Wenn Papa die Brötchen nicht mehr allein verdient… Arbeit und männliche Identität

Dr. Thomas Gesterkamp

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Der Autor beschreibt die Veränderung der Männer- und Väterrolle in der Familie von der Industrialisierung bis ins Jahr 2000. Dabei beschäftigt er sich mit gesellschaftlichen und politischen Phänomenen, die auch die Rolle der Frau im Laufe der Zeit beeinflussen. Die schwierige Wirtschaftslage und hohe Arbeitslosigkeit Ende der 90er Jahre bringt Modelle der Teilzeitarbeit und die Erwerbstätigkeit der Frauen erneut in die gesellschaftliche Debatte. Der Artikel benennt zudem die Identitätskrise des Mannes und die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur damaligen Zeit.

Ein amerikanisches Computerunternehmen veranstaltet sein jährliches “Kick-Off-Meeting”. 150 Vertriebsmanager aus ganz Europa treffen sich in einem süddeutschen Luxushotel. Neben betriebsinternen Fachfragen steht auch das Thema “Work-Life-Balance” auf dem Programm. Doch der Referent stößt bei seinen Zuhörern nur auf höfliches Interesse. Die sich anschließende Diskussion ist eher müde, geprägt durch das Schweigen vor allem der Männer. Die bilden, im Seminar wie auf der Führungsebene im Konzern, die große Mehrheit. Einzelne Frauen melden sich zu Wort, berichten von ihren Erfahrungen mit Babypause oder Teilzeitarbeit. Aber selbst bei ihren Geschlechtsgenossinnen ernten sie damit nur mäßige Aufmerksamkeit. Die meisten Anwesenden sind um die 30, sie haben keine Kinder oder eine Frau für ihre Kinder. Sie leiden nicht unter einem “Vereinbarkeitsproblem” zwischen Beruf und Privatleben. Im Gegenteil, sie lieben ihre 70-Stunden-Wochen. Sie fliegen auch schon mal für einen Tag in die USA, wenn es im Mutterhaus etwas Wichtiges zu besprechen gibt. Kopf des Konzerns ist übrigens eine Frau. Weibliche Workaholics sind im Männerbund zugelassen – wenn sie bereit sind, so zu arbeiten wie Margaret Thatcher.

Szenenwechsel. Ein Baukonzern steht vor der Pleite, Gerhard Schröder lässt sich als Retter feiern. Unter lautem Jubel spricht der Kanzler von den “Holzmännern und ihren Familien”, denen nun der soziale Absturz erspart bleibe. Ein kerniger Ernährer mit Schutzhelm schildert in der Tagesschau seine Lebenssituation. “Die Frau” macht sich Sorgen, zwei Kinder hat er, und eine Hypothek aufs Reihenhaus. Das Interesse der Medien ist groß wie immer, wenn Männerarbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Die Fernsehkameras surrten, als die Kumpel von Bischofferode oder Bergkamen um ihre Jobs kämpften. Hunderttausende von Frauenarbeitsplätzen in den neuen Bundesländern sind dagegen ohne großes Aufsehen verschwunden. Als Siemens im Ruhrgebiet ein Werk mit fast ausschließlich weiblichen Beschäftigten dichtmachte, interessierte das gerade mal die Regionalpresse.

Männerarbeit ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer wichtiger. Der arbeitslose Familienvater gilt als ganz besonderes Symbol für den Schrecken der Arbeitslosigkeit. Arbeitslose Mütter sind nicht arbeitslos, sondern Hausfrau und “nicht berufstätig”. Wenn Frauen gekündigt werden, ist das einfach weniger schlimm. Hauptsache, der Mann hat eine gute Stelle und die Grundversorgung der Familie bleibt gesichert. Besonders in Ostdeutschland greifen Wissenschaftler und Politiker zu einfachen Erklärungsmustern. Untersuchungen machen die “höhere Erwerbsneigung” der Frauen für die im Vergleich zum Westen doppelt so hohen Arbeitslosenquoten verantwortlich. Der sächsische “Landesvater” Kurt Biedenkopf spricht nebulös davon, dass nicht nur das Angebot, sondern auch die Nachfrage die Lage auf dem Arbeitsmarkt bestimme. Er hütet sich, es offen auszusprechen, aber natürlich meint er die Ost-Mütter, die es ablehnen, in die Küche zurückzukehren und vom Verdienst ihrer Männer abhängig zu werden.

Hinter der Massenarbeitslosigkeit steckt ein ungelöster Geschlechterkonflikt, von dem in Politikerrunden, Gewerkschaftszirkeln oder Bündnisgesprächen fast nie die Rede ist. Die im Rückblick idealisierte Vollbeschäftigung in Deutschland zwischen 1960 und Mitte der siebziger Jahre war eine Vollbeschäftigung für Männer; sie beruhte darauf, dass die Frauen zu Hause blieben und die Statistik entlasteten. Das männliche Erwerbskonzept “Ein Leben lang ununterbrochen Vollzeit” setzt ein weibliches Pendant voraus, das derweil die Arbeit des Alltags erledigt. Zumindest wenn sie Kinder haben, sind Männer angewiesen auf die gute Fee im Hintergrund, die sich um alles kümmert, was den “Breadwinner” vom Geldverdienen abhalten könnte. “Die richtige Frau im Haus erspart den Herzschrittmacher”, so hat es Ex-Wirtschaftsminister und EU-Kommissar Martin Bangemann einst offenherzig formuliert.

In der frühen Industriegesellschaft konnte sich nur das Bürgertum diese Freistellung der Gattin erlauben. Im Arbeitermilieu war weibliche Erwerbstätigkeit stets Zwang und keine Wahl. Erst im westdeutschen Wirtschaftswunder entwickelte sich der “Alleinverdiener” zum allgemeinen Leitbild. Der Spruch “Die Frau eines Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten” illustrierte proletarischen Ernährerstolz. Als Zugeständnis an die Emanzipation wurde daraus später der “Hauptverdiener”, dessen Partnerin ein bisschen “hinzuverdienen” durfte, solange das keine Probleme im Haushalt und bei der Kinderbetreuung aufwarf. Teilzeitstellen und 400 EUR-Jobs, ein Sonderarbeitsmarkt für Mütter, sind die Antwort eines modernisierten Patriarchats auf die Frauenbewegung.

Der Sog der Arbeit

Werktätigkeit gegen anständige Bezahlung bildet den Kern männlicher Identität. Je knapper Arbeit in Zeiten hoher Erwerbslosigkeit als gesellschaftliches Gut wird, desto stärker wächst ihre “existenzsichernde” Bedeutung im Lebensentwurf des einzelnen. In der Burnout-Kultur der jungen Akademiker, die meist mit Werkverträgen, Praktika oder befristeten Stellen starten müssen, wetteifern beide Geschlechter um Karriere und Anerkennung. In dieser biografischen Phase entfaltet Arbeit eine besondere Sogwirkung – sie kann zum einzigen Halt, zur Droge werden. Die “Tribal Workers”, die Stammeskrieger im Kampf um Marktanteile in der schnelllebigen Informationswirtschaft, haben sich ihrem Job mit Haut und Haaren verschrieben – und vergolden sich den enormen Leistungsdruck als freudigen Lebensinhalt: “Warum sollte ich kürzer treten, wenn mir das so viel Spaß macht?” Geschafft hat man es, wenn man 16 Stunden am Tag “Flow” und “Happiness” erlebt. Im Büro, wo sonst.

Kinder bringen das Hamsterrad plötzlich zum Knirschen. Durch den späten Berufseinstieg und ein betriebliches Klima, das Vierzigjährige schon zum “alten Eisen” zählt, entsteht für junge Eltern eine überfordernde Situation: In der gleichen biografischen Phase sollen sie Kinder großziehen und im Job vorankommen. Gerade Männer kennen und fürchten die Gefahren, die Brüche im Erwerbsleben für die eigene “Laufbahn” bedeuten können. Im Gegensatz zur Generation ihrer Väter sind sie heute immerhin bei der Geburt ihrer Söhne oder Töchter dabei. Schon kurze Zeit später aber wirken mit Macht alte Bilder: Papa bringt das Geld, Mama windelt und stillt.

Wenn vor der Familiengründung ein finanzielles Gefälle bestand, der Mann “einfach mehr verdiente”, schnappt die Traditionsfalle umso heftiger zu. Von guten Vorsätzen bleibt wenig übrig: Er geht ohne Wenn und Aber feste arbeiten, sie zeigt eine unklare Haltung zur Erwerbstätigkeit, wird “vorläufig” Hausfrau und Mutter, später vielleicht Hinzuverdienerin. Es ist ein seltsames Tabu, dass dieses widersprüchliche Verhalten beider Geschlechter auch im engeren Freundeskreis kaum ernsthaft in Frage gestellt wird. Weniger als ein Prozent der Männer im Alter zwischen 30 und 50 arbeitet in Deutschland Teilzeit. Selbst Mütter mit voller Stelle ziehen sich selten so aus ihren privaten Aufgaben heraus, wie das Väter mit Verweis auf ihren anstrengenden Beruf tun. Viele von ihnen kennen die Kollegen besser als die eigene Familie; sie führen ein eindimensionales Leben auf Sparflamme.

Das angeschmierte Geschlecht?

In Umfragen geben Männer immer wieder mehrheitlich an, nicht der Beruf, sondern Frau und Kinder seien für sie das Wichtigste im Leben. Das ist keineswegs ein Widerspruch zu ihrem Verhalten. Denn sie betrachten das Geldverdienen als eine männliche Form der Sorge, als ihren Beitrag zur Familienarbeit. Zwar müssen sie sich zu Hause immer wieder Vorwürfe anhören, doch im Kern akzeptieren auch ihre Partnerinnen das bekannte Rollenmuster. In stillem Einverständnis, oder auch in offener Komplizenschaft, ermuntern Frauen zu Überstunden, damit die Kasse stimmt. “Mein Mann arbeitet in der Industrie”, lautet ein weibliches Argument, das keinen Widerspruch duldet.

Frauen teilen die große Beachtung, die “sein” Job und dessen Erhalt um jeden Preis für das gemeinsame Arrangement hat. Als Gegenleistung übernehmen sie die Regie in Erziehungs- und Haushaltsfragen, beanspruchen dort allerdings auch die Definitionsmacht. Im Extremfall kann das Ergebnis sein, dass sich Ehegattinnen im Vorstadt-Eigenheim einrichten und gar nicht mehr auf die Idee kommen, “arbeiten zu gehen”. Die auf ihre Rolle festgelegten “Ernährer” haben dann keine Chance mehr, ihre Belastungen am Arbeitsplatz zu mindern.

Im Durchschnitt verdienen die deutschen Männer immer noch rund drei Viertel des Familieneinkommens. Sie sind aber mit einer Zersetzung dieser traditionellen Versorgerrolle konfrontiert. An die Stelle der lebenslang gesicherten Anstellung ist die lebenslange Probezeit getreten. Die Väter sind immer weniger in der Lage, den Lieben daheim verlässliche Perspektiven zu garantieren. Das Band der Treue zwischen paternalistischem Unternehmertum und fleißiger Belegschaft ist zerrissen, der Vertrag der Industriegesellschaft mit den Arbeitsmännern aufgekündigt. “Stiffed” (“Angeschmiert”) nennt die US-Autorin Susan Faludi (1999) ihr Buch über den “Betrug an den amerikanischen Männern”. Das britische Wirtschaftsblatt “The Economist” vom 28.09.1996 fürchtet, dass die einstigen Helden der Arbeit das “zweitrangige Geschlecht von morgen” (“Tomorrow’s second sex”) bilden könnten.

“Uneducated, unemployed, ummarried” – ohne Ausbildung, ohne Stelle, ohne Beziehung: Diese Formel bringt auf den Punkt, dass die Krise der Arbeit kein rein ökonomisches Problem darstellt. Weil sich Männer vorrangig über ihren Beruf definieren, ist sie zugleich eine Krise der männlichen Identität. Gerade Industriearbeiter, deren Qualifikationen nicht mehr gebraucht werden, sind die Verlierer des gesellschaftlichen Umbruchs. Sie verfügen nicht über anerkannte Alternativen, jenseits der Erwerbstätigkeit Sinn zu finden. Ein Leben als Hedonist, Hausmann oder Hinzuverdiener können oder wollen sich nur ein paar Paradiesvögel leisten. Schon die Vorstellung, weniger zu verdienen als ihre Partnerin, ist für viele Männer ein gruseliger Gedanke.

Stammesriten

Ein Personalmanager weist mit dem Zeigefinger aus dem Fenster. “Stellen Sie sich vor, was hier los wäre, wenn um halb zwei die ersten Autos da unten wegfahren würden”, sagt er angewidert mit Blick auf den Firmenparkplatz. “Das kann ich nicht zulassen, das schafft zu viel Unruhe!” Mitarbeiter, die andere Mitarbeiter dabei beobachten, wie sie mittags zu ihren Kindern oder ins Schwimmbad verschwinden – für den überzeugten Anhänger deutscher Tugenden ist das eine Horrorvorstellung. Wer bei ihm arbeitet, so sein Credo, hat dem Unternehmen voll zur Verfügung zu stehen. Wer das nicht kann oder will, wem andere Interessen oder Verpflichtungen wichtiger sind, der kann ja gehen.

Bewerbungsgespräch. Von “lückenlosen Tätigkeitsnachweisen” ist schon in der Ausschreibung die Rede. Lebensläufe, die mehr als 100 Tage “Löcher” verraten, werden gleich aussortiert. Junge Frauen stehen ganz unabhängig von ihren individuellen Plänen pauschal unter Schwangerschaftsverdacht. Männer auf Jobsuche, die sich als “verheiratet” vorstellen, kriegen Pluspunkte. Das signalisiert: Ich habe eine Familie zu ernähren, also bin ich hochmotiviert – und zu Hause sorgt meine Frau für das wohlige, die Arbeitskraft erhaltende Nest. Überdurchschnittliches “Engagement” ist in Führungspositionen fest eingeplant, eine intensive Vater-Kind-Beziehung nicht vorgesehen. Männern, die Erziehungsurlaub beantragen, droht die soziale Ausgrenzung, im schlimmeren Fall Mobbing oder sogar die Kündigung. “Neue” Väter, die mehr als Sonntagspapa sein wollen, werden als unsichere Kantonisten eingestuft. Wie Mütter sind sie einer mittelbaren Diskriminierung ausgesetzt: Sie sind einfach nicht so mobil und zeitlich flexibel wie die Kollegen, die das Hausfrauenmodell praktizieren.

Vor allem ältere Vorgesetzte messen Leistung immer noch in Stunden und weniger an Arbeitsergebnissen. “Karrieren werden nach 17 Uhr entschieden” kriegt zu hören, wer genau dann endlich gehen will. Das Wort Teilzeit klingt in Managerohren verdächtig nach Bezirksklasse. “Zeitpioniere”, die freiwillig auf Fulltimejobs und die entsprechenden Gehälter verzichtet haben, gelten als Aussteiger. Untersuchungsergebnisse, die Teilzeitler für besonders leistungsfähig erklären, werden schlicht ignoriert. “Die Fixkosten sind für jeden Mitarbeiter fast die gleichen”, kann der Chef von General Motors behaupten, ohne Widerspruch zu ernten. Kein Argument ist zu billig, um es nicht gegen die ungeliebten Quertreiber einzusetzen. Mehr Verwaltungsaufwand in Personalakten und Computerprogrammen, zusätzliche Schreibtische und Kantinenessen oder gar mehr Toiletten werden als schwerwiegende Hindernisse gegen andere Zeitstrukturen angeführt. Im Kern geht es nicht um Betriebswirtschaft, sondern um Psychologie: Die Unternehmensleiter betrachten es als eine erzieherische Aufgabe, ihre Moral von der “Hauptsache Arbeit”, den Kern ihrer persönlichen Identität, an die jüngere Generation weiterzugeben – wie eben auch Stammesriten von einer Männergeneration an die nächste weitergereicht werden.

Patriarchale Regularien

Wenn Männer mit ihren Rollenexperimenten scheitern, liegt das neben Blockaden im Unternehmen auch an gesellschaftspolitischen Hindernissen. Elternschaft gilt hierzulande als Privatsache: Der Kindergarten garantiert keine Ganztagsbetreuung, Krippenangebote und Hortplätze sind kaum vorhanden. Die Halbtagsschule, ein (west)deutscher Sonderweg in Europa, versteht sich als rein pädagogische Einrichtung und geht ganz selbstverständlich davon aus, dass Mama mittags kocht. Das Ehegattensplitting fördert die traditionelle Arbeitsteilung; das Erziehungsgeld funktioniert als Muttiprämie, die vor allem geringverdienende Frauen vom Arbeitsmarkt fern halten soll. Ein in der Adenauer-Ära geprägtes Gefüge von Rahmenbedingungen macht es beiden Geschlechtern schwer, etwas Neues auszuprobieren.

In der (männlich geprägten) öffentlichen Debatte über die Zukunft der Arbeit spielt das Geschlechterthema kaum eine Rolle. Vorschläge zur Umverteilung oder zu anderen Formen der Zeitgestaltung werden kurzerhand als antiquierte Rezepte aus der Mottenkiste abgewertet. Dabei lässt sich etwa die vielbeschworene Krise des Sozialstaates ohne die “Gender”-Perspektive kaum verstehen. Renten- und Krankenversicherung basieren darauf, dass sich männliche Ansprüche aus eigener Erwerbsarbeit, weibliche überwiegend aus Ehe und Familie ableiten. Arbeitslose oder prekär Beschäftigte zahlen keine oder zu niedrige Beiträge. Genau deshalb kümmert sich Gerhard Schröder persönlich um die “Holzmänner”.

Die Erotik des Bandscheibenschadens

Mit einem echten Hundeblick schaut er in die Kamera, der “gezähmte” Mann. Seine Haare sind zottelig und ungewaschen, auch die letzte Rasur liegt schon ein paar Tage zurück. Über dem leicht vergilbten T-Shirt trägt er einen bunten Kittel. Die Hände stecken in praktischen Gummihandschuhen – falls das Wasser zu heiß ist. Denn der Mann spült. Er steht vor einem altmodischen Becken, im Hintergrund türmen sich Geschirrberge und Essensreste. Strippen und braun gefärbte Teebeutel, die von einem wackligen Regal baumeln, komplettieren das triste Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihm machen soll: vom Hausmann.

So illustrieren Fotoredakteure Berichte über abweichendes Männerverhalten. Es müssen nicht die immer wieder gern gedruckten Erlebnisse eines jungen Erziehungs-”urlaubers” sein, der all die Kränkungen zusammenträgt, die ihm die Heldenreise in eine weiblich dominierte Welt eingebracht hat. Es kann auch um einen Mann gehen, der am Umgang mit dem eigenen Körper etwas ändern will, um nicht “plötzlich und unerwartet” dahinzuscheiden. Vielleicht dreht sich die Geschichte auch um einen Mann, der seine Stelle reduziert hat und seither von seinen Kollegen bespöttelt wird.

Windeln wechselnde Weicheier, oder, je nach Story, Warmduscher, Drückeberger, Schattenparker und Bewohner des kollektiven Freizeitparks, sie alle haben ein Problem. In ihrem Bett, wusste der SPIEGEL schon vor Jahren, “wird die erotische Spannung geringer” (vgl. ausführlicher Schnack/ Gesterkamp 1998, S. 171-181). Da kommt beim schuftenden Teil der männlichen Bevölkerung Freude auf. Die Erotik des Bandscheibenschadens, der Wortlosigkeit und der vier Flaschen Bier am Abend; der erotische Kick, der sich beim Heimkommen, Krimigucken und Müdewerden aufbaut; die knisternde Spannung der privaten Randständigkeit, der Überstunden und der Wampe, all das erfährt seine fröhliche Umdeutung: Ich gehe arbeiten, ich bin ein ganzer Kerl und kein zotteliger Hausmann.

Männer, die sich verändern wollen, werden häufig abgewertet oder lächerlich gemacht. Es braucht viel Selbstbewusstsein, in einer Workaholic-Kultur abweichendes Verhalten zu zeigen. Wer als Mann nicht richtig funktioniert, keine Überstunden kloppt oder demonstrativ früher geht, gilt schnell als schräger Vogel. Viele Männer scheuen die Risiken, die damit verbunden sind, im Unternehmen eine ausgeprägte private Orientierung offen zu vertreten. Resignation und Angst ist spürbar, die Einschüchterung funktioniert: In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit klammern sich viele an das Gewohnte. Auch wer es sich finanziell leisten könnte, traut sich nicht, nach einer 70 Prozent-Stelle zu fragen. Engagierte Väter sagen ihren Vorgesetzten selten ins Gesicht: “Das muss bis morgen warten, ich gehe jetzt meinen Sohn abholen!” Die meisten Männer haben eine zwar schmerzliche, aber eindeutige Wahl getroffen: für die Welt der Arbeit.

Das Recht auf Faulheit

Die Erwerbsgesellschaft alter Prägung ist keineswegs durchgehend am Ende. Sie ist geprägt durch Ungleichzeitigkeiten: Die einen werden auch künftig in sicheren Vollzeitjobs bis zur Rente arbeiten. Andere schlagen sich mit Projektarbeit oder mit befristeten Jobs durch, nehmen immer wieder Phasen ohne bezahlte Arbeit in Kauf. Und viele machen Kompromisse: Je nach persönlicher Situation und Biografie versuchen sie, zwischen gesellschaftlichen Zwängen und persönlichen Optionen ihren eigenen Weg zu finden. Die neue Unübersichtlichkeit bietet mehr Platz für individuell geprägte Lebenswege und Geschlechtsrollenentwürfe.

Die Erosion der männlichen Normarbeit ist eine Chance. Durch bewegliche Zeitstrukturen und bunte Biografien kann Berufliches und Privates auf neue Weise verteilt werden. Dringlich ist vor allem, mit dem Dogma zu brechen, dass unsere Gesellschaft nur mit Vielarbeitern funktioniert. Amerikanische Manager zum Beispiel kommen, entgegen anders lautender Mythen, deutlich früher nach Hause als ihre deutschen Kollegen. Selbst wenn die Verfechter der Unentbehrlichkeit es nicht wahr haben wollen: Auch Leitungspositionen sind mit etwas Fantasie durchaus teilbar und reduzierbar. “Halbe Chefs” müssen nicht zwangsläufig zu “halben Portionen” degradiert werden, zeitfressende Sitzungs- und Abstimmungsrituale lassen sich auch anders organisieren. “Der Kaffeeklatsch der Männer heißt Konferenz”, ist aber bezahlte Arbeit und Teil der unermüdlich herausgestellten 60-Stunden-Wochen.

Anwesenheitswahn, stundenlange Arbeitsessen und unkonzentriertes Zeitabsitzen in die Abendstunden hinein sind wenig effektiv. Die Management-Literatur ist seit Jahren voll von Ratschlägen, solche Exzesse männerbündischer Unternehmenskultur zurückzudrängen. Männer sollen eine gesunde Distanz zum eigenen Beruf und zeitliche Spielräume für andere Beschäftigungen schaffen – um im Betrieb wieder besser zu funktionieren. Auch wenn man dieser rein ökonomischen Sichtweise nicht folgen mag: Neue Leitbilder – wie etwa ein “Karriereverzicht auf Zeit” für junge Väter – können an die offensichtlichen Defizite der “Nur-Karriere” anknüpfen. Arbeitssucht, emotionaler Panzer, gesundheitliche Schäden, erst recht der “viel zu frühe Tod” drei Monate nach der Verrentung sprechen für sich.

Männer brauchen keine vollständig neue Identität. Sie müssen sich nicht zu 100 Prozent von ihrem Ehrgeiz, dem Wunsch nach Selbstverwirklichung, dem Drang nach Macht und Erfolg verabschieden. Es geht darum, die absolute Priorität von Beruf, Arbeit, Leistung und Einkommen im männlichen Wertesystem zu relativieren. Der täglich drei Stunden Pendelzeit erfordernde Job mag eine Stufe höher führen auf der Karriereleiter, aber er kann auch dazu beitragen, dass Mann im Privaten immer mehr verkümmert. Väter brauchen die Courage, das wichtige “Meeting” am späten Nachmittag ruhig mal sausen zu lassen, wenn ein Kindergeburtstag ansteht. Sie haben in der Arbeitswelt trotz aller Hindernisse meist größere Spielräume als sie glauben.

Männer, die anders leben wollen, sollten sich als Pioniere verstehen und durch den Spott der Männerbünde nicht irritieren lassen. Alltäglicher Protest tut Not – gegen eine Arbeitswelt, die es für selbstverständlich hält, dass Männer ihr jederzeit zur Verfügung stehen. Kürzer zu arbeiten, das ist keine Drohbotschaft, sondern eine Frohbotschaft: Männer, strengt euch nicht so an, werdet ein bisschen fauler! Eine gut verdienende Partnerin ist keine Bedrohung des männlichen Ego, sondern ein Grund durchzuatmen. Materielle Ressourcen und technischer Fortschritt machen es längst möglich, das von Karl Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue proklamierte “Recht auf Faulheit” zumindest in Ansätzen zu realisieren. Ein Lebensstil, in dem Erwerbsarbeit als zentrale Instanz der Identitätsstiftung für Männer an Bedeutung verliert, ist ein Beitrag zur Lösung des ungelösten Geschlechterkonfliktes – und damit vielleicht sogar zur Lösung der Probleme am Arbeitsmarkt.

Literatur

  • Faludi, Susan: Stiffed. The Betrayal of the American Man. New York 1999.
  • Schnack, Dieter/ Gesterkamp, Thomas: Hauptsache Arbeit Männer zwischen Beruf und Familie. Reinbek 1998.
  • The Economist: The Trouble with Men. 28.9.1996.

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Autor

Dr. Thomas Gesterkamp ist Vater einer Tochter und arbeitet als Journalist, Moderator und Vortragsredner. Der Text ist ein überarbeiteter Auszug aus seinem gemeinsam mit Dieter Schnack veröffentlichten Buch “Hauptsache Arbeit? Männer zwischen Beruf und Familie” (Rowohlt Verlag, Reinbek 1998).

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Erstellt am 19. November 2001, zuletzt geändert am 19. Februar 2010

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