„Mama, warum schießen Raketen? – Mit Kindern über Krieg sprechen

Christina Zehetner
Foto Zehetner Ifp

Immer wieder kommt es in Ländern dieser Erde zu politischen Krisen und angespannten Machtverhältnissen. Wenn strategische Verhandlungs- und Vermittlungsversuche zur Schlichtung dieser Krisen scheitern, drohen Kämpfe und im schlimmsten Fall Krieg. Allein durch die allgegenwärtige Medienpräsenz kommen Kinder mit dem Thema Krieg in Berührung.

Wie können Eltern und pädagogische Fachkräfte die Fragen und Sorgen der Kinder aufgreifen und sie altersgerecht beantworten? Wie können wir mit der Betroffenheit umgehen, die uns Erwachsene manchmal lähmt und die unsere Kinder spüren?

Nachfolgender Artikel möchte diese Fragen aufgreifen, sensibilisieren und hilfreiche Tipps für das Bearbeiten des sehr emotionalen Themas im Familien- und Kitaalltag geben.

1. „Betrifft uns das überhaupt?“ - Kriege sind allgegenwärtig

Der Verlauf der Weltgeschichte ist geprägt von Kämpfen und Kriegen. Da reicht es schon, wenn man die Schulbücher unserer Kinder aufschlägt, um die „kämpferische“ Zeitgeschichte zu verfolgen. Aber auch die schrecklichen und emotionalen Erzählungen der (Ur)Großeltern über den zweiten Weltkrieg und die Kriegsgefangenschaft mancher (Ur)Großväter weisen darauf hin, dass Kriege und Krisen unser Leben und die Geschichte prägen. Die Hoffnung auf durchgehend friedliche Zeiten hat sich nach dem zweiten Weltkrieg durch Krisen und Kämpfe in vielen Ländern zerschlagen. Aktuell ist die Kriegsgefahr durch den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine auch bei uns wieder in greifbare Nähe gerückt.

Wenn Kinder heute in einem Kriegsland leben und aufwachsen, sind sie unmittelbar von den dort vorherrschenden Gefahren, wie Verfolgung, Flucht oder Hungersnot betroffen. Kinder, die in Frieden aufwachsen, haben mittelbare Berührungspunkte zu den Geschehnissen in Kriegsländern. So kann es sein, dass es im eigenen Land vermehrt Friedensdemonstrationen gibt, zu Spenden aufgerufen wird, Veranstaltungen abgesagt werden und Medien ihre Berichtserstattung auf das Kriegsgeschehen fokussieren. Kinder bekommen eventuell Kontakt zu Geflüchteten, die plötzlich in der Nachbarschaft wohnen oder in derselben Kita oder Schule aufgenommen werden. Die Medien tragen einen großen Teil dazu bei, dass Berichte, Bilder und Videos über Kriegsgeschehen Einlass in unsere Wohn- und Kinderzimmer finden.

2. „Angst durch Information?“ - Die Medienpräsenz im Krisenmodus

Zu früheren Zeiten, als es noch kein Internet gab, konnte der mediale Informationsfluss in Fernsehen und Radio für Kinder und Jugendliche gut gefiltert und dosiert werden. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr möglich. Selbst Erwachsene fühlen sich durch die Sozialen Medien, durch dort übertragene Live-Videos und Interviews mit Betroffenen, teilweise reizüberflutet. Da unser Gehirn nur eine bestimmte Aufnahmefähigkeit besitzt, kann dies unsere Psyche schnell überfordern1. Das kann im Alltag zur Belastung werden.  

Zudem haben Eltern und pädagogische Fachkräfte über das Internet Zugang zu einer Vielzahl an medialen Informationen, hilfreichen Internetadressen, Tipps und Alltagsratschlägen, wie man das Thema Krieg im Familien- und Kitaalltag sinnvoll aufgreifen könne. Die Informationsflut, so sinnvoll diese auch ist, kann Erwachsene und Kinder allerdings gleichermaßen verunsichern.

Sollte man mit Kindern daher über Krisen und Krieg überhaupt sprechen? Und falls ja, in welchen Umfang und ab welchem Alter?

3. „Wir stecken den Kopf nicht in den Sand“ – Über schwierige Themen sprechen

Wie bei vielen Fragen im Bereich der Kinderbetreuung und des Familienalltags gibt es auch hier leider kein Patentrezept. Themen wie Tod, Trauer, Krankheit, Trennung oder Krieg wühlen emotional auf und beeinflussen oft nicht nur die betroffenen Personen, sondern das gesamte Familien- oder Gesellschaftssystem. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist deshalb zumindest langfristig gesehen keine gute Strategie. Kinder haben ohnehin sehr feine Antennen. Sie merken schnell, wenn Erwachsene emotional betroffen sind oder es ihnen nicht gut geht.

Daher sollte man die Themen mit Kindern in Familie und Kita mutig anzusprechen. Sich der eigenen Gefühlslage im Vorfeld bewusst zu werden ist wiederum Aufgabe der Erwachsenen, bevor sie mit Kindern emotional aufwühlende Fragen erörtern.  

Bei Fragen

Wenn Kinder Fragen zum Thema Krieg haben, sollten sie auf jeden Fall Antworten bekommen. In der Familie kann man sich, genauso wie in der Kita, zu gemeinsamen Gesprächen an einen Tisch setzen. Je nach Alter kann sich so jedes Kind mit seinen eigenen speziellen Bedürfnissen, Ängsten und Sorgen einbringen. Erwachsene sollten im Gespräch ehrlich und empathisch antworten, dabei allerdings das jeweilige Alter der Kinder beachten.

Viele „Warum-Fragen“ tauchen bei Kindern in der Zeit des Kindergartenalters auf, wenn Kinder beginnen sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Die gestellten Fragen und erhaltenen Antworten über die Welt dienen Kindern zur Orientierung2 und sind für eine gesunde Entwicklung wichtig. In der Kita kann das Weltgeschehen auch im Rahmen von Kinderkonferenzen oder in der Morgenrunde behutsam aufgegriffen werden. Mittlerweile gibt es viele geeignete Materialien und Bücher, die man für ein gemeinsames Gespräch nutzen kann, ohne eventuelle Ängste von Kindern zusätzlich zu schüren3.

Bei Ängsten

Im Grundschulalter nehmen bei Kindern die, bis dahin vorherrschenden fantasiebezogenen Ängste ab. Sie werden durch schul- und gesundheitsbezogene Ängste ersetzt4. In diesem Alter werden Kinder auch sensibler für die Welt um sie herum. Wenn Kinder etwas gesehen oder gehört haben das ihnen Angst macht, kann das zuallererst ein Gefühlschaos auslösen.

Eltern und pädagogische Fachkräfte sollten daher zeitnah und verständnisvoll trösten, beruhigen und Sicherheit vermitteln 5. Bei jüngeren Kindern hilft hier oft Körperkontakt wie kuscheln, auf dem Schoß sitzen und umarmt werden. Meist gelingt es dadurch, sich emotional zu entspannen. Erst danach machen Gespräche Sinn. Manche Kinder sind von ihrem Typ her ängstlicher als andere. Auch darauf heißt es Rücksicht zu nehmen, um Kinder emotional nicht zu überlasten.  

Bei Überforderung

Kinder können durch die Berichterstattung und Bilderflut von Fernsehen oder Sozialen Medien überfordert sein. Das wirkt sich, vor allem durch andauernden hohen Konsum, negativ auf die Gesundheit aus. Stress, Aggression, Schlafstörungen oder Ängste können langfristig auftreten und Kinder zusätzlich verunsichern6. Abhilfe schafft eine präventive, altersgemäße Dosierung des Medienkonsums und gemeinsame Gespräche darüber. Gute Alltagsstrukturen durch Wochenpläne, gemeinsame Aktivitäten, sowie das Einrichten von Kindersicherungen fürs Internet helfen dabei.

Bei Mediennutzung

Natürlich gibt es mittlerweile viele sinnvolle Medienangebote, deren Zugang auch für Kinder geeignet ist. Trotzdem sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass Kinder Nachrichten und politische Themen in ihrer Gesamtheit und Komplexität oft erst begreifen, wenn sie dem Grundschulalter entwachsen sind7. Sie sollten keinesfalls allein oder ungefiltert Zugang zu Nachrichtensendungen oder Berichterstattungen haben.

Bei Spielen mit Waffen

Eltern und Kita-Kräfte sehen es verständlicherweise nicht gerne, wenn Kinder mit Waffen spielen. Kinder sehen das ganz anders. Sie praktizieren mit ihrem Spiel das Angreifen und Verteidigen und spielen Szenen nach, die ihnen in den Medien begegnen. Viele Kinder sind darüber hinaus fasziniert vom Berufsbild der Polizei, von Geheimagenten und Bodyguards. Obwohl Kinder in der Lage sind zwischen Realität und Spiel zu unterscheiden, sollten Eltern und pädagogische Fachkräfte diese Spielsituationen nicht fördern. Es gibt genügend alternative Spiel- und Sportangebote, die bessere Anregungen bieten und für Kinder auch bald spannender sind8.  

4. „Das Thema Hoffnung“ - Wir halten zusammen

Negative Schlagzeilen, Krisen und Kriege, aber auch persönliche Schicksalsschläge und Krankheiten wühlen emotional auf und belasten die Betroffenen und das Alltagsgeschehen. Gerade für Familien, aber auch in Kitagruppen ist es von Bedeutung, über Gespräche hinaus den Fokus auf den Zusammenhalt der Gruppe bzw. der Familie zu legen. Niemand ist allein in einer Krise. Jede:r kann sich Hilfe suchen und erhalten. Dieses Gefühl ist nicht nur für Kinder sehr wichtig zu begreifen. Das Motto „Gemeinsam sind wir stark“ oder „Gemeinsam schaffen wir das“ kann beruhigen und motivieren, sich den eigenen Ängsten zu stellen und zusammen aktiv zu werden. Das gibt Hoffnung und setzt Energien frei, die in einer Krise dringend benötigt werden.

Literatur

  1. Website Das AOK-Gesundheitsmagazin: "Souverän mit sozialen Medien umgehen" (aufgerufen am 08.03.2022)
  2.  Bayerischer Erziehungsratgeber (aufgerufen am 08.03.2022)
  3. Evang. KITA-Verband Bayern 2022: Bilderbücher zum Thema Krieg, Flucht, LIebe und Frieden (aufgerufen am 08.03.3022)
  4. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Website kindergesundheit-info.de: "Kindliche Ängste"  (aufgerufen am 08.03.2022)
  5. Stamer-Brandt Petra/Murphy-Witt Monika (2015): Das kleine Erziehungs-ABC. Von Angst bis Zorn. Gräfe und Unzer Verlag. München
  6. Website "Digitale Elternbildung": Signale der Überforderung beim Kind (aufgerufen am 09.03.2022)
  7. Aufenanger, S.; Mertes, K., Nold,F.(2006): Verstehen Kinder Kindernachrichten? Televizion Ausgabe 2006 Nr. 19, (aufgerufen am 09.03.2022)
  8. Weymann, B. (2002): "Mein Kind spielt am liebsten mit Waffen und  Panzern" in Online-Familienhandbuch (aufgerufen am 10.03.2022)

Weiterführende Literatur

  • Eaton Alicia (2021): Alltagsängste bei Kindern. Wie Eltern ihren Kindern Sicherheit geben können. Junfermannverlag. Paderborn (für Eltern)
  • Hofbauer, Christiane (2017): Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita. Leitfaden für die pädagogische Praxis. Verlag Herder. Freiburg im Breisgau (für päd. Fachkräfte)
  • Spilsbury Louise/Kai Hanane/Bedford-Strom Jonas (2019): Wie ist es wenn es Krieg gibt? Alles über Konflikte. Gabriel Verlag. Marktheidenfeld (Sachbilderbuch ab 5 Jahre)
  • Schmitz-Weicht Kai/Schmitz Ka (2021): Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte für junge Menschen. Jacoby und Stuart Verlag. Berlin (ab 9 Jahre)

Hilfreiche Adressen und Unterstützungsmöglichkeiten

Allgemeines Hilfetelefon der Bayerischen Staatsregierung und der Freien Wohlfahrtspflege

Für Kinder und Jugendliche

Website Kindersache
Website Hanisauland
Website FLIMMO
Website Kindernachrichten LOGO!
Website WDR neun 1/2
Website Frieden fragen
Suchmaschine Blinde Kuh
Suchmaschine Helles Köpfchen 

Für Eltern

Bayerischer Erziehungsratgeber
Bayerisches Sozialministerium: Hilfe für die Ukraine
Website Jugendschutz.net
UNICEF: Mit Kindern über Krieg sprechen

Für päd. Fachkräfte und Lehrpersonal

Autorin

Christina Zehetner ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie hat langjährige praktische Erfahrungen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und arbeitete mehrere Jahre im Jugendamt. Die Autorin ist aktuell als Freie Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München tätig. Zudem hält sie als Beraterin humorvolle Seminare und Vorträge für Familien und Fachkräfte.

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eingestellt am 11. März 2022

 

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