Wenn aus Eltern Großeltern werden

Helga Gürtler
Hguertler

Wie war das, als Sie in der Klinik Ihr Verwandtschaftsverhältnis zu dem neuen Erdenbürger angeben wollten: “Wir sind die Großeltern”. Ist Ihnen das leicht über die Lippen gegangen? Vielleicht sind Sie aber auch, weil Ihr Sohn oder Ihre Tochter eine neue Partnerschaft eingegangen ist, Hals über Kopf Großeltern einer Sechsjährigen, eines Zehnjährigen geworden. Haben Sie schnell und freudig reagiert, als Sie vom Enkelkind das erste Mal “Oma” oder “Opa” gerufen wurden? Oder ist es Ihnen immer noch lieber, wenn der Nachwuchs Sie in der Öffentlichkeit “Inge” oder “Florian” nennt?

Es ist ein komisches Gefühl, jetzt – da die eigenen Kinder endlich flügge sind, seit man wieder mehr Zeit und noch unheimlich viel vor hat – auf einmal zur “älteren Generation” zu gehören, zu der, die als nächste vom Sterben bedroht ist. Das macht einen schon nachdenklich.

Trotzdem bedeutet die Tatsache, dass Sie jetzt Enkelkinder haben, nicht, dass Sie zum alten Eisen gehören, denn möglicherweise sind Sie kaum älter als die Nachbarin, die mit über vierzig noch einmal Mutter geworden ist – von Vätern in hohem Alter ganz zu schweigen. Sie können vierzig sein, sechzig oder siebzig, und das macht schon einen ganz schönen Unterschied.

Es hat viele Vorteile, Großeltern zu sein

Ich nehme an, Sie lieben Ihr Enkelkind bzw. Ihre Enkelkinder und möchten so viel wie möglich von ihrer Entwicklung mitbekommen. Da fängt alles noch einmal von vorn an. Noch einmal sehen Sie so ein Menschenkind das erste Mal lächeln, sich aufrichten, stehen, laufen. Sie beobachten, wie es sprechen lernt, die ersten Dummheiten macht, sich die ersten Beulen und Schrammen holt.

Aber das ist das Schöne: Sie sind nicht mehr für all und jedes, was dieses Kind braucht, verantwortlich. Sie müssen sich seinetwegen nicht mehr die Nächte um die Ohren schlagen, und wenn seine Unternehmungslust zu sehr an Ihren Nerven zerrt, können Sie es wieder bei den Eltern abliefern und sich erholen.

Sie müssen nicht mehr, Sie dürfen! Sie können all das, was die jungen Eltern jetzt mit viel Engagement und Aufwand betreiben, mit Abstand betrachten. Nase zerschrammt, Beule auf der Stirn? Das hatten Ihre viele Dutzend Mal und sind trotzdem groß geworden – das verwächst sich. Dreizehn Monate alt, und läuft immer noch nicht? Immer mit der Ruhe, das kommt schon noch. Probleme mit der optimalen Ernährung? Gebt ihr, worauf sie Appetit hat; wenn sie Hunger hat, wird sie schon essen.

In Sachen Entwicklung, Erziehung und Ernährung haben Sie sicher einige Glaubenslehren aufkommen und auch wieder verschwinden sehen. Und kaum eine der Katastrophen, die vorhergesagt wurden, wenn man sich nicht daran hält, ist wirklich eingetreten. Wahrscheinlich die wichtigste Erkenntnis, die Großeltern Eltern voraushaben, ist die, dass “viele Wege nach Rom führen” , dass es fast immer verschiedene Möglichkeiten gibt, Kinder gesund und glücklich aufwachsen zu lassen. An dem verzweifelten Bemühen, den einen und einzig richtigen Weg zu finden, müssen Sie sich nicht mehr beteiligen.

Sie müssen sich auch nicht mehr für alles verantwortlich fühlen. Die großen Linien der Erziehung bestimmen die Eltern, nicht die Großeltern. Aber es gibt eine Menge Nischen, in denen Sie im Umgang mit den Enkeln das machen können, was Ihnen augenblicklich als das Beste oder Angenehmste erscheint, ohne sich ständig fragen zu müssen, was daraus später einmal werden soll. Das Kind zu spät ins Bett gebracht, gegen jeden Verstand am späten Abend noch einen Spaziergang durch die dunklen Straßen gemacht? Ich weiß, Eltern mögen so etwas nicht, aber Kinder lieben Großeltern, bei denen manchmal geht, was zu Hause nicht möglich ist. Und ab morgen kann ja auch wieder Ordnung einkehren.

Enkelkinder bieten die Chance, das, was man an der Erziehung der eigenen Kinder im Nachhinein nicht so gut findet, noch einmal neu und anders zu probieren. Wie viele Väter bedauern es zum Beispiel, ihren eigenen Kindern zu wenig Zeit gewidmet, sich auch zu wenig für ihre Entwicklung, ihre Spiele und Gedanken interessiert zu haben. Im Umgang mit den Enkeln können sie zeigen, dass sie daraus gelernt haben.

Enkel zu haben hält jung. Wären Sie noch mit fünfundfünfzig auf einem Klettergerüst herum gestiegen, hätten Sie gelernt, am Computer durch Labyrinthe zu laufen oder Lemminge zu retten, wüssten Sie den Unterschied zwischen Hip-Hop- und Techno-Musik, wenn Sie keine Enkelkinder hätten? Mit Kindern umzugehen verlangt, geistig wie körperlich beweglich zu bleiben, immer wieder etwas Neues kennen zu lernen, aufzunehmen, sich damit auseinanderzusetzen. Den Enkeln bei den Hausaufgaben zu helfen oder mit ihnen über den Sinn des Englischunterrichts zu debattieren, ist mindestens so gut wie ein Volkshochschulkurs zum Gedächtnistraining für Senioren. Und Sie kriegen das alles gratis!

Wie Sie mit Ihrer Rolle als Großeltern umgehen, das bestimmen Sie selbst

Vor einigen Generationen waren die allgemeinen Erwartungen an Großeltern – besonders an Großmütter – ganz klar: Großmütter waren alt. “In dem Alter” schickte sich manches einfach nicht mehr – dauergewellte Haare, flotte Kleidung in leuchtenden Farben, im Bikini am Strand liegen oder in der Öffentlichkeit tanzen. Man hatte mit den lauten Freuden des Daseins abzuschließen, unscheinbarer, leiser und weiser zu werden. Die Großmutter vieler Kinderbücher hat schlohweißes Haar und einen Dutt, trägt Schürze und weite Röcke, in denen sich Enkelkinder verstecken können. Sie ist zuständig für die Zubereitung besonderer Leckerbissen, für Seelentrost und Märchenerzählen. Diese Großmütter gibt es auch heute noch. Aber nicht jede, die ein Enkelkind bekommt, kann oder mag diesem Bild entsprechen.

Oma oder Opa zu sein, verpflichtet heute nicht mehr zu einem bestimmten Verhalten. Jede und jeder richten sich weiterhin das Leben so ein, wie sie es für erstrebenswert halten. Die eine hat sich vielleicht gerade in den letzten, zu Hause etwas ruhigeren Jahren noch einmal mit voller Energie in ihren Beruf gestürzt. Andere planen endlich die ausgiebigen Reisen, die immer aufgeschoben wurden, so lange die Kinder mitfuhren. Oder sie verbringen viel Zeit in diesem Verein und mit jener Initiative. Sie haben jedenfalls nicht die Absicht, unentwegt Enkelkinder zu hüten, damit sich die jungen Leute ungezwungener bewegen können. Müssen sie auch nicht. Sie haben ihre Pflichten als Eltern erfüllt. Jetzt dürfen sie das Ganze aus der zweiten Reihe erleben.

Enkel schätzen das an ihren Großeltern, was sie von den Eltern aus verschiedenen Gründen nicht haben können: Menschen, die nicht mehr so in Eile leben, die alles nicht so verbissen sehen, die eher mal fünfe grade sein lassen, auch mal eine verrückte Dummheit mitmachen und sich darauf einlassen, Mama nichts davon zu erzählen. Und weil im Grunde alle allen sehr zugetan sind, leidet das gute Einvernehmen darunter nur vorübergehend.

Für die Enkel sind Großeltern lebendige Zeugen einer Zeit, die sie sonst nur noch aus Büchern oder in alten Filmen kennen lernen. Die kleinen Alltäglichkeiten, die Opa und Oma erzählen können, machen Geschichte lebendig, das prägt sich ein.

Aber dieses vertraute Verhältnis zu Kindern und Enkelkindern fällt nicht vom Himmel. Es muss erarbeitet werden. Großeltern können auch verständnislose Besserwisser sein, Menschen, die man besuchen muss, damit sie nicht beleidigt sind, die wenig Verständnis für quirlige Enkelkinder haben und nichts mehr lieben als ihre Ruhe und Ordnung. Wenn ihre Berichte aus der eigenen Kinderzeit unter dem Motto stehen: “Das hätte ich mir bei meinem Vater mal erlauben sollen!”, werden sie kaum aufnahmebereite Zuhörer finden.

Was für eine Oma, was für ein Opa möchten Sie sein?

Nach meinen Erfahrungen, nach den Berichten, die ich im Laufe der Jahre über das Verhalten von Großeltern bekommen habe, möchte ich Ihnen eine (nicht so ganz ernst gemeinte) Typenliste zusammenstellen. Sie können prüfen, ob Sie sich in dem einen oder anderen Typ wieder erkennen, ob Sie so sein möchten – oder lieber ganz anders.

Oma-Typen

Die Kümmer-Oma glaubt, dass alles gegen den Baum läuft, wenn sie die Dinge nicht selbst in die Hand nimmt. Sie traut den junge Eltern nicht zu, einen geordneten Haushalt zu führen, und meint, dass sie sowieso alles verkehrt machen. Sie will die Lehrerin wegen der ungerechten Zensur anrufen und den Hauswirt wegen der undichten Fenster. Sie besorgt Reiseprospekte für Bayern, wenn Eltern und Kinder lieber an die Ostsee wollen, und räumt die Möbel um, wenn die jungen Leute sie in der Wohnung allein lassen.

Die Fütter-Oma: Ihr wichtigstes Anliegen ist, die Kinder und Enkelkinder mit ausreichender Nahrung und allerlei Leckerbissen zu versorgen. Sie legt polnische Gurken ein, backt Plätzchen, kocht Apfelmus und macht Klöße zum Einfrieren. Wenn man sie besucht, fragt sie als erstes nicht: “Seid Ihr schon mit dem Tapezieren fertig?” oder “Hast du den Schlüssel wieder gefunden?” sondern: “Hast du schon was gegessen?” Und nichts, vor allem nicht völlige Appetitlosigkeit kann sie davon abhalten, dann erst einmal aufzutischen.

Die flotte Oma sieht aus wie Mamas Schwester, geht regelmäßig in das Fitnesscenter und zur Kosmetikerin. Sie hat beim Tanzturnier gerade einen neuen Freund kennen gelernt, den sie aber auf Abstand hält, weil sie nicht daran denkt, sich noch einmal so eng zu binden. Sie liebt ihre Enkelkinder, ist aber auch nicht traurig, wenn diese nach einigen Stunden wieder gehen, weil sie noch etwas vorhat.

Die Nasewärm-Oma: Bei ihr ist es immer ungeheuer gemütlich. Sie ist ganz für das Enkelkind da, wenn es zu ihr kommt. Sie ist überzeugt, dass alles, was es ihr erzählt, die absolute und nicht etwa eine einseitige Wahrheit ist. Sie glaubt, ihr Enkelkind gegen eine ganze Welt von Ignoranten in Schutz nehmen zu müssen, und ist unerschütterlich parteiisch.

Die Strick- und Stopfoma ist ständig auf der Suche nach Socken mit Löchern, abgerissenen Knöpfen und ausgefransten Hosenbeinen. Wenn man nicht aufpasst, flickt sie die Risse in den Jeans, die die Enkel da kunstvoll angebracht haben. Sie strickt Wollmützen, die kratzen, und wunderbar dicke Socken, die das Tragen von Hausschuhen überflüssig machen.

Die Neugier-Oma will alles ganz genau wissen, um sich alles erklären, die richtigen Zusammenhänge herstellen zu können. Sie fragt Kindern und Enkeln Löcher in den Bauch, gibt erst Ruhe, wenn man ihr auch das letzte Geheimnis anvertraut hat. Für sich behalten kann sie es aber nicht immer, denn sie muss schließlich beweisen, dass sie noch andere Quellen hat, wenn sie herausfinden will, wie es wirklich gewesen ist.

Die Übelnehm-Oma erwartet, dass man immer an das denkt, was man mitzubringen oder zu machen versprochen hat, niemals Opas Todestag vergisst, nie in unpassender Kleidung zum Familienessen erscheint. Verstößt ein Enkelkind dagegen, hält sie das für den schlagenden Beweis eines Mangels an Zuneigung und Achtung. Ihre ständige Sorge ist auch, was die Leute denken, wenn die Enkelin jedes Mal mit einem anderen Freund oder längere Zeit überhaupt nicht zu Besuch kommt.

Die Feuerwehr-Oma beklagt sich ständig über ihre Unentbehrlichkeit, ist aber zuverlässig zur Stelle, sobald sie gebraucht wird. Sie sagt ihren Rommé-Abend ab, wenn der Enkel Fieber hat, bleibt – wenn auch schimpfend (“Was würdet ihr bloß ohne mich machen!”) – über Nacht, wenn die Eltern spät nach Hause kommen.

Die Emanzen-Oma verbündet sich mit der Schwiegertochter gegen Sohn und Mann, weil sie meint, Frauen müssten zusammenhalten. Sie empfiehlt der Schwiegertochter, dem Sohn nicht alles nachzuräumen und ihm abends ruhig die Kinder zu überlassen, um sich selbst etwas zu gönnen. Sie liest “Emma” und gibt sie danach ihrer Schwiegertochter. Sie kauft ihrer Enkelin eine Lederhose, damit diese besser auf Bäume klettern kann.

Die Muster-Oma ist lieb, leise, selbstlos und rücksichtsvoll. Sie versucht mit ziemlichem Erfolg, alle Fehler zu vermeiden, die angeblich böse Schwiegermütter so machen. Sie ist ständig um Gerechtigkeit und Ausgleich bemüht. Sie tritt selten jemandem zu nahe, und wenn doch, entschuldigt sie sich. Allen Wünschen, die an sie gerichtet werden, versucht sie zu entsprechen. Ihr Lieblingsspruch ist: “Ich bin zufrieden, wenn es euch allen gut geht” . Nur hat sie dabei völlig vergessen, auch einmal an sich selbst zu denken. Was sie selbst sich wünscht, was sie gern täte oder von anderen bekäme, weiß sie kaum noch. Da war doch noch etwas???

Opa-Typen

Der Spiel-Opa rutscht zur Verblüffung seiner Frau mit den Enkeln auf dem Fußboden herum, ist Pferd, Dampfer oder Brücke. Er singt, hüpft und wackelt mit den Ohren, und es ist ihm völlig egal, was die Leute von ihm denken.

Der Mecker-Opa hält die heutige Jugend für zu wild und überhaupt für schlecht erzogen. Er braucht seine Ruhe, darf vor allem nicht beim Zeitungslesen oder beim Fernsehen gestört werden. Er sagt wenig, kann aber unvermittelt furchtbar “aus der Haut fahren” , wenn man zum Beispiel über seine Blumenrabatten rennt oder seine Tabakpfeife für den Schneemann benutzt. Zu diesem Opa bleiben die Enkelkinder lieber auf Distanz.

Der Chaoten-Opa vergisst bei herbstlichem Nieselwetter, dem Kind einen Anorak anzuziehen, wenn er mit ihm auf den Spielplatz geht. Er füttert den Einjährigen mit Eisbein und Sauerkraut oder klettert mit dem Halbwüchsigen im Schwimmbad über den Zaun, um das Eintrittsgeld zu sparen. Er hat alles vergessen, was früher bei den eigenen Kindern gültig war. Oder will er etwas gutmachen? Die Enkelkinder neigen dazu, von dem, was sie bei diesem Opa gemacht haben, zu Hause möglichst wenig zu erzählen.

Der Besserwisser-Opa liegt ständig im Streit mit dem Vater über unnötige Geldausgaben, richtiges Verhalten im Büro oder falsch abgeschlossene Verträge. Er weiß nicht nur alles – er weiß es vor allem besser. Nach Gesprächen mit ihm sind die Eltern gereizt und fauchen wegen jeder Kleinigkeit ihre Kinder an.

Der Abenteuer-Opa hat viele Ideen für Unternehmungen, die aber fast immer schief gehen. Wenn er mit den Enkeln zum Tierpark fährt, ist der bestimmt seit Monaten geschlossen. Wenn sie mit dem Zug fahren, hat Opa die Anschlüsse falsch herausgesucht oder sich mit den Zeiten völlig verschätzt. Aber zum Schluss kriegt er alles noch irgendwie hin und verhilft seinen Enkeln zu sehr spannenden Unternehmungen.

Der Finanzierungs-Opa lebt selbst sehr sparsam und hält seine Kinder für verantwortungslose Verschwender. Er genießt es aber, wenn sie ihn um Geld bitten müssen, das er mit vielen Vorhaltungen über schlechtes Wirtschaften dann doch immer zuschießt – obwohl er jedes Mal den Eindruck erweckt, dass man ihn mit diesem Ansinnen endgültig an den Bettelstab gebracht hat.

Der Reparier-Opa findet überall Dinge, die “dringend mal gemacht werden müssen” . Aus Familien-Kaffeerunden verschwindet er leise, weil ihm alle viel zu viel quatschen. Man findet ihn dann im Keller, wo er gerade ein Regal befestigt oder Werkzeug sortiert. Er sammelt Bretter, Schrauben, Waschmaschinen- und Autoteile und stellt befriedigt aus diesem Fundus zur Verfügung, was man sonst schon wieder neu kaufen müsste.

Vielleicht suchen Sie sich aus diesem Panoptikum eine für Sie passende Rolle heraus. Womöglich finden Sie diese auch bei den Beschreibungen für das andere Geschlecht. Das macht nichts – so eng dürfen Sie das nicht sehen: Reparier-Oma und Nasewärm-Opa – wieso denn nicht? Am besten mixen Sie sich einen Cocktail zurecht, ein bisschen von diesem, das meiste von jenem – so wie Sie, Ihre Kinder und Enkelkinder das gerade brauchen!

Gute Großeltern müssen nicht ständig und für alles zur Verfügung stehen

Bei aller Zuneigung dürfen Sie es trotzdem laut sagen: Enkel bedeuten auch Stress. Wenn so ein kleiner Entdecker zum dritten Mal den Nähkasten ausgekippt, den Saft auf den Tisch gegossen, sich beim Besteigen der Fußbank die Nase gestoßen und längere Zeit steinerweichend gebrüllt hat, dann dürfen Sie auch froh sein, dass er jetzt wieder geht, weil er ins Bett muss, und dass Sie nicht noch einmal die ganze Wohnung umräumen müssen, damit diese seiner Unternehmungslust gefahrlos standhalten kann.

Muten Sie sich im Umgang mit den Enkeln nicht mehr zu, als Sie gern tun und verkraften können. Ihre Kinder sähen es vielleicht gern, wenn Sie mehrmals im Monat bis nachts um 2 Uhr die Wacht am Kinderbett übernähmen oder gleich bei ihnen übernachteten und erst morgens wieder nach Hause kämen. Sie aber sind ab 11 Uhr müde, schlafen schlecht in fremden Betten, lassen Ihren Partner ungern über Nacht allein. Dann sagen Sie das, und weigern Sie sich.

Sicher, es ist wichtig, dass Eltern auch einmal etwas ohne Kinder unternehmen, sich vom Elternsein erholen und wieder Liebespaar sein dürfen. Das kommt über eine entspanntere Haltung dann auch den Enkelkindern zugute. Aber mit dem gleichen Recht dürfen Großeltern auf der Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse bestehen. Wenn die jungen Leute abends nur zum Konzert und nicht anschließend noch in die Kneipe können, ist das ja auch schon was.

Wenn Sie sich ständig zu Hilfsdiensten “breitschlagen” lassen, die Ihnen eigentlich zu viel sind, bricht sich das früher oder später in offenen oder verdeckten Vorwürfen Bahn, und das ist Gift für den Familienfrieden. Erwarten Sie auch nicht, dass die jungen Leute von sich aus merken, was zu viel für Sie ist, und darauf Rücksicht nehmen. So lange Sie, wenn auch mit entsagungsvollem Unterton sagen: “Ja ja, geht nur, ich mach das schon”, so lange wird das wahrscheinlich auch angenommen. Wenn Eigennutz dagegen steht, wird man auf dem Ohr leicht schwerhörig. Übernehmen Sie nur das, was keinen Groll in Ihnen entstehen lässt, kein Gefühl, über Gebühr ausgenutzt zu werden!

Eine unfaire Methode ist es, etwas erst zu übernehmen und dann hinterher den Eltern ein schlechtes Gewissen zu machen – etwa so: “Die Kinder haben überhaupt nicht schlafen können. Sie haben immer wieder gefragt, wo ihr denn so lange bleibt!” Das erzeugt in den Eltern Ärger. Ärger statt Dankbarkeit. Wollen Sie das?

Sagen Sie Kindern und Enkelkindern klar, was Sie nicht mögen oder nicht mehr können. Wenn Sie montags abends regelmäßig zum Sport gehen, sind Babysitterdienste am Montag eben nicht möglich. Und schon der Zweijährige wird sich daran gewöhnen, dass Sie ihn nicht herumtragen können, weil Ihnen sonst der Rücken weh tut. Reden Sie klar über das, was erwartet wird und akzeptiert werden soll. Machen Sie nicht Vermutungen zur Richtschnur Ihres Handelns. Sie laufen womöglich mehrmals in der Woche zu Ihren Kindern und Enkeln, erledigen dort die halbe Hausarbeit, obwohl es Ihnen eigentlich zu viel ist. Sie tun dies, weil Sie den Eindruck haben, dass die junge Familie ohne Ihre Hilfe gar nicht zurechtkommt. Aber Ihre Schwiegertochter fühlt sich womöglich kontrolliert und bevormundet, würde lieber ein bisschen chaotischer, dafür aber selbstbestimmt wirtschaften. Das muss früher oder später zu bissigen Bemerkungen, Kränkungen und Streit führen. Klären Sie es deshalb lieber beizeiten.

Sie bestimmen, was den Enkelkindern in Ihrer Wohnung erlaubt sein soll und was nicht

Als Ihre Kinder klein waren, haben Sie bestimmt die ganze Wohnung so eingerichtet, dass sich die Kinder möglichst unbefangen und ungefährdet bewegen konnten. Alles Zerbrechliche und Gefährliche weit nach oben, keine Schleiflackmöbel und empfindlichen Teppiche, und an Fingerspuren und Graffiti an Wänden und Türen haben Sie sich gewöhnt. Aber später haben Sie es genossen, alles wieder ein bisschen ansehnlicher zu machen – dies und jenes schöne Stück, Schranktüren ohne Schlösser, helle Tapeten. Und jetzt alles wieder von vorn? Wieder klaglos klebrige Möbel und Fingerspuren an den Tapeten ertragen? Ist das der Preis dafür, als Oma geliebt zu werden? Das entscheiden Sie!

Wenn Sie bei jedem zerkrümelten Keks, jedem umgeworfenen Glas ein saures Gesicht machen und eine Putzaktion starten, werden Ihre Kinder und Enkel nicht oft kommen. Wollen Sie das? Dann machen Sie es so. Wollen Sie es nicht, suchen Sie nach einem Kompromiss, mit dem alle leben können. Stellen Sie die zarten Nippes weit nach oben, dann brauchen Sie nicht ständig aufzupassen und zu schimpfen. Binden Sie den Nähkasten zu, damit sich niemand mit Schere und Stecknadeln verletzen kann. Und dass man bei Ihnen mit den losen Sofakissen keine Höhlen bauen darf, werden Ihre Enkel akzeptieren – erst recht, wenn Sie ihnen als Ersatz vorschlagen, eine Decke über den Couchtisch zu hängen und darunter Höhle zu spielen.

Es ist wenig sinnvoll, wenn Sie Ihren Kindern Vorwürfe machen, dass sie die Enkel nicht dazu anhalten, sich “anständig” zu benehmen, oder wenn Sie zähneknirschend dulden und übel nehmen. Was in Ihrer Wohnung gelten soll und was nicht, legen Sie – so freundlich und entschieden wie möglich – selbst fest. Die Maßstäbe können sehr unterschiedlich sein, und mit Anstand hat das gar nichts zu tun. Bei einem sonst unternehmungsfreudigen Opa, einer sonst geliebten Oma ertragen Kinder auch die ein oder andere Marotte.

Enkel als Dauergäste

Wenn Ihre Enkel nicht nur gelegentliche Besucher, sondern Dauergäste in Ihrer Wohnung sind, sieht das alles ein bisschen anders aus. Hut ab vor Ihnen, wenn Sie beschlossen haben, das Großziehen Ihres Enkelkindes vorwiegend oder ganz selbst zu übernehmen. Vielleicht blieb Ihnen nichts anderes übrig, weil das Kind nicht bei seinen Eltern leben kann. Dann haben Sie, obwohl Sie die Großeltern sind, jetzt wieder die Funktion von Eltern, müssen Hilfe für den Umgang mit den Enkelkindern auch eher in Elternratgebern suchen.

Einiges wird freilich anders sein als bei “echten” Eltern. Gleichaltrige Freunde von früher werden vielleicht wenig Verständnis für Ihre neue Angebundenheit haben, der Kontakt wird nachlassen. Dafür werden Sie mehr Kontakt zu jüngeren Menschen als zu Gleichaltrigen bekommen – zu jungen Müttern auf dem Spielplatz, Eltern aus Kindergarten und Schulklasse. Und dabei werden Sie sich manchmal etwas fremd vorkommen. Aber noch mehr als andere Großeltern können Sie bei aller Mühe auch den Vorteil genießen, noch einmal in ständigen Kontakt zu Neuem zu kommen, gefeit zu sein gegen die Erstarrung in eigenen, lange gepflegten Gewohnheiten.

Kein Klotz am Bein werden

So lange Großeltern noch beruflich aktiv sind und einen vollen Terminkalender haben, besteht wohl nicht die Gefahr, dass sie es mit der Sorge für die Enkelkinder übertreiben. Wenn sie jedoch “auf Rente” sind, und dazu vielleicht noch ohne Partner, lassen sich viele nur zu gern – und häufiger als ihnen gut tut – für die Versorgung und Betreuung der Enkelkinder einspannen. Eigene Kontakte zu gleichaltrigen Freunden, eigene Interessen und Unternehmungen kommen dann leicht zu kurz. Die Kinder und Enkel werden zum einzigen Lebenssinn, zur einzigen Freude und Abwechslung.

Aber wenn das ganze Lebensgefühl vom weiteren Schicksal der Kinder und Enkel abhängt, sind Sie den Enttäuschungen – die nicht ausbleiben können – viel hilfloser ausgesetzt. Sie werden viel leichter das Gefühl haben, dass die jungen Leute undankbar sind. Sie haben sich so um die Kinder bemüht, auf so vieles ihnen zuliebe verzichtet, und nun das! Oder Sie werden gar zu anhänglich sein, wollen an allem teilhaben, überall einbezogen werden. Und wenn den Kindern das dann zu viel wird, fühlen Sie sich schmerzhaft zurückgestoßen.

Die Kinder und Enkel sollten nicht Ihr einziger Draht zum Leben der Jüngeren werden. Sehen Sie zu, dass Sie weiterhin Kontakte zu Freunden haben, Aufgaben im Verein oder in der Kirchengemeinde übernehmen, Sport treiben, Skat spielen – eben Dinge tun, die Sie lebendig halten, Ihnen die Sicherheit geben, aktiv am Leben teilzunehmen.

Wollten Sie nicht schon lange ein bisschen Spanisch lernen oder einen Computerkurs machen, haben sich aber nie Zeit dafür genommen? Lassen Sie sich nicht einreden, dass ein alter Kopf nicht mehr so gut lernen kann. Was Sie noch lernen wollen, das können Sie auch noch lernen. Dass Sie jetzt genau wissen, was Sie wollen, dass Sie zielstrebiger und zuverlässiger mitmachen als viele Junge, gleicht das etwas langsamere Lerntempo aus. Es gibt keinen Grund, sich selbst freiwillig zum alten Eisen zu legen!

Gerade wenn Sie einmal recht verzagt sind, weil anscheinend alles problematisch verläuft, weil das junge Volk sich selbstherrlich und rücksichtslos aufführt – tun Sie sich etwas Gutes an, etwas, das Ihnen Auftrieb gibt. Fahren Sie irgendwo hin, wo Sie schon lange einmal hinfahren wollten, gründen Sie einen Stammtisch, schließen Sie sich einer Initiative für den Bau einer Umgehungsstraße an.

Sind Sie auch noch anderweitig aktiv, wird es Sie nicht so kränken, wenn die Kinder lieber allein in Urlaub fahren oder das Wohnzimmer lieber ohne Ihre Hilfe renovieren, wenn die Enkel in den Ferien lieber in das Zeltlager fahren als zu Ihnen kommen wollen. Es wird Ihnen wesentlich leichter fallen, Ihre Kinder und Enkel loszulassen, wenn Sie noch andere Aufgaben, andere Interessen haben, die Sie ausfüllen.

Auch wenn Sie sich redlich bemühen, verständnisvolle Großeltern zu sein, ist die unausgesetzte Zuwendung und Zuneigung der Enkelkinder nicht garantiert. Sie kann nicht eingefordert werden. Es wird immer wieder Phasen geben, in denen die Enkel lieber mit anderen Kindern Dummheiten als mit Oma oder Opa einen Ausflug machen oder gar mit ihnen zu Hause auf dem Sofa sitzen. Erinnern Sie sich an Ihre eigene Kinderzeit. Ist es Ihnen mit den eigenen Großeltern nicht zeitweise auch so gegangen?

Kindern sind ältere Leute oft recht fremd, manchmal sogar etwas unheimlich. Sie wissen nicht so recht, wie sie mit ihnen umgehen sollen – erst recht, wenn sie sie nicht so oft sehen. Aus der Perspektive der Kinder reden Großeltern zu viel über Krankheiten oder andere Themen, mit denen Kinder nichts anzufangen wissen. Sie laufen zu langsam, haben komische Angewohnheiten und Ansichten oder haben sonst etwas an sich, was Kindern in einem bestimmten Alter stört.

Rechnen Sie mit solchen “Durststrecken” , damit Sie nicht gar zu enttäuscht sind, wenn so etwas eintritt. Und fassen Sie sich in Geduld: Je weniger Sie fordern, je freundlicher Sie auch ohne Gegenleistung Ihre Zuneigung zeigen, desto sicherer wird sich das gute Verhältnis eines Tages wieder einstellen.

Quelle

Helga Gürtler (2000): Kinder lieben Großeltern, München: Kösel Verlag

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Autorin

Helga Gürtler ist Diplom-Psychologin. Sie schreibt Bücher und Zeitschriften-Artikel zu Erziehungsthemen, hält Vorträge, arbeitet mit Elterngruppen und in der Fortbildung von Erzieherinnen.

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Erstellt am 22. Juli 2003, zuletzt geändert am 9. September 2013

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