Ein Glück, dass es Oma und Opa gibt. Andere Altersstufen, andere Kommunikationsformen

Reidunn Stuedahl

Während das Kind zum Erwachsenen heranwächst, macht es gewaltige Entwicklungen durch. Entsprechend gewaltig sind die Anforderungen an die Großeltern: Wird es ihnen gelingen, den vertrauten Umgang zu wahren, wenn sich das Kleinkind zum Schulkind, dann zum Teenager und schließlich zum jungen Erwachsenen mausert?

Ganz wichtig: frühzeitiger Kontakt…

Die frühe Kindheitsphase ist die wichtigste. Sie prägt die Formen des späteren Kontakts. Für ein kleines Menschenbündel Verantwortung tragen, bringt in uns eine Saite zum Klingen. Wem wird nicht warm zumute, wenn sich ein Baby an ihn schmiegt? Wer bleibt völlig ungerührt von der weichen Haut und dem süßlichen Duft des Kindes, von seinem offenen Blick und Geplapper auf dem Wickeltisch? Lassen wir eine Oma zu Wort kommen: “Der frühe Kontakt war wichtig, die herrlichen Augenblicke, als ich die Kinder kurz nach ihrer Geburt wickelte. Ihnen fühle ich mich heute näher als den anderen Enkelkindern.” Offensichtlich wird die Beziehung zu den Enkeln umso tiefer und beständiger, je eher sie beginnt. Hat sie sich bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter angebahnt, so kann sich ihre Qualität durchaus auch dann noch behaupten, wenn die Enkel Jugendliche oder längst erwachsen sind.

… und anhaltendes Interesse

Wie lässt sich das warme, intime Verhältnis erhalten, wenn das Kind in die Schule kommt? Schließlich begegnet es dort einer neuen Welt, die es vor andere Aufgaben und Anforderungen stellt. Hausaufgaben und Unternehmungen mit Kameraden werden ihm wichtig. Das Kind beginnt über Dinge zu sprechen, mit denen Oma und Opa sich nicht auskennen. Und irgendwann entwickelt es vielleicht Gedanken, die ihnen vollkommen fremd sind. So manches, was Enkel und Großeltern vermeintlich nicht teilen können, vermag den Verlust von Innigkeit zu bewirken.

Dazu muss es aber nicht zwangsläufig kommen. Sind beide Seiten interessiert und offen, lässt sich das Vertrauensverhältnis bewahren. Zahlreiche Fälle belegen, dass die enge Beziehung zu den Großeltern auch dann noch halten kann, wenn die Enkel bereits erwachsen sind. Kornhaber berichtet von einem Schüler, der sich für ein Praktikum in einem Altenpflegeheim entschied. Der Heimleiter lobte die Geduld des Jungen, seine außergewöhnliche Fürsorglichkeit, sein Talent, zu allen Kontakt zu finden, und insbesondere, dass es ihm gelang, selbst notorische Nörgler zum Lächeln zu bringen. Der Junge entgegnete ihm schlicht: “Großmutter ist irgendwie immer bei mir. Daher weiß ich, was in den Alten vorgeht.”

Der Junge hatte sich seiner Großmutter sehr nahe gefühlt. Einen Teil der Fürsorge, die sie ihm hatte zukommen lassen, gab er nun an andere weiter. Durch den Kontakt zu ihr hatte er Achtung vor und mitmenschliches Verständnis für alte Menschen gewonnen, das Jungen seines Alters höchst selten aufbringen. Seine Freunde schüttelten den Kopf darüber, dass er freiwillig Alte pflegen wollte. Alte, das waren für sie Gestalten, die sich mühsam über die Straße schleppten. Sie kamen ihnen eher wie Wesen von einem anderen Stern denn als Menschen vor. Eine Verständigung mit ihnen schien unvorstellbar.

Können Jugendliche und Großeltern einander verstehen?

Die Großeltern unserer Tage gehören einer gänzlich anderen Epoche an als ihre Enkel. Seit der Geburt meiner Tante im Jahr 1901 hat eine beispiellose technische Entwicklung unsere Gesellschaft gründlich verändert. So kann sich meine Tante noch erinnern, wie alle über das unglaublich helle Licht staunten, als der Haushalt ihrer Familie an das Stromnetz angeschlossen wurde. Dieselbe Tante erhielt neulich einen Anruf von einem Verwandten in einem Dorf bei Murmansk. Das war starker Tobak für sie. Rational konnte sie sich zwar erklären, dass die Stimme vom Handy über Satellit zu ihrem Telefon im Altersheim übertragen wurde, aber gefühlsmäßig, sagte sie, konnte sie es schwer begreifen. Ähnlich mag es Großeltern ergehen, die sich bemühen, ihre Enkel – Kinder des elektronischen Zeitalters also – zu verstehen. Ihre Bezugspunkte mögen dermaßen verschieden sein, dass sie kaum verstehen, wovon die Enkel sprechen.

Auch für Regina, heute 25 Jahre alt, gibt es Themen, die sie mit dem Großvater nicht bereden kann: “Das sind Dinge, von denen er eben nichts weiß und nichts versteht. Eine Zeit lang habe ich versucht, da ein Stück weiterzukommen. Ich wollte gern, dass er alles versteht – mich und auch, warum ich so und so reagiere. Da sagte er: ´Aber Ginerl, das ist so lange her, ich kann mich nicht erinnern, wie es war´. Er hätte mich so gern verstanden, aber es gelang ihm nicht. Da begriff ich, dass es Dinge gibt, über die er vielleicht nicht reden kann. Aber das ist nicht so wichtig. Darauf kommt es ja gar nicht an. Es geht mehr darum, dass man beisammen ist und einander respektiert.”

Regina akzeptiert, dass ihr Opa nicht alles verstehen kann. Es ist nun einmal so im Leben: Obwohl zwei Menschen einander nahe stehen und nachvollziehen können, was der andere fühlt und erlebt, mögen sie sich in bestimmten Bereichen nichts zu sagen haben. Die meisten Kinder lernen, dass man nicht mit jedem auf dieselbe Weise spricht. Was man sagt und wie man es sagt, hängt davon ab, mit wem man sich unterhält. Diese Regel beherzigen auch Enkelkinder gegenüber ihren Großeltern. Der zehnjährige Stephan etwa erklärt: “Mit ihnen spreche ich nicht über dieselben Themen wie mit meinen Freunden, Fußball zum Beispiel. Meine Großeltern und ich reden über das, was in der Familie passiert und so, oft auch übers Wetter.”

Manche Enkel verlieren nach und nach die enge Vertrauensbeziehung zu ihren Großeltern. Andere wählen bewusst Themen aus, über die sich mit ihnen am besten sprechen lässt. Wiederum andere bekunden, mit den Großeltern über alles reden zu können.

Ihre Oma, sagt die 27-jährige Norwegerin Kirsten, versteht alles, was sie ihr erzählt. Kirsten ist mit Mutter, Bruder, Oma und Opa in einem gemeinsamen Haushalt aufgewachsen – mit zwei Mamas und einem Papa, wie sie es formuliert. Mit ihrer Mutter, erklärt sie, habe sie keinen guten Kontakt, weil diese sehr konservativ sei und meine, alles habe nach ihrem Kopf zu gehen. Die Oma dagegen sei mit ihren 85 Jahren erstaunlich offen, auch für neue Gedanken. Sie verfolge interessiert aktuelle gesellschaftliche Vorgänge und habe seit jeher Anteil an Kirstens Leben genommen. Mit ihrer Großmutter kann Kirsten über alles reden. Ihre Oma steht ihr sehr nahe, und bei ihr fühlt sie sich rundum wohl. Freundinnen fragen Kirsten immer wieder, warum sie so oft ihre Oma besucht und gelegentlich sogar den Samstagabend mit ihr verbringt.

Die Bedeutung von Großeltern für die Entwicklung Jugendlicher

Die Pubertät ist bekanntlich eine sehr schwierige Phase des Umbruchs. Durch die starken körperlichen Veränderungen sind viele Jugendliche mit sich selbst beschäftigt. Vor allem aber setzt ihnen ihre emotionale Instabilität zu, die einhergeht mit dieser Zeit der Vorbereitung auf ihre Rolle als Erwachsene.

In traditionellen Kulturen tritt die heranwachsende Generation in die Spuren der älteren. Die Jüngeren lernen von den Alten, orientieren sich an ihnen und wissen, wie sie sich in welchem Alter verhalten werden. Unsere moderne Gesellschaft hingegen betont die individuelle Freiheit. Wir ermuntern Jugendliche, eigenständige Wege zu gehen und herauszufinden, welche Rolle ihnen für ihr späteres Leben zusagt. Einer verwirrenden Vielfalt von Lebensanschauungen ausgesetzt, sollen sie sich eine eigene Meinung und Wertevorstellung bilden. Die Eltern nachzuahmen bringt sie bei der Suche nach ihrer individuellen Identität nicht weiter. Vielmehr müssen sie, um zu einem selbstständigen Standpunkt zu finden, die Eltern und ihre Einstellungen mit Abstand betrachten. Und so reißen sich die meisten mit Macht von der elterlichen Lebenswelt los. Dabei können sehr harte, zornige Worte fallen, die Vater und Mutter ihrem Kind nicht im schlimmsten Albtraum zugetraut hätten. Das Zuhause ist wie auf den Kopf gestellt, und die Eltern reagieren erschrocken und verletzt darauf, dass und mit welcher Heftigkeit ihr Kind sich von ihnen distanziert.

In dieser Lage tut es Enkeln gut, Großeltern zu haben, die sie bedingungslos akzeptieren und immer das Positive in ihnen sehen. Gleich welche Erfahrung die Großeltern mit den eigenen pubertierenden Kindern gemacht haben: Diese Situation steht für sie auf einem anderen Blatt. Sie haben ihr Enkelkind vor allem ganz einfach gern. Sie hören ihm geduldig zu und fallen ihm bei seinen Erklärungen und Behauptungen nicht ins Wort. Sie zeigen Verständnis dafür, dass es seine eigene Meinung zu vertreten versucht. Vielleicht können nur Großeltern, die gute Zuhörer sind, vollauf respektieren, was Jugendliche sagen. Zuhören kann den jugendlichen Enkeln helfen, ihre Gedanken aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und so zu bemerken und einzugestehen, dass ihre Standpunkte nicht immer ganz haltbar sind. Und eventuell gelangen sie auf diese Weise zu einer anderen Auffassung. Ohne ihre eigene Ansicht ins Feld zu führen, sondern allein durch Zuhören und Verständnisbereitschaft können Großeltern also ihre Enkel dazu bringen, ihre Meinung zu festigen und die eine oder andere Theorie zu verwerfen. Mit Hilfe verständnisvoller Großeltern können Jugendliche eigenständig Standpunkte und Lebenseinstellungen entwickeln, die ihnen richtig und gut erscheinen.

Hat sich der offene, vertraute Umgang bewahrt, dann können Großeltern in der heiklen Pubertätsphase eine außerordentlich wertvolle Hilfe sein. Da sie eine Generation von den Enkeln trennt, betreffen deren Konflikte mit den Eltern sie nicht. Und weil sie nicht Teil der Lebenswelt sind, von der sich die Jugendlichen befreien wollen, stellen sie keine Bedrohung dar. Vielmehr können die Enkel ohne Furcht, sich etwas zu vergeben, mit ihnen reden und diskutieren. Die Großeltern verstehen sie und akzeptieren sie bedingungslos. Sie lassen sie ausreden, ehe sie Kommentare, Fragen und Bedenken vorbringen. Mitunter sind die Großeltern die einzigen Erwachsenen, von denen die Pubertierenden sich etwas sagen lassen; während sie dem Wort ihrer Eltern keine Beachtung schenken, hören sie ohne weiteres auf Einwände oder Ratschläge ihrer Großeltern. In vereinzelten Fällen hilft einzig die Unterstützung der Großeltern, die ärgsten Dummheiten zu vermeiden.

Wie steht es aber, wenn Großeltern die elterliche Erziehungsaufgabe übernehmen und Enkelkinder bei ihnen aufwachsen? Gegen wen soll sich dann die jugendliche Rebellion richten? Gegen die Großeltern oder gegen die Eltern? Bei Fachleuten habe ich darauf keine Antwort gefunden, doch Karin, 35 Jahre alt, hat mir ihre Geschichte erzählt:

Bei Karins Geburt wohnten ihr Vater und ihre Mutter noch bei ihren Großeltern mütterlicherseits. Danach ließen die Eltern sich scheiden, zogen aus und gaben Karin ganz in die Obhut der Großeltern. Oma und Opa übernahmen die Erziehung. Die Mutter wohnte in der Nähe. Sie kam jeden Abend nach der Arbeit vorbei, um dann nach Hause zu ihrem neuen Partner zu gehen. Während dieser kurzen Begegnungen stieß Karin häufig mit ihrer Mutter zusammen. Ihr jugendlicher Aufruhr richtete sich nur gegen die Mutter, nicht aber gegen die Großmutter, die sie erzogen hatte. Im Gegenteil, so Karin, sei die Großmutter ihr in der Zeit der harten Auseinandersetzungen mit der Mutter eine große Hilfe gewesen: “Oma hat mich immer unterstützt, wenn ich mit Mutter Streit hatte.” Ich nehme an, dass man dieses Phänomen überall dort beobachten kann, wo die Elterngeneration die absolute Autorität über ihre Kinder verloren hat.

Natürlicher Beziehungswandel

Die Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln entwickelt und verändert sich im Laufe der Jahre und mit dem Alter. Anfänglich ist das Kind klein und hilfsbedürftig, während seine Großeltern meist noch gut bei Kräften sind. Mit der Zeit vollzieht sich ein Rollentausch. Während das Kind seine volle Stärke als erwachsener Mensch entwickelt, werden die Großeltern allmählich gebrechlich. Und dies kann auf beiden Seiten neue, durchaus positive Gefühle wachrufen.
 

Quelle

Stuedahl, Reidunn: Ein Glück, dass es Oma und Opa gibt! Warum Großeltern und Enkel so wichtig füreinander sind. München: Beust, 3. Aufl. 2001, S. 47-55. Mit freundlicher Genehmigung des Beust Verlags.

Eingebettet in viele Geschichten, Zeugnisse und Zitate schildert die norwegische Psychotherapeutin und Pädagogin Reidunn Stuedahl, selbst Großmutter, was Nähe und vertrauter Umgang für Großeltern und Enkelkinder bewirken können. Frei von Erziehungspflichten können die Älteren das Beisammensein mit den Jüngeren genießen und ihnen helfen, ihren eigenen Weg auch in Problemlagen zu finden. Die Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern ist für beide Teile von viel größerer Bedeutung als gemeinhin angenommen wird. Großeltern sind nicht nur willkommene Babysitter und Helfer bei Elternüberlastung. Dieses Buch zeigt, dass es auch eine eigenständige Beziehung zwischen Oma, Opa und den Enkeln und Enkelinnen gibt. Für beider seelischen Haushalt spielt der andere eine lebensnotwendige Rolle.

Erstellt am 13. Juni 2002, zuletzt geändert am 16. März 2010

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