Mit einem psychisch kranken Ehepartner leben

Helene und Hubert Beitler
Beitler

 

 

 

 

Dass eine Partnerschaft gelingt, ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr und für die beiden Partner schwierig genug. Denn gelöst ist eine Paarbeziehung schnell. Nur – Auseinandergehen kann nicht das Ziel sein, insbesondere dann nicht, wenn einer der Partner an einer so schweren Erkrankung wie an einer Psychose leidet. Aus Sicht einer Psychosebetroffenen und eines Angehörigen berichten wir, was wir gemacht haben, dass unsere Beziehung trotz der schweren Erkrankung bis heute hält. Wir sind seit 1981 verheiratet und Autoren des Buches “Psychose und Partnerschaft” (s.u.).

Wir sprechen offen über wichtige Bereiche der Partnerschaft, wie Problemfelder innerhalb der Beziehung, Absprachen im häuslichen und familiären Bereich zwischen Betroffenem und Partner sowie den Angehörigen, Verwendung von Psychopharmaka, therapeutische Begleitung, Umgang mit gegenseitigen Verletzungen, Sexualität, Kinder und Familienplanung, das Sprechen nach der Krise sowie der richtige Umgang des Partners mit der Mehrbelastung. Damit werden viele Fragen beantwortet, die sich in einer Paarbeziehung ergeben, wenn einer der beiden Partner an einer Psychose erkrankt.

1. Wodurch unterscheidet sich die Beziehung zu einem psychosekranken Partner von einer “normalen” Beziehung?

Der Unterschied liegt einmal in der erhöhten Sensitivität des kranken Partners und zum anderen in der Mehrbelastung des Partners oder der Angehörigen.

Höhere Sensitivität des psychosekranken Partners: Sicher lässt sich sagen, dass der psychosekranke Mensch verletzlicher und dünnhäutiger ist als ein gesunder Mensch. Es existiert zwischen den Partnern ein deutliches Gefälle in der Sensibilität.

Hierzu möchten wir als Beispiel die Geschichte von der Prinzessin auf der Erbse anführen. Ein Prinz sucht eine Prinzessin, die er ehelichen möchte. Er findet eine geeignete Dame, ist aber unsicher, ob es sich wirklich um eine Prinzessin handelt. Daher beschließt er, sie zu testen: Er versteckt unter 100 Matratzen eine Erbse und lässt die Prinzessin darauf schlafen. Am nächsten Morgen klagt die Prinzessin, dass sie kaum habe schlafen können, weil sie etwas schrecklich gedrückt habe. An dieser schier unglaublichen Sensitivität erkennt der Prinz, dass es sich wirklich um eine Prinzessin handelt und heiratet sie.

Was in dem Märchen positiv gedeutet wird, erscheint im Alltag schwierig, denn Partnerschaft ist nicht nur schön, sondern bietet auch viel Anlass für Konflikte. Diese Konflikte können wiederum Stressoren sein, die eine Psychose auslösen. Wie das Zusammenleben mit einem hoch sensitiven Partner funktionieren kann, wird nun im Einzelnen dargestellt.

Mehrbelastung der Angehörigen: Wer mit einem psychosekranken Partner zusammenlebt, ist etwa so belastet wie ein Medizinstudent vor seinem ersten Staatsexamen – mit dem großen Unterschied, dass die Mehrbelastung des Studenten nach einigen Wochen vorbei geht, die Mehrbelastung des Angehörigen oder Partners aber für Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte bestehen bleibt (1). Es gibt jedoch Wege, die ein Angehöriger beschreiten kann, um mit dieser Mehrbelastung richtig umzugehen.

2. Problemfelder innerhalb der Beziehung

Gebiete, die zu Spannungen führen können, sind bei gesunden wie auch psychisch kranken Paaren die gleichen: Geld, Sexualität, Interessen, Erziehung der Kinder, Schwiegereltern, Treue, Ordnung.

Es ist zunächst notwendig, sich verschiedene Punkte bewusst zu machen:

  • Zwischen dem gesunden und erkrankten Partner existiert ein Gefälle in der Sensitivität, das unbeachtet dazu führt, dass der eine Partner aufgrund seiner höheren Sensitivität vom anderen häufig zutiefst verletzt wird oder dass der “dickfelligere” Partner das Gefühl bekommt, ständig hinter dem anderen Partner zurückstecken zu müssen. Die beiden Partner sollten diesen Zusammenhang zumindest kennen, allein dadurch lässt sich bereits manches Problem vermeiden oder etwas gelassener ertragen.
  • Medikamente und Psychotherapie können eine extreme Verletzlichkeit ausgleichen, so dass der gesunde Partner nicht mehr unverhältnismäßig rücksichtsvoll sein muss. Sie können einen kranken Partner befähigen, normale Reibungen innerhalb einer Beziehung auszuhalten.
  • Es kann auf Dauer zum Bruch kommen, wenn der gesunde Partner grundsätzliches Rücksichtnehmen ablehnt, eine starre Haltung einnimmt oder nicht beachtet, dass der kranke Partner weniger konfliktfähig sein kann.

3. Absprachen

Absprachen im häuslichen und familiären Bereich zwischen dem Betroffenem und seinen Angehörigen, Betreuern und dem Lebenspartner sind eine der wichtigsten “tragenden Säulen” einer gelungenen Beziehung. Das Einhalten oder Brechen von Absprachen durch Betroffene entscheidet z.B. maßgebend darüber, ob Partnerschaften halten oder auseinander gehen.

Absprachen setzen Absprachefähigkeit voraus. Diese Aussage mag trivial erscheinen, aber der weitaus häufigere Fall ist der, dass ein Betroffener Zusicherungen macht, jedoch zu dem Zeitpunkt, an dem es um das Einlösen geht, nicht mehr zu seinem Wort steht.

Um letzteren Fall erst gar nicht eintreten zu lassen, ist es sehr wichtig zu klären, zu wem der Betroffene ein so großes Vertrauen hat, dass er sogar unter Einfluss einer Psychose auf ihn hören würde – sogar dann, wenn diese Person ihm mitteilen würde, dass sie glaube, dass der Betroffene krank sei, und ihm raten würde, einen Arzt aufzusuchen. Die Vertrauensperson kann der Partner oder auch eine andere Person sein. Das Vertrauensverhältnis ist notwendig, denn Absprachen setzen, wenn sie eingehalten werden sollen, dieses Vertrauensverhältnis voraus. Zu wem das Vertrauensverhältnis groß genug sei, sollte der Betroffene unbedingt in einer gesunden Phase festlegen.

Beispiel: Eine Frau zog sich eines Tages in ihr Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses zurück. Sie verweigerte die Nahrung, da sie befürchtete, sie sei vergiftet. Sie dichtete ihr Zimmer hermetisch ab, weil sie glaubte, es werde Giftgas hineingeleitet. Die Familie war mit dieser Situation völlig überfordert und wusste keinen Rat mehr. Schließlich wurde die Frau gegen ihren Willen durch den Amtsarzt in die Klinik eingewiesen.

Absprachen, die in einer gesunden Phase getroffen werden, können dem gesunden Partner oder den Angehörigen in der Krise mehr Handlungssicherheit geben. Die Frau aus dem Beispiel vereinbarte mit ihrer Familie, dass diese den Pfarrer holen solle, wenn sie wieder “verrückt” würde. Zum Pfarrer habe sie sehr großes Vertrauen und würde ihm auch glauben, wenn er ihr behutsam beibringe, dass sie krank sei. Wenn der Betroffene festlegt, welche Person sein Vertrauen besitzt, ist das meist gleichbedeutend damit, dass diese Person den Betroffenen in der Krise noch erreichen kann.

Das vielleicht wichtigste Thema für Absprachen mit dem Erkrankten ist, dass der Betroffene seinem Partner, der Familie oder sonstigen Angehörige einen Weg aufzeigt, ihn zu erreichen, wenn er seine Erkrankung abstreitet.

In diesem Zusammenhang stellt sich die wichtige Frage, warum der Betroffene seine Erkrankung abstreitet und ob er wirklich nichts von einem sich anbahnenden neuen Psychoseschub bemerkt. So ist es falsch, als Außenstehender zu glauben, dass der Betroffene nichts von einem sich nähernden Psychoseschub merkt. Er merkt es sehr wohl, indem er registriert, dass sich etwas gegenüber seiner früheren Wahrnehmung verändert hat – etwa vergleichbar mit einer Verschlechterung der Sehleistung, bis dass sich der Zeitungsleser eines Tages eingestehen muss, dass er die Buchstaben einfach nicht mehr erkennen kann und die Veränderung der Augen nunmehr mit einer Brille kompensieren muss. Der Grund, weswegen Betroffene dann meist ihre Erkrankung abstreiten, liegt am häufigsten in dem mangelnden Vertrauensverhältnis zu ihrer Umgebung.

Dem Abstreiten der Erkrankung kann dadurch entgegengewirkt werden, dass der Betroffene – sobald er eine Veränderung in seinem Verhalten bemerkt – zumindest den Menschen in Anspruch nimmt, zu dem er besonders großes Vertrauen hat. Ihn sollte der Betroffene bereits in einer gesunden Phase “anspitzen” , ihm offen seine Beobachtung über neue Symptome mitzuteilen, und ihm zusichern, daraufhin seinen Arzt aufzusuchen. So wird der Betroffene aber nur vorgehen, wenn er ein Problembewusstsein erarbeitet hat – etwa indem er in einer gesunden Phase mit seinem Partner, den Angehörigen oder Freunden die Situation durchspricht, wie es ist, wenn er psychotisch geworden ist, aber keine Krankheitseinsicht hat. Wenn dies schon einmal der Fall gewesen ist, können Partner oder Angehörige mit ihm gemeinsam überlegen, wie auf eine solche Situation in Zukunft reagiert werden kann.

4. Umgang mit Psychopharmaka

Eine große Gruppe der Betroffenen leidet stark unter den Symptomen der Psychose und wünscht sich medikamentöse Hilfe. Die Bereitschaft, Medikamente zu nehmen, wird verstärkt, wenn der Wunsch hierzu – ausgelöst durch einen starken Leidensdruck – vom Betroffenen selbst ausgesprochen wird.

Das Gefühl, die Psychose nicht aushalten zu können, ist zunächst für den Betroffenen subjektiv der einzige unmittelbar einleuchtende Grund, warum er Medikamente nehmen sollte. Später kommt hinzu, dass während der Psychose Beziehungen zerbrochen sind oder dass Dinge gemacht wurden, für die der Betroffene sich im Nachhinein schämt.

Beispiel: In der Psychose beschimpfte eine Frau ihre Nachbarn, die bis dahin stets hilfsbereit waren und eine freundschaftliche Beziehung zu der erkrankten Frau pflegten. Als sie in der Klinik wieder “zu sich” kam, sagte sie, dass sie daran gehindert werden möchte, solche Dinge zu tun. Dafür sei sie auch bereit, Medikamente zu nehmen.

Eine Gefahr besteht darin, dass der Patient eigenmächtig beginnt, die verordnete Dosierung zu verändern oder die Medikamente ganz abzusetzen. Oft wird dadurch ein Rückfall ausgelöst, wodurch wiederum der Arzt Recht behält, dass es ohne Medikamente nicht ginge. Daher ist es eine wichtige Forderung an den behandelnden Arzt, dass dieser Rückmeldungen über die Verträglichkeit eines Medikamentes und auch über die subjektive Ablehnung von Medikamenten sehr sorgfältig prüft. Dem Arzt muss klar sein, dass es für den Patienten nicht einsehbar ist, unter den Nebenwirkungen der Medikation stärker zu leiden als unter der Krankheit selbst.

Auf der Suche nach dem individuell verträglichsten Medikament kann es geschehen, dass der Patient viele Male ein neues Medikament ausprobieren muss, bis er das richtige gefunden hat. Die Geduld hierfür sollten Arzt und Patient aufbringen, denn nur wenn die Dosierung gut eingestellt ist, wird letzterer das Medikament als Hilfe empfinden. Es ist so, dass ein und dasselbe Medikament in ein und derselben Dosierung bei unterschiedlichen Patienten völlig verschiedene Reaktionen auslösen kann. Daher sind Ratschläge von anderen Betroffenen über bestimmte Medikamente und Erfahrungen zwar oft hilfreich, aber nicht unbedingt übertragbar.

Die Mühe, eventuell lange suchen zu müssen, bis der Betroffene das richtige Medikament und die richtige Dosierung findet, lohnt sich auf jeden Fall. Langfristig werden durch die Medikamente nicht nur akut psychotische Symptome beeinflusst, sondern auch die starke Verletzlichkeit – die im Alltag sehr beeinträchtigend sein kann – wird ausgeglichen.

Der Partner kann den erkrankten Betroffenen auf folgende Weise unterstützen:

  • Er fragt den Betroffenen, wie die Wirkung der Medikamente ist und ob die Nebenwirkungen erträglich sind.
  • Wenn die Nebenwirkungen unerträglich sind, begleitet er seinen erkrankten Partner zum Arzt.
  • Er bestärkt seinen kranken Partner, alle Beobachtungen über die Nebenwirkungen dem Arzt mitzuteilen, da der Arzt nur dann die Chance bekommt, das Medikament zu ändern oder die Dosierung besser einzustellen.

5. Therapeutische Begleitung

Wenn in einer Partnerschaft eine Psychose aufgetreten ist, macht es Sinn, z.B. in einer Paartherapie die Beziehung auf Konflikte abzuklopfen. Der Therapeut wird dann beispielsweise den gesunden Partner auch fragen, was er tun müsste, damit sein kranker Partner wieder eine Psychose bekommt. Diese interessante Frage wird beim gesunden Partner einen Denkprozess auslösen, in dem er auch sein eigenes Verhalten hinterfragt.

Durch eine Psychose können tiefe gegenseitige Verletzungen entstehen, die dann zu Vertrauensbrüchen, zum Nachlassen der Liebe und schließlich zur Trennung führen. Der psychotische Partner kann Dinge tun oder sagen, die seinen gesunden Partner zutiefst verletzen oder wütend machen, etwa wenn er in einer Manie das Familienvermögen verschleudert.

Gleichzeitig hat aber der gesunde Partner das Gefühl, er dürfe eigentlich nicht wütend sein, denn sein Partner ist ja krank. Er fühlt sich verletzt, weiß aber nicht wohin mit dem Gefühl, weil der Kranke nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Ebenso kann auch der gesunde Partner seinen erkrankten Partner in der Psychose verletzen, indem er ihn möglicherweise gegen seinen Willen in eine Klinik hat einweisen lassen oder ungeschickt mit psychotischen Inhalten umgegangen ist.

Auf keinen Fall sollte der Fall eintreten, dass das Gefühl der Verletztheit verdrängt und überspielt wird. Tatsache ist, dass die Partnerschaft einen Riss bekommen hat, und damit müssen sich beide Partner auseinandersetzen.

Diese Punkte können Thema einer Paartherapie sein, in der sich die Partner bemühen, das Geschehen der Psychose zu verarbeiten. Aber auch die Einzelpsychotherapie ist wichtig, da der Betroffene sie als große Hilfe im Alltag erleben kann: Er hat die Möglichkeit, Schwierigkeiten und Konflikte zu besprechen und seine Bewältigungsstrategien zu überprüfen.

6. Sexualität

Die Psychose betrifft alle Bereiche des partnerschaftlichen Zusammenlebens, auch die Sexualität. Das Bedürfnis nach Sexualität kann durch die Psychose maßlos gesteigert sein, aber auch völlig abhanden kommen. Die Wahrnehmungen sind verzerrt oder von Wahnideen überlagert. Wenn z.B. eine Frau ihren Mann als Teufel sieht, mitsamt Hörnern und Pferdefuß, wird sie es als sehr erschreckend empfinden, wenn der Teufel mit ihr schlafen will. Manche Psychoseerfahrene berichten, dass sie allein von erotischen Gedanken schon einen Orgasmus bekamen. Andere erleben ihre gesteigerte sexuelle Empfindsamkeit als sexuelle Manipulation von Kräften außerhalb ihrer Person. Sie berichten manchmal davon, dass quälende Experimente und Manipulationen an ihnen vorgenommen wurden.

Wie soll nun der gesunde Partner mit dieser Situation umgehen? Wichtig ist, dass er zunächst seine eigenen Bedürfnisse gegenüber seinem erkrankten Partner zurücknimmt. Die Initiative zur sexuellen Aktivität sollte im Falle der Psychose immer vom erkrankten Partner ausgehen. Keinesfalls darf der gesunde Partner den kranken sexuell bedrängen oder eine gewisse Schwäche des erkrankten Partners für seine Bedürfnisse ausnutzen. Gerade einer erkrankten Frau kann es schwer fallen, “nein” zu sagen. Wird ihre Widerspruchslosigkeit dann ausgenutzt, so ist die Sexualität, die sie dann erlebt, keinesfalls etwas Freiwilliges, auch wenn sie scheinbar ohne Gegenwehr mitmacht. Im Grunde handelt es sich dann eher um eine Vergewaltigung.

7. Kinder und Familienplanung

Für viele Paare stellt sich im Laufe des Zusammenlebens die Frage, ob sie Kinder haben möchten oder nicht. Dann ist die Frage nach der Vererbbarkeit der Krankheit für die Paare wichtig. Auch psychotisch erkrankte Menschen möchten mit Fragen zur Familienplanung ernst genommen werden und nicht mit Antworten wie “Seien Sie froh, dass Sie keine Kinder haben” abgespeist werden.

Wenn sich das Paar die folgenden wichtigen Fragen stellt, kann dies eine Hilfestellung sein:

  • Kann der psychosekranke Partner mit seiner Erkrankung so umgehen, dass er sie weitgehend im Griff hat, oder überfällt sie ihn schicksalsartig? Wenn die Krankheit ständig wie ein Damoklesschwert über dem Betroffenen schwebt und er sie nicht im Griff hat, ist die Situation ohnehin schon sehr belastend, und es wäre eher davon abzuraten, Kinder zu bekommen. Zunächst sollte der Betroffene durch Selbsthilfemaßnahmen – wie z.B. der Auseinandersetzung mit Frühwarnzeichen – versuchen, seine Krankheit so weit in den Griff zu bekommen, dass er mit ihr umgehen kann. Die Kenntnis der Zusammenhänge über Frühwarnzeichen ist extrem wichtig, da durch richtiges Verhalten der erneute Ausbruch einer Psychose unter bestimmten Bedingungen verhindert werden kann. Näheres hierzu ist im Buch der Autoren beschrieben (s.u.).
  • Wer ist voll und ganz für die Kinder da, wenn der psychosekranke Elternteil ausfällt? Hier ist der gesunde Partner gefragt. Kann er die Kinder allein versorgen, wenn der kranke Partner ausfällt? Kinder sollten nicht plötzlich aufgrund der Krise ihres sie versorgenden Elternteils in eine neue, fremde Umgebung gebracht werden oder von völlig fremden Personen versorgt werden.
  • Kinder sind nicht immer nur eine Freude, sie sind auch eine hohe Belastung, gerade für den psychosekranken Elternteil. Wer unterstützt den psychosekranken Elternteil, wenn die Kinder krank sind, wenn schlaflose Nächte anstehen, wenn es sonst wie Schwierigkeiten gibt?

Gerade aus diesem letztgenannten Grund sollte eine psychosekranke Frau eher keine Kinder bekommen, wenn sie keinen Partner hat. Die Situation einer allein erziehenden Mutter ist – vor allem wenn die Kinder noch klein sind – sehr belastend. Eine psychosekranke allein erziehende Mutter sollte dringend einen Menschen, vielleicht die eigenen Eltern, zur Verfügung haben, der sie entlastet.

Grundsätzlich lässt sich zur Familienplanung psychisch kranker Menschen keine einfache Antwort geben. Eltern sollten auch das Risiko kennen, ein ebenfalls psychisch krankes Kind zu bekommen, und dann mit klarem Kopf abwägen, ob sie es eingehen wollen oder nicht. Auch der Entschluss, ohne Kinder durch das Leben gehen zu wollen, kann eine verantwortungsvolle Entscheidung sein. Keinesfalls jedoch sollte ein psychisch krankes Kind als “unwertes Leben” betrachtet werden, das es um jeden Preis zu vermeiden gilt.

8. Das Sprechen nach der Krise

Wenn eine psychotische Krise überstanden ist und der Betroffene aus der Klinik nach Hause kommt, bemühen sich die Partner und die Familien, zum Alltag zurückzukehren. Die Zeit der Psychose hat viel Chaos, extreme Gefühle und Verletzungen verursacht.

Häufig erlebt man, dass die Beteiligten alles vergessen und neu starten möchten. Dies ist zwar verständlich, jedoch ist das Sprechen nach der Krise sehr wichtig: Nach der Psychose sollten sich die Partner Zeit nehmen, um sich gemeinsam zu erinnern, was alles gewesen ist. Sie sollten einander mitteilen, wie sie die Ereignisse aus ihren unterschiedlichen Perspektiven erlebt haben und welche Schwierigkeiten sie mit dem jeweils anderen hatten. Dadurch erhalten beide Partner die Chance, ihr Verhalten für eventuelle weitere Krisen zu korrigieren.

Folgende wichtige Fragen sollten nach der Krise in gemeinsamen Gesprächen zwischen den Partnern geklärt werden:

  • Unter welchen Voraussetzungen erfolgt eine Klinikeinweisung?
  • Will der Betroffene auf keinen Fall auf die geschlossene Station?
  • Bei welchen Situationen in der Klinik (z.B. Fixierung, Medikamentennebenwirkung) soll der gesunde Partner einschreiten?
  • Wie oft und wie lange und von wem möchte der Betroffene in der Klinik besucht werden?
  • Soll der gesunde Partner Kontakt mit dem behandelnden Arzt haben?
  • Wie soll der gesunde Partner auf psychotische Inhalte reagieren?
  • Welches Verhalten des gesunden Partners hilft dem Betroffenen?
  • Welches Verhalten sollte der gesunde Partner vermeiden?
  • Wer kümmert sich um die Kinder, Haustiere und Blumen?
  • Wie soll der Partner schädigendes Verhalten des Betroffenen unterbinden (z.B. selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten, Ruhestörung, Aggressivität)?

Diese Absprachen geben beiden Partnern Sicherheit. Sie sind eine der wichtigsten “tragenden Säulen” für die Partnerschaft. Der gesunde Partner wird sich nicht mehr so ohnmächtig und hilflos gegenüber einer Psychose fühlen, sondern er hat mit diesen Vereinbarungen Handlungsstrategien bereit, von denen er weiß, dass sie auch im Sinne seines Partners sind. Dadurch weiß auch der kranke Partner, dass im Falle einer Psychose die Dinge so geschehen, wie er sie sich wünscht.

Häufig zeigt sich auch, dass der gesunde Partner viele Fragen zum Psychoseverständnis hat und es ihm eine große Hilfe ist, wenn sein betroffener Partner in einer gesunden Phase mit ihm hierüber spricht.

9. Positive Verhaltensweisen des Partners und der Angehörigen

Folgende Verhaltensweisen des Partners und der Angehörigen haben sich besonders bewährt:

  • Den Kranken nicht kritisieren, denn Kritik kann die Symptomatik dramatisch verschlimmern und (im Extremfall) nicht vorhersehbare Handlungen bewirken. Beispiel: Ein Vater sagte zu seiner psychosekranken Tochter, dass sie zu dick sei. Daraufhin nahm sich die Tochter das Leben. Auch wenn die Auswirkungen nicht immer so extrem sind wie in diesem Beispiel, ist Kritik am Kranken einer der häufigsten Fehler von Partnern, Angehörigen und Verwandten, da es für sie schwierig ist, sich in den Betroffenen hineinzudenken. Sie sollten sich immer vor Augen halten, dass der Betroffene durch Kritik mehr belastet wird als es zunächst aussieht.
  • Den Kranken nicht “betutteln” (dies gelingt Eltern oft nur schwer, wenn ihre Kinder krank sind).
  • Unterstützende Medikamente nehmen lassen.
  • Den Kranken seine Impulse weitgehend ausleben lassen. Beispiel: Eine Betroffene wollte sich nachts um zwei Uhr einen Tee kochen, was wegen der ungewöhnlichen Zeit auf Ablehnung der Angehörigen stieß. Später berichtete die Betroffene, es sei ihr aufgrund der Medikamentenwirkung bitter kalt gewesen und sie wollte sich durch den Tee aufwärmen. Daher sollten die Angehörigen solch “ungewöhnliches” Verhalten tolerieren.
  • Wenn das Verhalten des Kranken stört, ihm das als “Ich-Botschaft” mitteilen.  Beispiel: “Ich fühle mich gestört, wenn Du die Stereoanlage so laut aufdrehst” – nicht dagegen: “Mach sofort die Musik leiser!”
  • Soziale Kontakte wahren (Arzt besuchen, den Kranken hierbei möglichst begleiten, und Freunde einladen).

Im richtigen Umgang des Partners mit der Mehrbelastung haben sich folgende Verhaltensweisen bewährt:

  • Eigene Hobbys auch in der Krankheitsphase pflegen. Diese sind eine wichtige Kraftquelle für den gesunden Partner.

Wichtig ist, z.B. den Zeitpunkt der Rückkehr vom Sport dem Betroffenen mitzuteilen und ihn zu fragen, ob er so lange alleine durchhält. Der Zeitpunkt muss aber dann auch genau eingehalten werden, denn die Abwesenheit des Partners bedeutet für den Betroffenen Stress. Dieser Stress kann über einen vorher miteinander abgestimmten Zeitrahmen vom Betroffenen ausgehalten werden, wird aber bei Überschreiten des Zeitrahmens für den Betroffenen schnell unerträglich. Ist der Partner nur ein einziges Mal unpünktlich, ist das Vertrauensverhältnis zerstört.

  • Alarmzeichen einer Überlastung bei sich selbst beachten: Die Gedanken sind oft, manchmal zu oft beim erkrankten Partner – dies kann z.B. im Straßenverkehr zu sehr gefährlichen Situationen führen. Es ist notwendig, vorher schon damit zu rechnen und sein eigenes Verhalten entsprechend auszurichten.
  • Sich mit der eigenen Angst auseinandersetzen (eventuell mit Hilfe einer Angehörigengruppe, die es in jeder größeren Stadt gibt).

Weitere Tipps sind im Buch der Autoren beschrieben.
 

Anmerkung

(1) Mündliche Information anlässlich eines Vortrags von Dr. med. Michael Franz am 09.03.2002 in Hofgeismar.
 

Literaturverzeichnis

  • Beitler, H. u. H., Psychose und Partnerschaft, Bonn, Psychiatrie-Verlag, 2000
  • Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen e.V., Thomas-Mann-Straße 49a, 53111 Bonn, Wenn Deine Mutter oder Dein Vater in psychiatrische Behandlung muß, Broschüre für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren
  • Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen e.V., Thomas-Mann-Straße 49a, 53111 Bonn, Wenn Deine Mutter oder Dein Vater psychische Probleme hat, Broschüre für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren
  • Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen e.V., Thomas-Mann-Straße 49a, 53111 Bonn, Wenn eine Mutter oder ein Vater psychische Probleme hat …, wie geht es dann den Kindern? Broschüre für betroffene Eltern
  • Knuf, A., Gartelmann, A., Bevor die Stimmen wiederkommen, Bonn, Psychiatrie-Verlag, 1997
  • Mattejat, F., Lisofsky, B., Nicht von schlechten Eltern, Bonn, Psychiatrie-Verlag, 1998

Autor/in

Helene Beitler, geb. 1959, studierte Philosophie, Sozialarbeit, Freie Grafik und Malerei. Sie ist Mitglied im Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen e.V. und hat seit 1987 insgesamt fünf psychotische Episoden durchlebt. Mit Hubert Beitler seit 1981 verheiratet. Sie haben zwei Söhne, von denen der ältere ebenfalls psychoseerfahren ist.

Hubert Beitler, geb. 1954, tätig als Dipl.-Ing. in der Pkw-Entwicklung eines bekannten Automobilkonzerns. Zusammen mit seiner Frau ist er Autor des Buches ” Psychose und Partnerschaft “, Psychiatrie-Verlag, Bonn 2000. Gemeinsam betreiben sie eine offensive
Öffentlichkeitsarbeit in Form von Vorträgen und Seminaren.

Erstellt am 16. Mai 2003, zuletzt geändert am 15. März 2010

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