Paar im Kontext – Patchworkpaare

Elise Bunge

Elise Bunge

Die Liebe zweier Menschen steht am Anfang einer jeden Patchworkgeschichte und ist der fundamentale Pfeiler für das weitere Bestehen und die Entwicklung einer glücklichen Familie. Doch gibt es für diese Paarbeziehung von Beginn an besondere Herausforderungen, die sich aus der komplexen Familienkonstellation ergeben: Es sind immer Kinder im Spiel, die Alltagsorganisation nimmt noch mehr Raum ein als in gewöhnlichen Familiensystemen, oft gibt es wenig Paarzeit und die jeweiligen Expartner und Expartnerinnen sind im aktuellen Leben sehr präsent. Dies kann schnell dazu führen, dass sich ein Teil des Paares oder auch beide in einem emotionalen Dilemma wiederfindet. In eine innere Zerrissenheit gerät, da die eigenen Bedürfnisse und die Anforderungen des Patchworklebens so schwer in Einklang zu bringen sind.

Positive Aspekte des Patchworklebens

Vielen kommen bei dem Gedanken an Patchworkfamilien zuerst eher negative Begriffe und Zuschreibungen in den Sinn: Trennungskinder, Stress, kaputte Familien, viele unterschiedliche Nachnamen auf dem Türschild und ähnliches. Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Es kommt durchaus vor, dass zwei zufriedene Menschen mit ebenso zufriedenen Kindern aufeinandertreffen, sich ineinander verlieben und sich dafür entscheiden, ihre Kinder und Haushalte von nun an gemeinsam zu organisieren (und ja, ein Organisieren ist es in sehr großen Teilen des Alltags). Selbst, wenn die Umstände manchmal weniger leicht sind, lässt sich vieles Schöne finden: Liebesglück, Bonusgeschwister oder Halbgeschwister für das eigene Kind, welches bisher vielleicht als Einzelkind aufwuchs, Bonuselternteile, die als erwachsene Freundinnen oder Freunde und zusätzliche Bezugspersonen für die Kinder da sind, neu hinzugewonnene Großeltern, Tanten, Onkel etc., neue Lebenswelten und Aktivitäten, die sich eröffnen. Kinder, die im Wechselmodell leben, würden vielleicht an dieser Stelle zusätzlich die gehäuften Urlaube, die doppelte Menge an Spielsachen und gegebenenfalls das doppelte eigene Zimmer als Vorteile benennen.

Dreh- und Angelpunkt für die positiven Seiten des Patchworklebens ist jedoch die Liebe und die Stabilität des Patchworkpaares. Wie in einer Kernfamilie auch, spiegelt sich die Stimmung des Paares fundamental in der allgemeinen Stimmung der neuen Familie wider. Hat das neue Elternpaar eine stabile Beziehung, lassen sich die Herausforderungen, die das Patchworkleben mit sich bringt, einfacher abfangen und meistern, lassen sich schöne, neue Beziehungen flechten und lässt sich die Vielfalt, die sich durch Patchwork ergibt, erleben.

Unterschiede zwischen Patchworkfamilien und Kernfamilien

Um die Realität eines Patchworkpaares zu verstehen, ist es hilfreich, ein paar grundlegende Unterschiede zu dem Leben als Kernfamilie zu kennen.

Die Beziehung eines Patchworkpaares beginnt bereits anders als eine herkömmliche Beziehung: Von Beginn an sind Kinder im Spiel. Die Familie wächst dementsprechend nicht langsam (erst ein Kind, dann zwei usw.), sondern das Paar startet als Familie mit einem oder mehreren Kindern und muss seine Beziehung daran anpassen.

Entsprechend ist das System einer Patchworkfamilie ungleich größer als das einer Kernfamilie. Es gibt nicht nur das Elternpaar und die Kinder, sondern auch die Expartnerinnen und Expartner (und somit doppelt besetzte Elternrollen) mit ihren jeweiligen Familien und - ganz entscheidend - mit ihren jeweiligen Bedürfnissen und Vorstellungen. Dieser Umstand allein, also der, dass es viele Bezugspersonen mit unterschiedlichen Haushalten (Multilokalität) und diversen Wünschen und Vorstellungen gibt, verkompliziert das Leben einer Patchworkfamilie. Allein das Organisatorische nimmt viel Zeit, Geduld und Energie in Anspruch, die dem Paar eventuell an anderer Stelle (zum Beispiel bei der Lösung von Beziehungskonflikten) fehlen kann.

Auch hat eine Patchworkfamilie zu Beginn keine gemeinsame Geschichte und keine gemeinsamen Rituale. Im Vergleich zu einer Kernfamilie, die langsam gewachsen ist und die auf Jahre der gemeinsamen und hoffentlich verbindenden Erlebnisse zurückblicken kann, startet die Patchworkfamilie bei null. Zusammenhalt, Solidarität und das “Wir-Gefühl” müssen erst gebildet werden. Eine Erschwernis ist hierbei, dass zum Beispiel wichtige Feste oder Lebensereignisse durch die Teilung der Familien nicht unbedingt zusammen verbracht werden. Die Möglichkeiten, in denen gemeinsame Erinnerungen kreiert werden können, sind dadurch teilweise eingeschränkt.

Herausforderungen von Patchworkpaaren

Viele Herausforderungen und Konflikte von Patchworkpaaren basieren natürlich auf gleichen Themen, wie bei allen anderen Paaren auch: Eifersucht, Störungen im Sexualleben, unterschiedliche Erziehungsvorstellungen und vieles mehr. Problemfelder, die darüber hinaus gehäuft bei Patchworkpaaren auftauchen, sind unter anderem ein unterschiedlicher Kinderwunsch (z.B. wünscht sich die eine Person weitere Kinder, die andere nicht), Komplikationen bei der Familienzusammenführung, unklare Rollenverteilungen, Klärung der Finanzen oder das Aufeinanderprallen von zwei Lebenswelten.

Eine Besonderheit in der Realität von Patchworkpaaren ist, dass sich andauernd Situationen ergeben, in denen sich eigene Bedürfnisse und Anforderungen des Patchworklebens diametral gegenüberstehen und in denen die Einzelperson oder das Paar einen Weg finden muss, damit umzugehen.

Fünf typische emotionale Dilemmata in Patchworkbeziehungen

Patchworkpaare führen von Beginn an eine Beziehung, in der es durch das Leben mit Kind(ern) bereits sehr viele festgelegte Rahmenbedingungen gibt. Dadurch können die Liebenden ihre neue Beziehung nicht so frei leben, wie sie es sich an der ein oder anderen Stelle wünschen würden. Im Folgenden werden fünf typische emotionale Dilemmata vorgestellt, die sich aus diesem Umstand ergeben. Manche spielen sich eher auf der Individualebene, manche mehr auf der Paarebene ab. Manche lassen sich beiden Ebenen zuordnen.

Neue Liebe vs. Verpflichtungen / Enttäuschung vs. Verständnis

Vermutlich möchte das neue Paar zu Beginn sehr viel Zeit miteinander verbringen, Nächte durchreden und tagelang im Bett liegen bleiben. “Pustekuchen” sagt die Realität. “Diese Woche sind die Kinder bei dir. Wer kümmert sich? Und hast du daran gedacht, dass Dienstagnachmittag ein Arzttermin ansteht und am Wochenende ein Kindergeburtstag? Und übrigens, vergiss nicht, dass dein Kind am liebsten bei dir im Bett schläft und da dann leider kein Platz mehr für eine andere erwachsene Person ist.” Und ganz schnell ist der leibliche Elternteil in dem Dilemma, allen gerecht werden zu müssen. Mit dem Ergebnis, dass irgendwer vermutlich mit den getroffenen Entscheidungen unzufrieden sein wird. Und der Bonuselternteil wiederum findet sich schnell in der wartenden Position wieder und merkt, dass die Verliebtheit durch die Realität ausgebremst wird. Dann ist (im besten Fall) zwar das Verständnis dafür da, dass der leibliche Elternteil das Kindeswohl an erste Stelle stellt, dennoch ist da auch die Enttäuschung über die geänderten Pläne und der Frust darüber, dass die eigenen Wünsche scheinbar unwichtiger sind und zurückgesteckt werden müssen.

Spontanität vs. Planbarkeit

Eine sehr große Komplikation im Leben eines Patchworkpaares ist häufig der Mangel an Kontinuität. Wenn die Kinder nicht Vollzeit bei einem Elternteil leben, bedeutet es, dass sich in regel- oder auch unregelmäßigen Abständen der Alltag verändert. Beispielsweise eine Woche mit Kind, eine Woche ohne. Dazu kommen spontane Ausnahmen von der Regel, auf die sich das Paar flexibel einstellen muss und die dazu führen können, dass bereits gemachte Pläne wieder gecancelt werden müssen. Dieses spontane Eingehen auf die aktuellen Gegebenheiten ist gerade für Personen schwer, die sich nach einem geregelten Leben mit viel Stabilität und Planbarkeit sehnen.

Kontakt vs. Abgrenzung

Nach einer Trennung, in der Wut, Verletzung und Enttäuschung präsent waren, ist es natürlich, dass der Wunsch nach Abstand zum Expartner / zur Expartnerin besteht. Dieses eigene Bedürfnis zum Wohle der Kinder zu ignorieren, die eigenen Grenzen zu überschreiten und sich um einen konstruktiven Kontakt mit dem anderen Elternteil zu bemühen, bedeutet für Eltern eine enorme Kraftanstrengung und Selbstbeherrschung.

Elternliebe vs. Paarliebe (Loyalitäten)

Ein (nicht unumstrittener) Fakt ist, dass die Loyalität der Eltern in letzter Instanz den eigenen, leiblichen Kindern gehört. Zudem hat das System leibliche Eltern - leibliches Kind / leibliche Kinder oftmals Vorrang gegenüber dem neu entstandenen Paarsystem. Dies zu akzeptieren, fällt den neuen Partnerinnen und Partnern oftmals nicht leicht. Auch wenn sie es kognitiv-rational vielleicht nachvollziehen können, ist das emotional schwieriger. Gleich zu Beginn einer Beziehung auf den zweiten Rang verwiesen zu werden, fällt schwer. Aber auch für den leiblichen Elternteil ist die Situation nicht einfach, weil es immer wieder Momente gibt, in denen es in eine Loyalitäts-Zwickmühle gerät, vor allen Dingen in Situationen, in denen die Bedürfnisse des Bonuselternteils und die des eigenen Kindes nicht vereinbar sind.

Beziehungsaufbau vs. Zurückhaltung

Für Bonuseltern ist es häufig schwierig, das passende Maß an Involviertheit in die Erziehung und das Leben der Bonuskinder zu finden. Manche sind überengagiert, manche halten sich zu sehr raus. In den meisten Fällen wünschen sich Bonuseltern eine gute Beziehung zu den Kindern. Sie möchten für sie da sein und haben ebenso ein Gespür dafür, was für das Kind gut sein könnte und welche Bedürfnisse es hat. Oft ist die Frustration dann groß, wenn sie bei wichtigen Fragen (welche Schule das Kind besuchen soll etc.) von den leiblichen Eltern nicht oder nur am Rande eingebunden werden. So müssen sie manchmal feststellen, dass ihre Meinung in letzter Instanz nicht zählt, beziehungsweise sie kein Vetorecht bei Entscheidungen haben. Zu verstehen, wo genau der eigene Platz ist, was sie sagen können und wo sie sich auch gegen den eigenen Impuls raushalten müssen, ist ein herausfordernder Prozess. Meistens hilft es jedoch, sich bewusst zu machen, dass die Erziehung bei den leiblichen Eltern bleibt und dem Bonuselternteil die Rolle einer erwachsenen Bezugsperson für die Kinder und einer vertrauten, Rat gebenden Person für den Partner oder die Partnerin zukommt.

Diese fünf emotionalen Dilemmata - es lassen sich noch sehr viel mehr finden - sind nur ein kleiner Einblick in die Gefühlswelt von Patchworkpaaren beziehungsweise Patchworkeltern. Das Gefühl der Fremdbestimmung und Unfreiheit, welches sich aus den Dilemmata ergibt, wirkt sich auf die Paarbeziehung aus, vor allem dann, wenn das Paar zu wenig die eigenen Bedürfnisse und Erwartungen kommuniziert, sich zu sehr aneinander anpasst, ohne auf sich selbst zu achten oder sehr unterschiedliche Grundbedürfnisse und Charaktere aufeinandertreffen. Oft besteht die Herausforderung darin, abzuwägen, wie eine richtige Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und einem pragmatischen Anpassen (aus Vernunft und Liebe heraus) gefunden werden kann, so dass die eigene Unzufriedenheit nicht Überhand gewinnt und in der Folge die Paarbeziehung zu sehr belastet.

Übungen für Patchworkpaare

Grundlegend für diese Übungen ist, dass sich das Paar einerseits die Zeit nimmt, jeder/ jede einzeln für sich die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu reflektieren und andererseits, dass beide den Mut aufbringen, diese auch mit der anderen Person zu teilen.

„Mindeststandards für Verbundenheit “

Für Patchworkpaare ist, wie oben beschrieben, das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse oft eine große Aufgabe. Sie wollen der Partnerin/ dem Partner die Zeit mit den eigenen Kindern und für sich selbst lassen oder die vielen Verpflichtungen und Bedürfnisse respektieren und trotzdem wollen sie sich nicht nur anpassen oder einsam fühlen in der Beziehung. Hier kann es helfen, gemeinsam eine Art Mindeststandards zu erarbeiten, die für die Partner/ Partnerinnen grundlegend sind, um Liebe und Verbundenheit zu spüren, auch wenn die Paarzeit im Alltagstrubel mal zu kurz kommt. Vielleicht sind das eher kleine Gesten, Berührungen, Nachrichten oder kurze Paargespräche am Abend. Die leitende Frage dabei ist "Was brauchen wir vom jeweils anderen, damit wir im Alltag unsere Verbundenheit noch spüren und uns nicht verlieren?"

Die formulierten Mindeststandards können dann von dem Paar gemeinsam auf Ihre Realisierbarkeit überprüft und für beide passend modifiziert werden.

Rollendifferenzierung: „Welche verschiedenen Rollen haben wir in der Familie?“

Für Patchworkpaare ergibt sich häufig die Situation, dass sie in ihrem Familiensystem gleichzeitig unterschiedliche Rollen (lieblicher Vater, Geliebter, Hausmann etc.) innehaben und sie sich gar nicht bewusst darüber sind, welche Anforderungen und Erwartungen an die jeweilige Rolle geknüpft sind. Auch weichen die Vorstellungen und Erwartungen der beiden Partner:innen häufig voneinander ab und sorgen in der Folge für Konflikte. Daher ist es wichtig, Unklarheiten und unausgesprochene Erwartungen zu thematisieren.

Übung:

1.) Jede Person nimmt sich mehrere Blätter und einen Stift.

2.) Oben auf jedes Blatt schreibt sie sowohl auf die Vorder-, als auch die Rückseite eine Rolle auf, die sie in dem Familiensystem ihrer Meinung nach innehaben. Zum Beispiel:

Blatt 1 – Beziehungspartner / Geliebter

Blatt 2 – Bonuselternteil / erwachsene Bezugsperson

Blatt 3 – Temporäres Familienmitglied/ Familiengast

3.) Dann wird auf die Vorderseiten der Blätter geschrieben, welche Erwartungen die Person in der jeweiligen Rolle an sich selbst hat und welche Funktionen, Pflichten, Aufgaben oder Grenzen sie sich selbst in dieser Rolle zuschreibt.

4.) Nun tauscht das Paar die Blätter aus, ohne die Vorderseiten zu lesen, und schreiben auf die Rückseiten, welche Erwartungen und Wünsche sie an die andere Person in den jeweiligen Rollen haben.

5.) Beide Partner / Partnerinnen können im Anschluss noch auf neue Blätter Rollen für die andere Person ergänzen, wenn sie der Meinung sind, dass diese noch fehlen.

6.) Abschließend geht das Paar gemeinsam alle Blätter durch, vergleichen die Beschreibungen und besprechen die Punkte, in denen die Vorstellungen voneinander abweichen. Es kann bereits hilfreich und konfliktlösend sein, sich über die unterschiedlichen Vorstellungen bewusst zu werden. Vielleicht können aber bei dem einen oder anderen Konflikt Kompromisse gefunden oder die Rollen so definiert werden, dass sich beide Personen wohler damit fühlen.

Literatur zum Thema Patchworkfamilien/ Patchworkpaare

  • Ahlers, Corina (2018): Patchworkfamilien beraten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH &Co. KG.
  • Grünewald, Katharina (2021): Glückliche Patchworkpaare. Wie die Liebe mit neuer Familie gelingt. Weinheim Basel: Beltz.
  • Hess, Thomas / Starke, Claudia (2017): Patchwork-Familien. Beratung und Therapie. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH.
  • Krähenbühl, Verena /Jellouschek, Hans /Kohaus-Jellouschek, Margarete /Weber, Roland (2007): Stieffamilien: Struktur – Entwicklung – Therapie. 6. aktualisierte Auflage, Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.
  • Krähenbühl, V. / Schramm-Geiger, A. / Brandes-Kessel, J. (2000): Meine Kinder, deine Kinder, unsere Familie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.
  • Juul, Jesper (2010): Aus Stiefeltern werden Bonus-Eltern. München: Kösel-Verlag.

Autorin

Elise Bunge

Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin

Erziehungswissenschaftlerin M.A.

Tätig in eigener Praxis in Berlin und spezialisiert auf die Therapie und Beratung von Patchworkfamilien und Patchworkpaaren.

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eingestellt am 21. Mai 2024

 

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