernüchterung
.Die Hürden der Bürokratie
“Unsere Liebe begann wie in einem exotischen Märchen. Im Ehealltag wurde mir schnell klar, wie unterschiedlich wir eigentlich sind” , erzählt Charlotte Kerber (der Name wurde von der Redaktion geändert). Sie hatte sich auf einer Reise nach Kuba unsterblich in Raoul verliebt. Wieder zu Hause in München trat sie zum Kampf gegen die Behörden an und setzte alles in Bewegung, um ihn nach Deutschland zu holen. Denn bevor ein Deutscher und ein Partner aus dem außereuropäischen Ausland ein gemeinsames Leben beginnen können, ist der Kampf gegen die Bürokratie zu bestehen.
Das Hin und Her zwischen Standesämtern, Ausländerbehörden und Botschaften kostet Nerven. Viele ausländische Dokumente müssen nicht nur übersetzt, sondern von den Behörden des ausstellenden Staates beglaubigt und von den deutschen Auslandsvertretungen legalisiert werden. Wenn Anwälte eingeschaltet werden müssen, um Eheverträge auszuhandeln, können schnell 1 1/2 Jahre vergehen.
“Drum prüfe, wer sich ewig bindet” , heißt es so schön. Stammt der Partner der Wahl nicht aus einem EU-Land, ist ein “Ausprobieren” nicht möglich. Erst der Trauschein bringt dem ausländischen Partner die zunächst befristete Aufenthaltsgenehmigung. Charlotte und Raoul heirateten nach einem Jahr – bei ihrem dritten Treffen – in Havanna. Nachdem der Mann ihrer Träume in ihre Zwei-Zimmer-Wohnung gezogen war, folgte schnell die Ernüchterung, nach zwei Jahren die Scheidung. Hätten die beiden Zeit gehabt, sich in Ruhe kennen zu lernen, wäre ihnen vielleicht eine große Enttäuschung erspart geblieben.
Ein Alltag voller Schwierigkeiten
Rechtlich unterstehen binationale Familien dem Ausländergesetz. Der ausländische Partner genießt beschränktes Bürgerrecht: Abgesehen davon, dass sein Aufenthaltsrecht in den ersten Jahren unsicher ist, darf er nicht wählen und findet wegen fehlender Sprachkenntnisse oder einer nicht anerkannten Ausbildung oft keinen Arbeitsplatz. Kleinigkeiten wie gemeinsame Reisen ins benachbarte Ausland werden plötzlich zum Problem. Wenn der Partner für jeden Kurzurlaub in Italien ein Visum benötigt, vergeht die Reiselust.
Raschid al Hamwi (der richtige Name ist der Redaktion bekannt) hat in Syrien Jura studiert. In Deutschland wurde sein Studienabschluss nicht anerkannt, und er war plötzlich vom Verdienst seiner Frau Sabine abhängig. In seiner Heimat undenkbar. “Ich habe mich als Versager gefühlt, mein Selbstwertgefühl war am Boden.” Sabine spürte, wie Raschid unter der Abhängigkeit litt. Und sie litt unter der Verantwortung, die sie übernehmen musste – für das Familieneinkommen und für das Wohlergehen des Partners. Der Konflikt spitzte sich zu, als ihre Tochter Leila geboren wurde. Sabine kehrte nach drei Monaten an den Arbeitsplatz zurück, Raschid wurde endgültig zum Hausmann degradiert – eine Rolle mit der er nicht klar kam. Er suchte Anerkennung im Kreis seiner Freunde. Sabine saß abends mit dem Baby allein zu Hause. Die große Liebe wich der Enttäuschung.
“Nur wer die Sehnsucht kennt…”
Das Heimweh nach der Familie und der eigenen Kultur ist besonders am Anfang groß. Wenn das Familieneinkommen beschränkt ist, bleibt der regelmäßige Heimaturlaub ein Traum. Der Deutschkurs ist der erste Schritt zur Integration in der neuen Heimat und zur Unabhängigkeit vom Partner, doch auch Kontakt zu Angehörigen der eigenen Kultur ist wichtig.
“Wie schnell das Einleben des ausländischen Partners in Deutschland gelingt, hängt stark von der familiären Situation, aber auch vom Wohnort ab” , weiß Hiltrud Stöcker-Zafari vom “Verband binationaler Familien” aus Erfahrung. In der Stadt finden Ausländer leichter Kontakt zu Landsleuten, haben eher Gelegenheit, sich in Gruppen Gleichgesinnter auszusprechen. In ländlichen Gebieten finden “Exoten” schwer Anschluss und bleiben auf den Partner fixiert.
Rassismus im Alltag
Je fremdartiger das Aussehen, je ferner die Kultur des Partners, desto häufiger wird Rassismus im Alltag zum Problem: Es ist schwerer, eine geeignete Wohnung zu finden; die Nachbarn tuscheln. Am schlimmsten aber sind oft die Vorurteile von Familie und Freunden. “Wenn wir Stress hatten, konnte ich mich nicht einmal bei meiner Freundin oder bei meiner Schwester ausheulen” , bedauert Sabine. Ihre beiden engsten Vertrauten waren von Anfang an skeptisch gewesen und hatten versucht, ihr die Beziehung zu ihrem muslimischen Freund auszureden.
Kindererziehung als Kampf der Kulturen
Zu den normalen partnerschaftlichen Problemen und den Schwierigkeiten, die sich aus dem Ungleichgewicht in der Anfangszeit ergeben, kommen oft interkulturelle Probleme: Man spricht in mancherlei Hinsicht unterschiedliche Sprachen. Im Rausch der jungen Liebe hat man nicht darüber nachgedacht, welche Stellung der Frau im Heimatland des Partners zukommt. Wie kann man sich wehren, wenn sich der exotische Liebhaber in einen Pascha verwandelt?
Besonders das Thema Kindererziehung wird leicht zum Kampf der Kulturen: Kann man einen Jungen, der in Deutschland aufwächst, eigentlich Mustafa nennen? Und wer bestimmt die Religion der Kinder?
Zwei Sprachen – Zwei Kulturen
Zweisprachigkeit ist eine Chance, aber keinesfalls eine Selbstverständlichkeit in binationalen Familien, denn ohne feste Regeln geht es nicht. Entscheidend für den Erfolg der bilingualen Erziehung ist, dass vom Kind die jeweilige Sprache einem bestimmten Elternteil zugeordnet werden kann. Eine deutsche Mutter wird also Deutsch mit dem Kind sprechen, der spanischsprachige Vater nur Spanisch. Kompliziert wird es, wenn das deutsche Elternteil die Muttersprache des Partners nicht versteht, denn so entwickeln das ausländische Elternteil und die Kinder eine Art Geheimsprache, die ein Familienmitglied ausgrenzt. Andererseits finden Kinder nur schwer Zugang zu Kultur und Familie des nichtdeutschen Elternteils, wenn sie nicht dessen Sprache erlernen.
Binationale Familien als “Global Players” von morgen
Probleme, Tränen, Missverständnisse. Aller Anfang ist schwer. Doch es lohnt sich zu kämpfen. Diese Erfahrung machte Familie Al Hamwi. Sabine und Raschid haben sich zusammengerauft, ihre Kinder Leila und Machmout sind inzwischen im Teenageralter. Raschid hat eine Ausbildung in Deutschland nachgeholt, und seit beide Partner gleichermaßen für das Familieneinkommen zuständig sind, geht es der Familie in jeder Hinsicht besser. Probleme gibt es natürlich hin und wieder wie in jeder anderen Familie auch, aber ob sie aus kulturellen oder individuellen Unterschieden resultieren, das ist oft nicht mehr eindeutig auszumachen.
Die Kinder aus binationalen Partnerschaften haben es leichter als ihr ausländisches Elternteil. Sie sprechen fließend die Sprache des Landes, in dem sie leben. Sie erwerben mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Aufwachsend zwischen zwei Kulturen erfahren sie die Vielfalt als etwas Selbstverständliches und ziehen sich aus den verschiedenen Sprachen, Religionen und Traditionen das Beste heraus.
Meist ist es die Umwelt, die das Miteinander der Kulturen erst problematisch macht. Während die Kinder sich als etwas “dazwischen” , “sowohl als auch” oder “zusätzlich” empfinden, werden sie von ihrer Umgebung häufig als “anders” , “fremd” oder “nicht dazu gehörig” abgelehnt. Gerade Heranwachsende werden häufig mit Vorurteilen von Gleichaltrigen konfrontiert und möchten lieber sein wie alle anderen.
“Irgendwie fand ich es immer spannend, dass ich Verwandte in Südamerika hatte, aber so mit 10, 11 habe ich mich plötzlich geschämt, weil mein Vater so komische Indioponchos trug” , gibt Isabella zu, deren Vater aus Peru stammt. Heute ist sie froh, in zwei Kulturen zu Hause zu sein und fließend Spanisch zu sprechen.
Binationale Familien sind interkulturelle Lebensformen im Kleinen. Sie bieten die Chance, auf natürliche Art und Weise interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln, die im Zuge der Globalisierung zunehmend gefragt sind. Fachleute setzen auf die jungen “Global Players” .
Weitere Informationen
Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V
Ludolfusstr. 2 – 4
60487 Frankfurt / M.
Tel.: 069/713756-0
Fax 069/7075092
Literaturempfehlungen
- Hallo heißt auch Salaam. Binationale über das Leben in zwei Kulturen. iaf Landesgeschäftsstelle NRW und iaf Bonn, 2. Auflage 1999 (Mehr als 30 Geschichten aus dem binationalen Leben, erzählt von Erwachsenen und Kindern)
- Kommt mit ins Tausendbäumeland! Multikulturelle Kinderbücher. iaf Bonn 2001 (Bibliographie mit Inhaltsangaben zu rund 200 interkulturellen Kinderbüchern)
- Sabine Kriechhammer-Yagmur/ Doris Pfeiffer-Pandey/ Katrin Saage-Fain/ Hildtrud Stöcker-Zafari: Binationaler Alltag in Deutschland. Ratgeber für Ausländerrecht, Familienrecht und interkulturelles Zusammenleben. Herausgegeben vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt, 6. durchgesehene Auflage 2001
- Elke Burkhardt Montanari: Wie Kinder mehrsprachig aufwachsen. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt 2000
- Die Publikationen des iaf e.V. können bestellt werden unter binationaler Verband
Autorin
Elke Homburg, M.A. ist Journalistin und Buchautorin mit langjähriger Erfahrung in der interkulturellen Vermittlung. Sie schreibt u.a. für Familienzeitschriften und hat mehrere Freizeitführer für Familien veröffentlicht.
Kontakt
Elke Homburg
Dreimühlenstr. 7
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Erstellt am 6. März 2003, zuletzt geändert am 31. März 2010