Die “neuen” Väter

Ass.-Prof. Mag. Dr. Harald Werneck

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Schon die Bezeichnung “Neue Väter” mag für viele fast provokant klingen oder zumindest einige Fragen nach der Sinnhaftigkeit bzw. Existenzberechtigung dieses neuen Schlagwortes der “Neuen Väter” nach sich ziehen: Was heißt denn überhaupt “Neuer Vater”? Was steckt hinter diesem plakativen Begriff? Wie kann der Typus des “Neuen Vaters” definiert werden? Worin unterscheidet er sich von seinem ebenfalls zu definierenden Antipoden, einem “Vater alten Stils”? Wie viele “Neue Väter” gibt es? Gibt es sie überhaupt? – Das mögen einige der spontan mit dem Titel assoziierten Fragen sein, auf die ich im folgenden näher eingehen möchte.

Zuerst sei aber kurz auf ein paar grundlegende Erkenntnisse der Väterforschung eingegangen, beginnend mit einem kurzen historischen Exkurs: John Bowlby verfaßte 1951 im Auftrag der WHO einen Bericht über heimatlose Kinder im Nachkriegseuropa, worin er wesentliche Grundannahmen einer Bindungstheorie zwischen Eltern und Kindern formulierte. Er postulierte dabei die Mutter als “die von der Natur dafür vorbestimmte primäre Bezugsperson von Säuglingen und Kleinkindern”. Dem Vater wurden hingegen die grundlegenden biologischen Voraussetzungen für eine stabile emotionale Bindung an sein Kind abgesprochen und seine Aufgabe innerhalb der Familie vor allem auf die wirtschaftliche Absicherung bzw. emotionale Unterstützung seiner Partnerin beschränkt gesehen. Diese Theorie, diese Ansichten waren lange Zeit – zumindest im europäischen Raum – sozusagen “common sense” und decken sich auch bis heute weitgehend mit den Ansichten nicht nur etwa verschrobener Großeltern.

Ein wesentliches, wenn nicht vielleicht das wichtigste Verdienst der Väterforschung in den 70er-Jahren war in weiterer Folge jedoch die Erkenntnis, daß Väter grundsätzlich in demselben Ausmaß wie Mütter dazu befähigt sind, eine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Das Konzept der Exklusivität der Mutter-Kind-Bindung, das sich für viele Mütter ja auch zugleich als Falle herausstellte – etwa in Hinblick auf den oftmals dadurch legitimierten Ausschluß vom Arbeitsmarkt -, erwies sich als nicht haltbar.

Männer haben dieselben biologischen Voraussetzungen für eine liebevolle und kompetente Eltern-Kind-Interaktion wie Mütter

Halten wir also (als erste These) fest, daß die biologischen Voraussetzungen für einen einfühlsamen Umgang und eine kompetente Interaktion mit dem Kind bei Vätern in gleichem Ausmaß wie bei Müttern bestehen, wie mittlerweile eine Fülle von interkulturellen und auch Vergleichsstudien aus dem Tierreich belegen.

Andere Untersuchungen beziehen sich auf die Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung. Dabei konnten unter anderem mittelbare und unmittelbare Auswirkungen von Vätern auf die Geschlechtsrollenentwicklung oder auch die kognitive Entwicklung speziell ihrer Söhne nachgewiesen werden. In die gleiche Richtung weisen Studien über die Konsequenzen von Vaterabwesenheit. Diese erhöht zumindest das potentielle Risiko für Beeinträchtigungen im Leistungsbereich und vor allem auch in der psychosozialen Entwicklung, wie etwa für spätere Beziehungsprobleme in der eigenen Partnerschaft.

Trotz diverser methodischer Schwierigkeiten – etwa der Frage, welcher Anteil der kindlichen Verhaltensauffälligkeit wirklich ursächlich auf die Vaterabwesenheit zurückzuführen ist – und trotz möglicher ideologischer Voreingenommenheiten mancher Studienautoren und -autorinnen kann jedenfalls als zweiter wichtiger Punkt festgehalten werden, daß dem Vater – in Ergänzung zur Mutter – ein oft unterschätzter Einfluß auf die kindliche Entwicklung, sowohl im Leistungs- als auch im Persönlichkeitsbereich zuzuschreiben ist.

Väter sind wichtig für die kindliche Entwicklung

In diesem Zusammenhang ist allerdings auch vor deterministischen Schlußfolgerungen in dem Sinne zu warnen, daß Vaterabwesenheit automatisch und in jedem Fall zu psychischen Störungen bei den Kindern führen muß. Von einem erhöhten Risiko muß nach dem derzeitigen Stand der Forschungen aber ausgegangen werden.

Männer können bzw. könnten also kompetente und “vollwertige” Bezugspersonen sein, und sie sollten es auch sein – vor allem im Interesse ihrer Kinder.

Als nächstes stellt sich allerdings die Frage: wie sehr bzw. unter welchen Bedingungen wollen sie überhaupt? – Wie groß ist ihr Interesse an familiären Belangen bzw. wovon hängt ihre Bereitschaft zu väterlichem Engagement ab? Die Antworten bzw. Stellungnahmen dazu fallen nach dem heutigen Stand der Forschung schon deutlich differenzierter aus als zu den letzten beiden Fragestellungen. Insgesamt kommt eine Metaanalyse einschlägiger Forschungsarbeiten an 193 wissenschaftlichen Institutionen im gesamten deutschsprachigen Raum (von Nickel und Köcher, 1986) allerdings zu dem Schluß, daß sich “ein gewisser Einstellungswandel im Rollenverständnis von Männern bzw. Vätern anbahnt”.

Dem entsprechen etwa die Ergebnisse des an der Abteilung für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie der Universität Wien durchgeführten Forschungsprojektes “Familienentwicklung im Lebenslauf” (z. B. Rollett & Werneck, 1993, Werneck, 1998), wonach junge Väter in der Zeit um die Geburt des Kindes das Zusammensein mit der Familie bereits wichtiger einschätzen als berufliche Aspekte. Auch Resultate aus dem angloamerikanischen Raum, dem hinsichtlich derartiger Wertefragen oftmals eine Art Vorreiterrolle beizumessen ist, bestätigen eine trendmäßige Verlagerung der väterlichen Interessensschwerpunkte von der Berufswelt hin zur Familie, was in vielen Fällen auch mit der Übernahme zusätzlicher Verantwortungsbereiche und somit potentieller Belastungsfaktoren einhergeht.

Daneben belegen unsere Wiener Ergebnisse eines Einstellungsfragebogens zur Elternschaft bzw. zur Rollenverteilung zwischen den Eltern unter anderem, daß Kinder an sich für Väter einen relativ hohen Wert – im Sinne einer essentiellen Bereicherung ihres Lebens – darstellen, und auch, daß Väter insgesamt einer egalitären Aufteilung der Elternschaft mit ihren Partnerinnen positiv gegenüber stehen. Differenziertere Analysen lassen hier allerdings deutliche Unterschiede zwischen den Vätern erkennen. So konnten in unserer Studie aufgrund ihrer Einstellungen zur Elternschaft – mittels des statistischen Verfahrens der Clusteranalyse – insgesamt drei Vätergruppen voneinander abgegrenzt werden:

(1) Eine dieser drei Gruppen läßt sich wohl mit einiger Berechtigung als jene identifizieren, die – etwas populistisch – häufig als die “Neuen Väter” bezeichnet werden. Väter, die diesem Cluster zugeordnet wurden, lassen sich v.a. dadurch beschreiben, daß sie, im Vergleich zu den beiden anderen Väter-Gruppen – drei Monate vor der Geburt ihrer Kinder – ihre Partnerschaft als glücklicher einschätzen. Dieser relativ hohen Partnerschaftsqualität bzw. diesen hohen Ansprüchen an die Partnerschaft können die “Neuen Väter” in weiterer Folge, nach der Geburt des Kindes, allerdings oft nicht mehr entsprechen. Sie befürworten eher egalitäre Partnerstrukturen und stehen einer traditionellen Rollenaufteilung, im Sinne einer Zuschreibung familiärer Belange primär an die Mutter und der beruflichen Aufgaben vorwiegend an den Vater, vergleichsweise ablehnend gegenüber. Dem bevorstehenden Familienzuwachs sehen sie unbelasteter entgegen, da sie auf viel Vorerfahrung im Umgang mit Säuglingen zurückgreifen können und – trotz interessanterweise relativ geringer Schulbildung – über einen hohen Informationsstand bezüglich der Pflege und Entwicklung von Babys verfügen. Diese Gruppe machte in unseren Erhebungen allerdings insgesamt nur ca. 13% aus.

(2) Eine zweite Gruppe läßt sich am treffendsten durch ihre ausgeprägte familiäre Orientierung charakterisieren, die sich schon während ihrer Jugend abzeichnete. Ihnen ist die Familie bzw. ihre Position als Familienoberhaupt sehr wichtig, sie behalten daneben aber ebenso ihr berufliches Weiterkommen stets im Auge. Dieser als “Familienorientierte Väter” bezeichenbaren Gruppe konnten etwa 32% aller von uns befragten Väter zugeordnet werden.

(3) Die mit ca. 55% größte Gruppe wurde von uns als “Eigenständige Väter” bezeichnet, da für sie das Zusammensein mit der Familie (z.B. gemeinsame Aktivitäten mit dem Kind), im Vergleich zu den beiden anderen Väter-Gruppen die geringste Bedeutung hat. In der Partnerschaft wird ihnen von ihren Partnerinnen relativ geringes Streitverhalten bestätigt, traditionelle Rollenverteilung wird eher abgelehnt.

Ein spezieller Aspekt betrifft nun die zeitliche Variabilität dieser Gruppenzugehörigkeiten, speziell in den ersten Jahren nach der Geburt des Kindes. Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle in erster Linie auf zwei bemerkenswerte Veränderungen im Verlauf dreier Untersuchungszeitpunkte – von der Schwangerschaft der Partnerin bis zum dritten Lebensjahr des Kindes hinweisen: Erstens verändert sich die Zuordnung zu den drei definierten Vätergruppen in dem halben Jahr um die Geburt des Kindes vor allem dahingehend, daß über ein Drittel – nämlich 37.5% – der ursprünglich “Neuen Väter” nun der Gruppe der “Eigenständigen Väter” zugeordnet wird und genau ein Viertel den “Familienorientierten Vätern”. Die Gruppe der “Neuen Väter” zerstreut sich also weitgehend in der Zeit um die Geburt des Kindes. Zweitens verzeichnet die auch absolut am zahlreichsten vertretene Gruppe der “Eigenständigen Väter” die stärksten Zuwachsraten in der ersten Zeit nach der Geburt des Kindes.

Obwohl sich dementsprechend “Neue Väter” also, absolut gesehen, nach wie vor deutlich in der Minderheit befinden, und trotz mancher berechtigten Vorbehalte, lassen sich die Forschungsresultate insgesamt dennoch als Trend zusammenfassen, daß die heutige Vätergeneration – natürlich im Durchschnitt betrachtet – grundsätzlich aufgeschlossener und positiver eingestellt ist gegenüber einer “Neuen Vaterschaft”, im Sinne eines hohen familiären Engagements und einer gleichberechtigten, partnerschaftlichen Aufteilung der Elternrollen, als etwa noch die Generation zuvor.

Die Einstellungen der Väter zu einer “Neuen Vaterschaft” – gekennzeichnet v.a. durch hohes familiäres Engagement und eine egalitäre Aufteilung der Elternrollen – sind zunehmend positiver

Diesen relativ offenen Grundhaltungen steht nun allerdings, wie wir alle wissen, eine Realität gegenüber, bei der von einem gleichrohen Anteil der Mütter und Väter an familiären Belangen keine Rede sein kann.

Die tatsächliche Familienarbeit wird – nach wie vor – zu einem weit überwiegenden Anteil von den Müttern geleistet

Es besteht – auch seitens der Forschung – breiter Konsens darüber, daß der Hauptanteil der im Haushalt und durch die Kinder anfallenden Arbeit in der Regel durch die Mütter geleistet wird. Es wäre nun müßig, alle diesbezüglichen wissenschaftlichen Untersuchungen bzw. Ergebnisse aufzählen zu wollen. Stellvertretend sei nur etwa die Zeitbudgeterhebung des Bundesministeriums für Jugend und Familie in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Statistischen Zentralamt von 1992 erwähnt, wonach der durchschnittliche österreichische Mann seine Zeit zu etwa 70% in den Beruf und nur zu ca. 30% in (unbezahlte) Familienarbeit investiert, während sich bei den österreichischen Frauen das Verhältnis genau umgekehrt darstellt.

Lassen wir uns durch dieses noch immer bestehende krasse Mißverhältnis aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Rollenverteilungen zwischen Müttern und Vätern sehr wohl im Wandel begriffen sind, wenn auch oft nur sehr langsam – vielen, vor allem naturgemäß den betroffenen Partnerinnen, verständlicherweise sehr oft zu langsam.

Als ein Indikator dafür, daß sich nicht nur die Einstellungen, sondern auch die tatsächlichen Verhaltensweisen des Durchschnittsvaters in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten deutlich verändert haben, sei die starke Involvierung rund um die Geburt des Kindes erwähnt. War die Anwesenheit des Vaters im Kreißsaal in den 70er-Jahren noch an vielen Kliniken sogar untersagt, so erleben heute (in den deutschsprachigen Ländern) etwa 90% aller Väter die Geburt ihres Kindes an Ort und Stelle mit, wobei 73% dieser Väter nachher angeben, daß ihre Anwesenheit einen wichtigen positiven Einfluß auf die Vater-Kind-Beziehung gehabt hat, und sogar über 90%, daß dies ihre Partnerbeziehung wesentlich bereichert hätte. Galten noch vor einer Generation kinderwagenschiebende Väter als verdächtiges Exotikum, so ist dieser Anblick heute nichts Außergewöhnliches mehr. Ebenso zählt Windelwechseln heute nicht mehr ausschließlich zur mütterlichen Domäne.

Eine Studie (Eitler, 1984) weist in einer generationsvergleichenden Analyse des väterlichen Erzieherverhaltens einen Zuwachs an Zärtlichkeit und Verständnis für die Kinder bei österreichischen Vätern nach, im Vergleich zu der Großvätergeneration.

Auch der Anteil der Väter unter allen alleinerziehenden Eltern wächst kontinuierlich und beträgt mittlerweile immerhin ca. 14%.

Das Schlagwort der “vaterlosen Gesellschaft”, geprägt von Paul Federn 1919 und übernommen – in etwas anderem Zusammenhang – von Alexander Mitscherlich 1963, paßt also nicht mehr ganz zur Beschreibung der gegenwärtigen österreichischen Situation – diese könnte treffender etwa als “vaterarm” bezeichnet werden.

Auch die Position des Vaters innerhalb der Familie hat sich – im Laufe der letzten beiden Generationen grundlegend gewandelt, von einer vorwiegend strafenden und machtausübenden Instanz, die sich primär über die Funktionen des Zeugens, Beschützens und Ernährens definieren ließ, hin zu einer auch emotional zugänglicheren Ansprechperson mit modifizierten Erzieheraufgaben und Funktionen als Identifikationsobjekt bzw. zunehmend auch als Freizeitpartner.

Die heutigen Kinder und Jugendlichen sind (in Österreich) auch die erste Generation, die ohne ein per Gesetz definiertes männliches Familienoberhaupt, also einen “pater familias” im klassischen Sinn, aufwachsen.

Ein weiteres Gesetz, welches den gesellschaftlichen Veränderungen in der Familie – ebenfalls relativ spät – Rechnung getragen hat, ist (in Österreich) das Eltern-Karenzurlaubsgesetz, welches seit 1. Jänner 1990 erstmals auch Vätern die Möglichkeit einräumt, in Karenz zu gehen.
 

Veränderungen in den Rollenbildern und Verhaltensweisen der Väter erfolgen zwar, allerdings nur sehr langsam

Trotz einer deutlichen Kluft zwischen Absichtserklärungen und willigen Einstellungen einerseits und dem realen Verhalten der Väter, im Sinne einer relativen familiären Absenz, andererseits, befinden sich die Rollenbilder und auch die typischen väterlichen Verhaltensweisen also in einem Wandel. Dieser mag zwar – wie die meisten gesellschaftlichen Veränderungen – subjektiv, aus der Zeitperspektive eines Menschenlebens, extrem langsam bis kaum merkbar erscheinen, aus der historischen Perspektive aber vergleichsweise rasch und auch von seiner Dimension her nicht unbedeutend.

Dennoch bzw. gerade deswegen stellt sich die Frage, wie dieser Prozeß der gleichberechtigten Aufteilung der Familienarbeit beschleunigt werden kann. So scheint es etwa vielen Müttern nicht wirklich der Weisheit letzter Schluß, darauf zu hoffen, daß – nach den Daten des Österreichischen Statistischen Zentralamtes – bei gleichbleibendem Tempo des Rollenwandels etwa im Jahr 2120 mit einem gleichen Anteil von Frauen und Männern an der Erwerbsarbeit zu rechnen ist.

Die Chancen auf weitere und schnellere Veränderungen, im Sinne einer gerechteren Arbeitsaufteilung zwischen Müttern und Vätern können aufgrund der bereits aufgeweichten Rollenklischees prinzipiell als hoch eingeschätzt werden.

Ein wichtiger, wenn auch mit gewisser Vorsicht zu genießender Hinweis betrifft in diesem Zusammenhang die wechselseitige Abhängigkeit einer “Neuen Väterlichkeit” von einer “Neuen Mütterlichkeit“. Als – vielbeschworene und eigentlich überflüssig sein sollende – Brücke zur Frauenpolitik lassen sie mich in diesem Rahmen einen Satz der Frauenrechtlerin Rosa Mayreder von 1905 zitieren (der auch auf den 500-Schilling-Banknoten zu lesen war): “Die beiden Geschlechter stehen in einer zu engen Verbindung, sind voneinander zu abhängig, als daß Zustände, die das eine treffen, das andere nicht berühren sollten”. – Ein Umdenken seitens der Väter bzw. eine Neudefinition der väterlichen Rolle erfordert notwendigerweise auch einen analogen bzw. komplementären Prozeß seitens der Mütter – ein Prozeß, der auch vielen Müttern nicht nur leicht fällt, da dies sehr wahrscheinlich auch mit einer teilweisen Aufgabe von bisher ausschließlich der Mutter übertragenen Kompetenzbereichen verbunden ist.

Eine mangelnde Bereitschaft der Mütter zu Veränderungen sollte allerdings nicht als Ausrede mißbraucht und als Ursache für die Verhinderung einer “Neuen Väterlichkeit” angeführt werden – zumal gerade die Mütter durch familiäre Umstrukturierungen in der Regel mehr zu gewinnen als zu verlieren haben.

Insgesamt stellt ein Abweichen von eingefahrenen Rollenzuschreibungen und traditionellen Rollenaufteilungen zwischen Müttern und Vätern zwar ein gewisses Risiko dar, im Endeffekt scheinen die gleichzeitigen Chancen einer modifizierten Rollenverteilung, die negativen Aspekte aber zu überwiegen: für die Väter vor allem die Möglichkeit, das Aufwachsen ihrer Kinder bewußter und intensiver mitzuerleben und auch die Partnerschaft nicht völlig der Karriere unterzuordnen, für die Mütter vor allem die Möglichkeit, Familiengründung und außerfamiliäre Aktivitäten besser vereinbaren zu können.

Die Verwirklichung einer “Neuen Väterlichkeit” – die unter dem oben erwähnten komplementären Aspekt besser auf den Begriff einer “Neuen Elterlichkeit” ausgedehnt werden müßte – erfordert neben einer entsprechenden bewußtseinsmäßigen Bereitschaft allerdings auch entsprechende Rahmenbedingungen, die eine Umsetzung der angestrebten Idealvorstellungen erst ermöglichen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal auf das vorhin erwähnte Beispiel der Karenzzeit für Väter zurückkommen: trotz der gesetzlichen Möglichkeit nehmen Väter nur in Ausnahmefällen diese Option auch tatsächlich in Anspruch, wobei sich die Zahlen seit Jahren konstant bei ca. 1-2% aller Karenzgeldbeziehenden bewegen.

Demgegenüber erklären z.B. in unserer Studie 56% aller Väter dezitiert, sie hätten unter anderen Voraussetzungen sehr wohl die Karenzzeit in Anspruch genommen, wobei unter “anderen Voraussetzungen” vor allem – nämlich zu 67% – ein höheres Einkommen der Partnerin, Möglichkeiten der Teilzeitarbeit für beide Eltern (zu 38%) und mehr Verständnis von seiten des Arbeitgebers (zu 36%) angeführt werden. Selbst unter Konzedierung eines gewissen Effektes der sozialen Erwünschtheit der Angaben scheint es zu einfach und bequem, diese massive Diskrepanz zwischen dem prinzipiell angestrebten bzw. befürworteten und dem tatsächlichen Verhalten ausschließlich auf mögliche “Lippenbekenntnisse” der Väter zurückführen zu wollen. Die Diskrepanz zwischen den grundsätzlich positiven Einstellungen der Väter und ihrem Verhalten läßt sich hier – wie in vielen anderen Fragen – zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil auch auf strukturelle Barrieren zurückführen. Notwendige flankierende familienpolitische Maßnahmen scheinen der bewußtseins- und einstellungsmäßigen Bereitschaft zu einer “Neuen Väterlichkeit” gegenwärtig leider eher hinterherzuhinken. Nickel (1996) betont als vielleicht wichtigstes Resultat seiner interkulturellen Vergleichsstudien zur Elternschaft, daß Unterschiede in gesellschaftspolitischen Gegebenheiten – wie etwa gesetzliche Karenzzeitregelungen – zu gravierenden Verhaltensunterschieden von Vätern und Müttern führen können, die sich in weiterer Folge sehr wahrscheinlich auch nachhaltig auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder auswirken.

Es scheint mir deshalb wichtig, die Bereitschaft der Väter zu mehr familiärem Engagement und partnerschaftlicherer Arbeitsaufteilung nicht nur in den Köpfen zu verankern, sondern auch die entsprechenden äußeren Bedingungen und Anreize zu schaffen, um eine tatsächliche Umsetzung dieser psychologisch so wichtigen Anliegen nicht – etwa durch finanzielle Einbußen für die Familie – zu behindern. Sie sollten in größtmöglichem Ausmaß gefördert und die entsprechenden Anreize geschaffen werden, um etwa den einen oder anderen unentschlossenen Vater doch dazu zu bewegen, die ersten Lebensjahre seines Kindes nicht nur de facto an manchen Wochenenden mitzuerleben.

Wichtige Voraussetzungen für eine auf breiter Basis praktizierten “Neuen Vaterschaft” bilden entsprechende familienpolitische Maßnahmen

Familienpsychologische Veränderungen brauchen – wie bereits vorher ausgeführt – in der Regel Zeit. Ein sehr wirkungsvoller Mechanismus, nach welchem auch Rollenzuschreibungen und -klischees tradiert werden, ist das soziale Modellernen – Söhne übernehmen also letztlich zu einem Gutteil das Verhalten ihrer Väter. Es wäre daher unklug, gleichsam von heute auf morgen “Neue Väter” zu erwarten.

Familienpolitik hat demgegenüber den Vorteil, gesetzliche Maßnahmen und Regelungen kurzfristiger umsetzen zu können. Es scheint daher auch aus familienpsychologischer Perspektive notwendig, eine engagierte und verantwortungsbewußte Familienpolitik, die sich auch ihrer potentiellen gesellschaftspolitischen Vorreiterrolle bewußt ist, einzufordern.

Dies umso mehr, als die zentrale Frage der Zukunft im Zusammenhang mit neuen Lebensformen in der Familie nicht mehr so sehr das Verhältnis bzw. den Konflikt zwischen Müttern und Väter an sich betrifft, sondern das Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf – wie Lily Boeykens, die Präsidentin des Internationalen Frauenrates bei einer Konferenz über den Wandel der Familie anläßlich des Internationalen Jahres der Familie, 1994, in Brüssel pointiert feststellte. Daß dies nicht ausschließlich durch familienpsychologische Maßnahmen und eine noch so hohe Bereitschaft zur “Neuen Vaterschaft” erzielt werden kann, scheint evident.

Ziel, sowohl aus familienpolitischer wie auch aus familienpsychologischer Sicht sollte wohl sein, beiden Elternteilen eine echte Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Modellen zu ermöglichen, um das von ihnen gewünschte Arrangement verwirklichen zu können, sei es nun das traditionelle – mit einem vollzeitarbeitenden Vater und einer sich primär um Haushalt und Kinder kümmernden Mutter – oder aber jenes Modell mit einem “Neuen Vater”, der im wesentlichen seine Zeit ausgewogen und seinen Vorstellungen gemäß der Familie und außerfamiliären Tätigkeiten widmet ebenso wie auch seine Partnerin. Die Entscheidung für dieses Modell stellt durch das Verlassen gewohnter und erprobter Rollenbilder zwar noch immer ein gewisses Risiko dar, da des öfteren Widerstände, bewußtseinsmäßige wie strukturelle, überwunden werden müssen, beinhaltet aber auch – wie bereits erwähnt – gleichzeitig eine große Chance auf tiefgreifende und nachhaltige Verbesserungen für zukünftiger Lebensformen.

Die meisten Forschungsresultate deuten – um es abschließend noch einmal zusammenzufassen – darauf hin, daß, bei noch zu verbessernden familienpolitischen Rahmenbedingungen, die potentiellen Vorteile dieses letztgenannten Modells aus psychologischer Sicht, für die Kinder, die Mütter und die Väter selbst, überwiegen.

Literatur

  • Boeykens, L. (1993). The father in focus. In Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.), Changing Families in Changing Societies. Proceedings of the International Conference in Brussels, 8 – 10 February 1992 (Materialien zur Bevölkerungswissenschaft, Sonderheft 21) (S. 164-170). Wiesbaden: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.
  • Bowlby, J. (1951). Maternal Care and Mental Health. New York: Columbia Press.
  • Bundesministerium für Jugend und Familie. (Hrsg.). (1995). Wo kommt unsere Zeit hin? Beruf – Familie – Freizeit. Das Zeit-Budget der österreichischen Familien. Wien: Autor.
  • Eitler, G. (1984). Der Vater – Erzieherverhalten in der Generationenfolge. Unveröffentlichte Diss., Universität, Wien.
  • Federn, P. (1919). Zur Psychologie der Revolution – Die vaterlose Gesellschaft. Wien: o.V.
  • Mitscherlich, A. (1963). Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft. Ideen zur Sozialpsychologie. München: Piper & Co.
  • Nickel, H. (1996). Sozial-kulturelle Faktoren der Familienentwicklung beim Übergang zur Elternschaft – Ausgewählte Ergebnisse eines interkulturellen Forschungsprojektes aus drei Kontinenten. In W. Edelstein, K. Kreppner & D. Sturzbecher (Hrsg.), Familie und Kindheit im Wandel (S. 273-286). Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg.
  • Nickel, H. & Köcher, E. M. T. (1986). Väter von Säuglingen und Kleinkindern. Zum Rollenwandel in der Bundesrepublik Deutschland. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 33, 171-184.
  • Rollett, B. & Werneck, H. (1993). Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für den Übergang zur Elternschaft. Wien: Universität, Institut für Psychologie, Abteilung für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie.
  • Werneck, H. (1996). Übergang zur Vaterschaft. Eine empirische Längsschnittstudie. Unveröff. Diss., Universität, Wien.
  • Werneck, H. (1997). Belastungsaspekte und Gratifikationen beim Übergang zur Vaterschaft. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 44, 276-288.
  • Werneck, H. (1998). Übergang zur Vaterschaft. Auf der Suche nach den “Neuen Vätern”. Wien: Springer-Verlag.
  • Werneck, H., Nickel, H., Rollett, B. & Yang, M.-S. (1996). Kinder als Wert oder als Belastung? Einstellungen deutscher, österreichischer und südkoreanischer Eltern im Vergleich. In K. U. Ettrich & M. Fries (Hrsg.), Lebenslange Entwicklung in sich wandelnden Zeiten (S. 298-305). Landau: Verlag Empirische Pädagogik.
  • Werneck, H. & Rollett, B. (1994). Übergang zur Elternschaft. In G. Gittler, M. Jirasko, U. Kastner-Koller, C. Korunka & A. Al Roubaie (Hrsg.), Die Seele ist ein weites Land. Aktuelle Forschung am Wiener Institut für Psychologie (S. 175-182). Wien: WUV – Universitätsverlag.
  • Quelle
  • Aus: Harald Werneck, Übergang zur Vaterschaft. Auf der Suche nach den “Neuen Vätern”, Wien, New York, Springer-Verlag, 1998 bzw. aus einem Referat anläßlich der Fachtagung “Familie und Neue Lebensformen” der Politischen Akademie, am 12. November 1997.

Autor

Ass.-Prof. Mag. Dr. Harald Werneck, Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe

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Erstellt am 24. Juli 2001, zuletzt geändert am 31. Juli 2013
 

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