Patchwork: Die 4 Phasen zum Familienglück

Katharina Grünewald
Gruenewald

Patchwork- oder Stieffamilien sind keine neue Erfindung unserer Zeit, es gab sie schon immer. Verändert haben sich nur die Umstände ihrer Entstehung: War es früher ein im Krieg gefallener Vater oder die bei Geburt oder Krankheit verstorbene Mutter, werden die Familienkarten heute meist durch Trennung der Eltern neu gemischt. Früher kam ein neues Elternteil wegen der Kinder in die Familie, heute basiert die neue Familienkonstellation auf dem Glück einer neuen Liebe zwischen den Erwachsenen – Verlust und Verletzungen stehen trotzdem dahinter. Bei allen Beteiligten. Das macht den Neustart nicht gerade einfach.

Patchwork ist harte Arbeit

Bei „Patchwork“ denkt man zunächst an eine bunte, hübsch miteinander verknüpfte Decke. Viele Teile werden zusammenge“patcht“ und das macht Spaß und ist lustig– oder etwa nicht?… Natürlich ist das Bunte, Vielseitige und Lebendige das große Geschenk an Patchworkfamilien – und es ist nur eine Seite des ganzen Unternehmens und erfordert Zeit, viel Nerven und Geduld und die Bereitschaft, fortwährend an sich zu arbeiten.

Wie bei der bunten Flickendecke braucht es oft harte Arbeit, bis ein neues Miteinander entsteht. Nicht umsonst steckt im Begriff „Patchwork“ auch das ,work‘. Aber die Mühe lohnt sich.

Der Weg zur Patchworkfamilie

Der Familienprozess birgt viel Zündstoff, aber auch Chancen. Konflikte und Schwierigkeiten gehören dazu und müssen überwunden werden. Aber wie?

Beim Finden neuer Formen des Miteinanders und Selbstverständlichkeiten im Zusammenleben kann das Wissen um die vier Entwicklungsphasen von Patchwork-Familien sehr hilfreich sein:

Phase 1: Schnuppern und Kennenlernen- Zwischen Liebestaumel und alten Gewohnheiten

Phase 2: Positionsgerangel und Machtkämpfe

Phase 3: Es fügt sich: Beruhigung und Übergang

Phase 4: Etablierung – „Wir sind so!“

Diese Phasen müssen nicht strikt aufeinander folgen, sondern gehen ineinander über, springen manchmal hin und her und dauern mal länger, mal kürzer. Ausprägung und Intensität der einzelnen Phasen sind in jeder Patchwork-Familie anders – aber keine kann die damit verbundenen Aufgaben auslassen und überspringen.

1. Schnuppern und Kennenlernen

Anfangs ist das neue Paar noch im Liebestaumel, sieht alles durch die rosarote Brille und ist hoch motiviert, die Kinder aus früheren Beziehungen an dieser Liebe teilhaben zu lassen. Man ist offen für die Welt des jeweils anderen, also auch begierig darauf, seine/ihre Kinder kennenzulernen – mit besten Vorsätzen und offenen Herzen. Die Kinder allerdings sind in einer ganz anderen Situation: Sie müssen wieder Halt finden, ihre Beziehung mit Mutter und Vater neu sortieren, die Trennung und den Verlust des gewohnten Familienlebens verarbeiten. Gerade deshalb sind Rituale aus der gemeinsamen Zeit für sie oft sehr wichtig.

Das erste Zusammentreffen des „neuen“ Liebespaares mit der „alten“ Restfamilie erweist sich dann oft als schmerzhafte Landung in der Realität. Da strengt sich beispielsweise die neue Frau vom Papa besonders an, kocht besonders kinderfreundlich, denkt sich die tollsten Überraschungen und Spiele für seine Kinder aus, will alles richtig machen – und weiß doch noch gar nicht, was „richtig“ für diese Kinder ist, wer sie eigentlich sind, was sie brauchen, wie sehr sie an ihrem Vater hängen, welche Rituale ihnen wichtig sind, was möglicherweise schmerzhafte Erinnerungen bei ihnen weckt usw.

Der leibliche Elternteil, in dem Fall der Vater, hat in diesem Setting eine wichtige Schlüsselfunktion: Er kennt und liebt seine Kinder und seine neue Frau, ist sowohl im neuen Gefüge als auch in den alten Familienritualen zu Hause. Von seiner inneren und äußeren Haltung hängt es ab, wie die Kinder die Situation wahrnehmen und annehmen können – und auch, wie sehr er seine Geliebte in die Mitgestaltung neuer Beziehungen und Familienrituale mit einbezieht. Plagen den Mann noch Gewissensbisse und Schuldgefühle gegenüber seinen Kindern und scheut er sich, ihnen sein neues Liebesglück offen zu zeigen, dann fühlt sich die Stiefmutter möglicherweise „wie im falschen Film“ oder gar wie ein Möbelstück, das in ein Ecke geschoben wird, wo es gerade nicht stört. Oder umgekehrt: Wenn der Vater berauscht von der neuen Liebe nur Augen für seine Geliebte hat, kann das die Kinder ziemlich verstören; sie finden die vertraute Einheit mit dem Vater nicht wieder und schieben die Schuld für Distanz und Missstimmung der Stiefmutter zu. Das kann schon ein Startschuss für (unbewusste) Strategien sein, um den „Eindringling ins Familiensystem“ wieder hinaus zu bugsieren.

Die Herausforderung dieser ersten Phase besteht also darin, Raum zu schaffen für gegenseitiges Kennenlernen: Wie sieht die Logik der Restfamilie aus? Welche Rituale sind ihr wichtig? Wo kann ich hier als Stiefelternteil vielleicht andocken, mich einbringen?… Auch die Kinder sollten dabei unterstützt werden, die neue Frau im Leben des Vaters (oder den neuen Mann im Leben der Mutter) näher kennenzulernen und nicht als Bedrohung und Konkurrenz sondern als Bereicherung für ihr eigenes Beziehungsnetz zu erfahren. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit und Geduld. Aber wenn sich die Kinder an der Seite des leiblichen Elternteils sicher fühlen, öffnen sie sich meist gerne für neue Erfahrungen und Erlebnisse. Kinder sind ja von Natur aus „neu-gierig“.

2. Positionsgerangel und Machtkämpfe

Waren die Konflikte bisher eher subtil spürbar, werden sie in dieser Phase zunehmend offen ausgetragen. Oft geht es buchstäblich um einen Platz – am Esstisch, auf der Couch, auf dem Beifahrersitz im Auto. Bisher war der Platz neben Mutter oder Vater selbstverständlich für Sohn oder Tochter reserviert – und nun soll er einfach wieder geräumt werden?… Im übertragenen Sinn geht es bei diesem Gerangel um den Platz im Familiensystem, um ganz konkrete Neugestaltung der Positionen und Rollen. Dann findet sich zum Beispiel der neue Mann der Mutter unverhofft im Kampf wieder – dabei liebt er doch diese Frau und bemüht sich deshalb auch um ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern. Aber sich ihnen unterordnen? Das geht doch wohl zu weit!

Wenn aus dem Beschnuppern mehr wird und es im Zusammenleben der (zukünftigen) Patchworkfamilie enger und ernster wird, sind Kämpfe vorprogrammiert. Die verschiedenen Erwartungen, Bedürfnisse und Ansprüche der Familienmitglieder prallen aufeinander, manchmal geht es zu, wie bei einem Boxkampf: Es wird geschimpft, geschrien, man ergreift Partei, schaukelt sich gegenseitig hoch, wird gemein und unfair – und dabei gehen oft nicht nur Teller oder Tassen kaputt, sondern ganze Beziehungen (statistisch gesehen trennen sich Paare mit Kindern aus vorherigen Beziehungen sehr viel häufiger als Paare ohne Kinder!). Vermeiden lassen sich solche Gefühlsexplosionen kaum. Man muss sich schon drauf einlassen und am besten vorher für einen sicheren Rahmen sorgen, denn das seelische Erleben der Beteiligten wird oft erst in Konfliktsituationen deutlich und verständlich.

Wie aber kann man solche emotional schwierigen Zeiten meistern? Leider gibt es dafür keine Pauschalempfehlungen mit Erfolgsgarantie. Hilfreich sind allerdings die Entwicklung eigener Rituale und Regeln, die im chaotischen Hin und Her der neuen Situation Halt und Sicherheit geben – wie sie z.B. auch beim Boxen im Boxkampf existieren (jede Runde dauert eine gewisse Zeit, es gibt Erholungspausen, keiner verlässt den Ring, etc. ). Ein wichtiges Ritual in dieser Phase kann auch eine regelmäßige Familienkonferenz sein, bei der jedes Mitglied zu Wort kommen und seine Probleme, Wünsche und Bedürfnisse mit den anderen teilen kann (siehe Kasten).

Es gilt also, einen stabilen Rahmen zu schaffen, in dem produktive Auseinandersetzung und auch klärende, „reinigende“ Kämpfe stattfinden dürfen. Das ist die große Aufgabe, die vor allem die Erwachsenen in dieser Phase zu bewältigen haben.

3. Es fügt sich: Beruhigung und Übergang

Die Kämpfe lassen nach, und die Lage beruhigt sich. Es gibt klare Abmachungen und Abläufe, an die sich alle langsam gewöhnen, und es entwickelt sich eine Vorstellung davon, wie das Patchwork-Zusammenleben aussehen könnte. Die neue Ordnung ist allerdings noch sehr zerbrechlich: kleinste Missachtungen oder Verstöße gegen vereinbarte Regeln, ob absichtlich oder aus Versehen, können immer noch dazu führen, dass wieder gestritten oder gar das gesamte System in Frage gestellt wird. Aber keine Angst: Konflikte und Kämpfe gehören dazu und sind keine Rück- sondern Vorwärtsschritte. Oftmals werden in dieser Phase erst tieferliegende Loyalitätskonflikte deutlich und können nun behandelt werden.

Offene Kommunikation, auch in Form von Ritualen, ist jetzt besonders wichtig, da vieles noch einmal überdacht, revidiert und korrigiert werden muss. Die Beteiligten können jetzt aber auch schon weiter überlegen und Neues ausprobieren. Denn je klarer die Strukturen werden, desto deutlicher werden auch die Freiräume zum Experimentieren: „Na gut, wenn du an jedem Wochenende einen Tag allein mit deinen Kindern verbringen willst, dann könnte ich ja...“ Und irgendwann sind Form und Struktur des Zusammenlebens so klar, dass nicht mehr darüber geredet werden muss.

4: Etablierung – „Wir sind so!“

Mit der Zeit werden einige Rituale überflüssig und verschwinden wieder. Andere bewähren sich, gehen in Fleisch und Blut über und werden selbstverständlich. Man kennt die Besonderheiten und Macken des Stiefvaters oder der Stieftochter, nimmt sie zwar noch als Anderssein wahr, stellt sie aber nicht mehr in Frage. „Die Stiefmutter will, dass ich das Handy beim Esstisch weglege? Okay, ich tu ihr den Gefallen!“… Auch wenn manches bei Mama zu Hause anders ist, haben Kinder kein Problem damit, sich auf neue Regeln einzulassen und das Spiel mitzuspielen – sofern die Regeln klar und überschaubar sind. Sie können quasi innerhalb von Minuten vom Volleyball- zum Fußballfeld wechseln und hier genauso erfolgreich mitspielen – sofern sie die Regeln kennen und verstanden haben.

Am guten Ende ist alles klar: Der 15-jährige Stiefsohn setzt beim Heavy-Metal-Hören die Kopfhörer auf, wenn sein Klassik liebender Stiefvater zu Hause ist. Und die Stiefmutter weiß, dass sie mit der Sachertorte ihrer Vorgängerin nicht in Konkurrenz treten darf. Die neuen Selbstverständlichkeiten sind im gemeinsamen Alltag eingezogen, man kennt sich und vertraut einander.

Patchwork-Familien, die die vier Phasen erfolgreich einmal durchlaufen haben, haben viel Handwerkszeug entwickelt und gelernt, was überall im Leben weiterhelfen wird. Es sind die Schlüsselqualifikationen der Zukunft: Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Empathie und Kommunikationsfähigkeit. Somit werden Konflikte nicht angstvoll vermieden, sondern werden erkannt als willkommene Gelegenheit, sich und die anderen besser kennenzulernen. Die Patchworkfamilie wird zur wichtigen Ausbildungsstätte, nach dem Motto: Auseinandersetzung wagen statt Trennung zu riskieren.

Familien-Konferenz

Eine Familienkonferenz ist nicht nur in Patchwork-Familien sinnvoll. Als beispielhafter Prozess einer wertschätzenden und achtsamen Auseinandersetzung in der Familie kann dieses Prinzip natürlich auf andere Kontexte übertragen werden.

  • Vereinbaren Sie einen Zeitpunkt, zu dem sich alle Familienmitglieder treffen. Der Termin hat den Status eines wichtigen beruflichen Termins. Legen Sie je nach Alter und Übung der Kinder einen Zeitrahmen fest (15-60 min) und besprechen Sie zunächst die Regeln (z.B. 3 min Redezeit/Person; es wird nicht dazwischen gesprochen, wenn ein anderer spricht; keine Kommentare, etc.). 
  • Es gibt einen Moderator (z.B. das leibliche Elternteil), der die Gesprächsführung übernimmt.
  • Die erste Runde ist eine reine Informationsrunde. Leitführende Frage ist hierbei „Wie geht es Dir mit der jetzigen Situation?“ oder mit dem bestimmten Thema, das besprochen werden soll. Die Erwachsenen geben dabei die Qualität der Antworten vor, je authentischer und ehrlicher die Erwachsenen von ihren Ambivalenzen, Ängste, Sehnsüchte erzählen, umso eher werden die Kinder es ihnen nach tun. Achten Sie darauf, dass Sie bei sich bleiben, z.B. alle Sätze mit ‚Ich‘ anfangen und nur von sich erzählen.
  • Das leibliche Elternteil und das Stiefelternteil sind das Baumeisterteam. Sie haben die Verantwortung für den Prozess und sind die „Bestimmer“, d.h. es ist kein demokratischer Prozess, sondern es werden Informationen aller Beteiligten eingeholt, entscheiden tut aber das Baumeisterteam.
  • In einer zweiten Runde kann für die deutlich gewordenen Probleme nach Lösungsvorschlägen gefragt werden. „Wir haben folgendes Problem…, was machen wir damit? Lasst uns Vorschläge sammeln!“ In Form eines brainstormings wird gesammelt. Die Familienintelligenz ist wirklich eine Stärke, die man nutzen sollte. Dann wird gemeinsam überlegt und auch verhandelt, welcher Vorschlag nützlich sein könnte und unter welchen Bedingungen. „Was brauchst Du, um diesen Vorschlag mitmachen zu können?“
  • Auch wenn der Prozess nach Ablauf der Zeit noch nicht zu Ende ist, wird der Zeitrahmen eingehalten und sich evtl. darauf geeinigt, zu einem anderen Zeitpunkt eine weitere Runde zu veranstalten.

Ausführlichere Beschreibungen im Buch ‚Glückliche Stiefmutter. Gut zusammenleben in Patchworkfamilien‘.


Alltagsgestaltung: Patchworkkarussell

Oftmals ist die Schwierigkeit in der Patchworkfamilie, alles unter einen Hut zu bekommen. Es geht nicht alles und schon gar nicht zur gleichen Zeit. Vielleicht ist das Bild des Kinderkarussells bei der Gestaltung des Patchworkalltags hilfreich:

  • Auf jedem Kinderkarussell gibt es verschiedene Platzangebote – so wie es in der Patchworkfamilie verschiedene Konstellationen gibt: an erster Stelle gibt es einen Platz für das Liebespaar, z.B. eine Hochzeitskutsche. Auch gibt es natürlich einen Platz für die gesamte Familie, z.B. einen Familienbus. Dann gibt es z.B. Pferde, auf denen jeder nur alleine reiten kann. Und vielleicht ein Feuerwehrauto für alle Jungs oder ein Hubschrauber für die alte Familieneinheit. Auf dem individuellen Patchworkkarussell gibt es so viele Platzangebote wie es mögliche Konstellationen in der Familie gibt.
  • Die Hochzeitskutsche oder eben das neue Liebespaar hat eine besondere Stellung: Das ist die Basis und bedarf daher besonderer Aufmerksamkeit!
  • Das Karussell dreht sich und alle fahren mit! Eine Patchworkfamilie funktioniert nur, wenn alle Beziehungskonstellationen Platz haben. Dabei gibt es organische, d.h. selbstverständlich funktionierende und künstlich zusammengesetzte, schwierigere Konstellationen. Und es bedarf einem gemeinsamen Erkundungsprozess, welche Konstellation welcher Bedingungen bedarf. Hier hat das Baumeisterteam die Hauptverantwortung: für alle muss gesorgt sein!
  • Gemeinsam mit der ganzen Familie kann ein Karussellplan erstellt werden: Wenn das Liebespaar in die Hochzeitskutsche will (also Paarzeit braucht), was machen dann die Kinder? Wenn Vater und Sohn Zeit haben wollen, was macht die Tochter und die Stiefmutter? (einzeln oder zusammen?) etc.

Weitere Praxis-Impulse und ausführlichere Beschreibungen im Buch "Glückliche Stiefmutter. Gut zusammen leben in Patchworkfamilien

Literatur

Grünewald, Katharina: „Glückliche Stiefmutter. Gut zusammenleben in Patchworkfamilien“. Herder-Verlag, 2. Auflage 2018.

Autorin

Katharina Grünewald

Jg. 1970, ist Diplom-Psychologin, analytische Intensivberaterin (WGI) und Familientherapeutin. Sie absolvierte Aus- und Weiterbildungen u.a. in Transaktionsanalyse und bei Jesper Juul. Nach dem Studium leitete sie tiefenpsychologische Studien in der Markt- und Medienforschung, später spezialisierte sie sich auf Patchwork-Systeme und entwickelte ein eigenes Beratungskonzept, das sie seit 2007 in ihrer eigenen Praxis für Patchwork-Familien umsetzt. Sie hält auch Vorträge zu dem Thema und gibt Workshops. Sie lebt mit ihrem Mann, 2 eigenen und 2 Stiefkindern in Köln.

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eingestellt am 15. März 2019

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