Alles über Ihr Kind – wertvolle Grundregeln zur Erziehung

Simone Lüpertz
Luepertz

Sorgen wegen eines Kindes oder Jugendlichen stehen immer in direktem oder indirektem Zusammenhang zu Sorgen, Bedenken oder Fragen hinsichtlich des eigenen erzieherischen Verhaltens. Die Hoffnung von Erziehenden besteht meistens darin, mehr Sicherheit und Zuversicht gewinnen zu können. Der Ratgeber “Alles über Ihr Kind. 50 wertvolle Grundregeln zur Erziehung” bietet verhaltenstherapeutische Hilfestellungen zu den häufigsten Erziehungsfragen in verständlicher Sprache, auch für Fachkräfte als Leitfaden zur Elternberatung. Gepaart mit etwas Humor werden zudem eine Fülle wichtiger und hilfreicher Informationen und Tipps gegeben: von „Entwicklungs-Aufgaben“ über „Ausflippen“ oder „Monster-Angst“, bis hin zu „Hausaufgaben“ oder auch „Trennung der Eltern“.

Wann kann von einer guten Erziehung die Rede sein? Woran erkennt man denn „schlechte“ Erziehung? – An den Kindern oder an ihren Eltern?

→ Machen Sie sich (als elterliches Team) hinsichtlich der Art und Weise Ihrer erzieherischen Handhabe so unabhängig wie möglich! Sie werden sich zwar immer wieder erneut abstimmen und Entscheidungen treffen müssen, werden „äußerliche“, schulische oder gesellschaftliche Forderungen berücksichtigen müssen. Aber es macht einen kleinen, aber feinen Unterschied, ob sie sich schnell in Ihrem Tun und Ihrer Haltung verunsichern lassen. Der Grund ist, dass gerade hieraus die vielfältigsten Probleme erwachsen können.

→ Weisen Sie niemals Ihrem Kind die Aufgabe zu, dass es die Verantwortung dafür trägt, ob seine Eltern mit sich selbst zufrieden sein können. Das sollten Eltern nämlich alleine schaffen, damit Kinder weitestgehend das genießen können, was man „unbeschwert“ nennt (…).

Schon so oft gab es wegen XY Ärger, warum kapiert unser Kind nicht, dass es von diesem Theater nichts hat?

→ Konsequenzen, die in der „ferneren“ Zukunft liegen, haben wenig Einfluss auf Verhalten. Wer ein Kind lange wach bleiben lässt und meint „Wenn es morgen müde ist, wird es schon daraus lernen!“, irrt sich. Gleiches gilt für: „Es muss doch mal langsam begreifen, dass ihm dieses Theater nichts bringt!“ Es zählen „jetzt weiterspielen“ und „jetzt die unangenehmen Hausaufgaben heraus zögern und dabei viel Beachtung erhalten“ (…). Auch für Erwachsene ist es z. B. schwer, am Abend das gemütliche Sofa zu verlassen, um in drei Monaten sportlicher auszusehen. Oder es schmeckt jetzt die Schokolade lecker, auch wenn die Zahl auf der Waage am Ende der Woche etwas anderes sagt. Umgekehrt wirkt sich aber lehrreich aus, wenn der Hustensaft sofort ekelhaft schmeckt.

→ Dabei machen Folgen, die nur hin und wieder sofort auftreten, eine Sache noch viel, viel interessanter … Im Supermarkt lohnt sich spontanes Ausflippen „hoch 10“, wenn man (so ähnlich) hin und wieder mal erreichen konnte, dass man etwas Leckeres haben durfte (…).

Wir sind Vorbild!

→ Kinder lernen am Modell. Das heißt, sie schauen sich Strategien, Einstellungen, Reaktions- und Umgangsweisen ab, die ihnen von wichtigen Bezugspersonen immer wieder „vorgeführt“ werden. Kinder haben (mindestens ab dem vierten Lebensjahr) am Vorbild ihrer Eltern Ideen, auf welche Art man Bedürfnisse äußern, Konflikte lösen oder Probleme bewältigen könnte.

→ Auch ob Eltern sich selbst als wertvoll betrachten und sich Pausen gönnen, ob sie mit sich selbst zufrieden sein können und sich selbst etwas Gutes tun, registrieren ihre Kinder sehr genau. Letztendlich vermitteln Eltern ihren Kindern nicht nur die Grundlagen für Werte des menschlichen Miteinanders, sondern auch Umgangsweisen mit sich selbst, Lebenseinstellungen und Ansichten zur Welt. Manche Eltern vermitteln ihren Kindern ohne es zu wollen, dass das Leben schwierig und anstrengend ist. Oder sie meinen es so wohlwollend, dass ihre Kinder registrieren, dass man ständig auf der Hut sein und aufpassen muss, weil scheinbar überall Gefahren lauern. Oder sie leben ihren Kindern vor, dass einem Stress und Ärger als ständige Begleiter das Leben vermiesen.

Mein Kind soll es doch gut haben!?

→ Bedürfnisse aufschieben und Frustrationen aushalten zu können, sind zwei der wichtigsten Basiskompetenzen, die Kinder erst lernen müssen. Werden diese Fähigkeiten nicht (von klein auf) regelmäßig geübt, erscheinen Kinder nicht selten irgendwann dreist („Mama, ich will diese Woche die neuen Markenjeans!“) oder schöpfen ihr Potenzial aufgrund von Lustlosigkeit nicht aus („Ich habe keinen Bock auf Mathe, dazu kann mich jetzt auch keiner zwingen!“).

→ Wenn sie früher als jüngere Kinder lustorientiert von einer Tätigkeit zur nächsten wechseln und „anstrengende“ Spiele oder Ausschneidearbeiten abbrechen durften, oder fast immer bei Gelüsten spontan ein Eis bekommen haben, wie sollen sie dann verstehen, dass plötzlich andere Einstellungen gelten sollen? Wenn ein Kind beim „Mensch ärgere dich nicht“ regelmäßig ausflippt, sollten seine Eltern genau das mit ihm üben (…). Auch die „Yo-Gi-Oh-Karten“ sind erst richtig toll und wertvoll, wenn man dafür das Taschengeld einige Wochen hat sparen müssen. (…)

Wie viel Fernsehen, PC, Playstation, Nintendo…?

→ Wichtige Kompetenzen, wie sich zu konzentrieren und aus Eigenleistung „an einer Sache dranzubleiben“ (z. B. zum Lesen eines Buches notwendig), können mit elektronischen Medien nicht geübt werden! Wer während „Sponge Bob“, „Barbara Salesch“ oder „Super Mario“ nur für zwei Sekunden den Blick vom Bildschirm abwendet, hat nämlich sofort „wichtige“ Informationen – wenn nicht sogar einen Hinweis zum Verständnis der gesamten Handlung – verpasst bzw. das Spiel verloren. Auf einen Bildschirm kann man sich so supergut konzentrieren, weil er automatisch alle Aufmerksamkeit bindet, das ist das Geheimnis. Gleichzeitig „verkümmern“ bei manchen Kindern die Fähigkeit und Motivation, die es bräuchte, um ein Buch „durchzuhalten“. Wenn ein Kind die Wahl zwischen Konsole/TV und Springseil/Comic/Lego hat, ist die Chance groß, dass es sich für Ersteres entscheidet.

→ Auch wenn elektronische Medien zur Bildung beitragen, sollten Eltern am besten hierfür feste Zeiten mit ihrem Kind (zumindest mit ihren unter 14-Jährigen) aushandeln. Wenn der Medienkonsum begrenzt ist, bleibt wichtige Zeit zum Spielen, Malen, Basteln, in Büchern Blättern, Phantasieren, Träumen oder Sich-Langweilen übrig.

Was kann ich tun, damit unser Kind selbstbewusster wird?

→ Nicht Geschenke, Fernsehen und leckeres Essen machen Kinder selbstbewusst und zufrieden, sondern Aufgaben und Herausforderungen, die sie bewältigen können. Wer stolz vorweisen und über-blicken kann, was geschafft wurde, fühlt sich gut und glaubt auf Dauer an die eigenen Fähigkeiten. Das gilt für regelmäßige Aufgaben wie „Donnerstag wird der Müll weggebracht“, bei denen sich das Kind für die Familie wertvoll und wichtig fühlen kann, als auch für die Erfahrung „Am Ende habe ich das Puzzle doch noch geschafft“, nachdem ein Elternteil das Kind mit Nachdruck dazu ermutigt hat, es weiter und weiter zu versuchen.

→ Für jegliche Aufgaben eines Kindes, ob Schulaufgaben oder Kuchen-teig-Rühren, gilt: Greifen Eltern „helfend“ ein, vermitteln sie ihrem Kind: „Ich traue dir nicht zu, dass du es alleine geschafft hättest!“ Für Eltern gilt hier: „Lieber absichernd im Hintergrund und mein Kind selbstständig machen lassen, als vorneweg für mein Kind arrangierend!“ Auch funktionieren „Gestaunt – Sich-angestrengt – Durchgehalten – Geschafft!-Erfahrungen“ aus Familie und Freizeit als Puffer für Misserfolgserlebnisse in der Schule.

Abenteuer? Kennen viele Kinder und Jugendliche gar nicht, ohne dabei Verbotenes zu tun…

→ Kinder brauchen Abenteuer – und die erleben sie am besten mit „Schlachten“ und „Verfolgungen“ im Wald anstatt mit „World of Warcraft“ oder „Alarm für Cobra 11“.

→ Auch bauen einige Kinder „Mist“, verstoßen gegen Absprachen, Regeln oder sogar Gesetze, weil sie das Bedürfnis nach Abenteuern verspüren. Indem man sie „erziehen“ will, verstärkt man manches Mal ihr „Interesse“ eher noch: Da auferlegte Strafen und Verbote sowie Aufforderungen zu üblichem und regelkonformem Verhalten ihrem Bestreben ja erst recht noch entgegenstehen, hin und wieder etwas Aufregendes, Besonderes und Herausforderndes erleben zu können. „Legale“, erlaubte und unübliche Aktivitäten anzubieten, mit denen die eigenen Fähigkeiten auf die Probe gestellt werden können, ist da viel sinnvoller.

Und bist du nicht willig… so brauch ich Geduld!

→ Kinder, die weinerlich, fordernd oder aggressiv sind, sind nicht „verzogen“, „verwöhnt“ oder „haben schlechte Gene“. Solche Eigenschaften entstehen üblicherweise aufgrund unerfüllter Bedürfnisse und einer Verkettung schlechter (Lern-)Erfahrungen. Diesen Kindern wertschätzend, liebevoll und Sicherheit gewährend zu begegnen, ist Voraussetzung, damit sie positive Verhaltensweisen entwickeln können – nicht umgekehrt (nicht die Erwartung angemessenen kindlichen Verhaltens als „Eintrittskarte“ für freundliche Reaktionen der Erwachsenenwelt).

Mein Kind hat doch auf mich zu hören?!

→ Eltern, die sich für eine Ansicht, ein Wunschversagen oder eine Regel rechtfertigen, vermitteln ihren Kindern: „Mama/Papa ist sich nicht sicher, es lohnt sich, zu diskutieren …!“ Klare Ansagen, eine knappe Begründung und der Wunsch, das Kind möge sich daran halten, zeigen Kindern: „Mama/ Papa meint es ernst, das ist nun mal so!“ (Oder diskutieren Sie mit Ihrem Kind, dass es sich im Auto anzuschnallen hat, beim Essen auf Stühlen gesessen und nicht gestanden wird, die Dinofiguren nicht im Klo schwimmen lernen sollen?)

→ Eltern reagieren im Grunde alarmiert, weil sie ihre elterlichen Anliegen in Gefahr wähnen (Aufsichtspflicht, Sorge vor Gefahren, Gesundheit, Bildung, eine gute Beziehung zueinander, sich wertschätzend und respektvoll begegnen etc.). Förderlich ist es, Gelassenheit aufzubringen und Verständnis für Kinderwünsche auszusprechen. Die aktuelle Unzufriedenheit/Kritik kann dann als Wunsch an das Kind herausgestellt werden; gemeinsam können Absprachen – mit Konsequenzen bei Nichteinhaltung – getroffen werden; Kinder fühlen sich dann respektiert und verantwortlich (anstatt unterdrückt und missachtet) (…).

Literatur

  • Dieser Beitrag ist ein Auszug aus: S. Lüpertz (2011): Alles über Ihr Kind. 50 wertvolle Grundregeln zur Erziehung. Tübingen: dgvt-Verlag, ISBN 978-3-87159-250-8

Autorin

Simone Lüpertz, geb. 1983, wohnhaft in Neuss. Seit 2008 absolviert sie die Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin bei der DGVT in Krefeld. Neben der therapeutischen Tätigkeit am Zentrum für Psychotherapie in Krefeld ist sie seit 2011 bei Kinder- und
Jugendpsychiatern in Neuss als Therapeutin angestellt. Ihre eigene Approbation wird sie voraussichtlich im März 2012 erwerben. Schon vor Beginn der Therapie-Ausbildung war die diplomierte Sozialpädagogin seit 2007 bei der Erziehungs- und Familienberatung Dormagen
des Caritasverbandes Rhein-Kreis Neuss e.V. als Erziehungs- und Familienberaterin tätig.


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Erstellt am 24. November 2011, zuletzt geändert am 24. November 2011

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