Wie gehe ich am besten mit trotzigen Kindern um?

Beate Weymann

Wenn Kinder Wut- und Trotzanfälle bekommen, bringt es die Eltern oft an die nervlichen Grenzen. Gerade weil die Ausbrüche der Kinder wegen scheinbarer Kleinigkeiten eskalieren, sind sie für Eltern schwer nachvollziehbar. Nachfolgend finden sich entwicklungsbezogene Gründe und Ursachen für das "Trotzen" der Kleinkinder und Kinder, sowie nützliche Tipps um das Ausmaß solcher Wutanfälle im Alltag zu verkleinern.

Was versteht man unter Trotzverhalten?

Trotzverhalten findet man vorwiegend im Alter von ca. 2 bis 4 Jahren. Sowohl Kinder als auch Eltern leiden unter den spontanen Zornausbrüchen. Die Symptome sind sehr unterschiedlich: Manche machen es still mit sich ab, ziehen sich zurück, sprechen und essen wenig. Andere verhalten sich so trotzig, daß sie nicht mehr mit Worten zu erreichen sind (Metzger, 1956). Am meisten tauchen allerdings die typischen Wutausbrüche auf. Es handelt sich hier um Affekte, die mit unterschiedlicher Heftigkeit auftauchen. Oft treten unübersehbare körperliche Reaktionen auf: roter Kopf, Atemnot, Aufstampfen, Um- sich- Schlagen, Sich- auf- den- Boden- Werfen u.ä. Vielfach sind die Anfälle nur von kurzer Dauer (wenige Minuten).

Welche Bedeutung hat Trotzverhalten?

Das Verhalten ist für die Eltern schwer nachzuvollziehen, denn der Anlaß für solchen Zorn braucht nur geringfügig zu sein. Eine Hilfe für die Eltern und Erzieher mag sein, wenn sie sich vor Augen führen, daß der Zorn nicht gegen sie persönlich gerichtet ist. Das Kind versucht, sich von den Eltern (Erwachsenen) abzunabeln und mehr Selbständigkeit zu erreichen. Außerdem soll die eigene Durchsetzungsfähigkeit getestet und auch die Grenze des Wollens erlebt werden. (Hetzer, 1970). Remplein (1964) deutet das Trotzverhalten als Zeichen eines entstehenden Ichbewußtseins. Dieser Loslösungsprozess ist sowohl schwierig als auch langwierig und mit Schmerzen verbunden. Kinder, bei denen Trotzverhalten wenig bis kaum auftaucht, sind laut dieser Meinung in Bezug auf Selbständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit stark eingeschränkt.

Stand der Entwicklung des Kindes

Das 2. Lebensjahr zeichnet sich dadurch aus, daß das Kind laufen und sprechen lernt. Je mehr es jedoch das Laufen und Sprechen beherrscht, desto mehr Unsicherheit taucht auf und die Rückbesinnung auf die Eltern läßt nicht lange auf sich warten. Die amerikanische Psychologin Margaret Mahler betitelt diese Phase “Wiederannäherung” . In dieser Phase sucht das Kind seine Identität und begreift, daß die Eltern (alle Erwachsenen) ganz individuelle Interessen besitzen. Das Gefühl der Allmacht wandelt sich um in ein Gefühl des Begrenztseins. Diese Unsicherheit macht das Vorhandensein von Mutter und Vater als Ruhepole, Sicherheitsinseln sozusagen notwendig. Probleme kann es jetzt geben, weil das Kind nicht mehr ohne die Eltern bei Freunden etc. bleiben möchte. Das berühmte Hängen an Mutters Rockzipfel ist zu beobachten.

Die Motorik verfeinert sich ständig. Die Erkenntnis, daß es was bewirken kann, reift: Manchmal erfreut es die Eltern, dann wieder macht es die Eltern traurig oder wütend. Das Kind weiß, daß die Eltern anders als es selbst empfinden können. Kinder drängen zu mehr Autonomie. Selbst in gewissen Wörtern, die zu der Zeit sehr gerne gebraucht werden, drückt sich das Abgrenzenwollen aus. Derartige Wörter sind: “nein” , “ich” , “selbst” , “allein” . Außerdem ist es bestrebt, sich räumlich weiter von den Eltern zu entfernen. Auf der anderen Seite läßt sich aber nicht leugnen, daß es schon noch den Schutz seiner Eltern, die Sicherheit und Stabilität benötigt.

Neu erworbene Fähigkeiten (laufen, sprechen) stärken das Selbstwertgefühl des Kindes; es traut sich jede Menge zu. In der Realität gelangt es damit allerdings noch sehr schnell an seine Grenzen. Beispiel: Schuhe anzuziehen ist ganz einfach, aber wie geht das mit dem Schuhe zubinden? Wenn die Eltern etwas ganz anderes vorhaben als es selbst (saubermachen statt Spielplatz z.B.), fängt es an zu toben, was seine Verzweiflung anzeigt. Schließlich bemerkt es, daß manches so gar nicht ist, wie es sich das vorgestellt hat. Die Wünsche der Eltern sind ganz anders als seine eigenen beschaffen. Es möchte auch mehr bewirken, als seine Fähigkeiten zulassen.

Welches ist die ideale Reaktion auf Trotzverhalten?

Gelassenheit zu zeigen, wäre die ideale Reaktion auf kindliches Trotzverhalten. Verständnis aufzubringen für die Not des Kindes hilft weiter: “Leider kannst du noch keine Schleife binden, aber bald wirst du dazu in der Lage sein, ganz bestimmt!” Kann das Kind nicht beruhigt werden, so muß es toben, bis die Wut “verraucht” ist. Die Grenze ist hier bei, wo es sich selbst oder andere verletzt. Nach dem Anfall benötigt das Kind meistens Trost und Nähe, denn sie möchten sich der Zuneigung der Mutter vergewissern. Kemmler (1957) stellte fest, daß jeder vorgekommene Trotzanfall die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines erneuten Anfalls für die nächste Zeit steigert. Also findet man Trotzanfälle oftmals reihenweise. Das liegt wahrscheinlich daran, daß das Kind innerlich noch eine erhöhte Grunderregung und allgemeine Reizbarkeit aufweist. Aus dem Grunde reagiert es anfälliger bei entsprechender Reizung.

Wird auf dramatisches Trotzverhalten reagiert und das Kind bekommt dann seinen Willen, so lernt es durch Bekräftigung, wie es sich verhalten muß, damit die Eltern machen, was es sich wünscht. Festzuhalten ist, daß Trotzverhalten ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen darstellt und keine notwendige Eigentümlichkeit der psychischen Entwicklung. Treten öfter Trotzreaktionen auf, so stellt dieses ein Alarmzeichen dar. Wahrscheinlich sind die Forderungen zu stark einengend und man sollte überlegen, ob nicht eine Lockerung ratsam wäre. Wenn keine zwingende Notwendigkeit besteht, sollten Kinder nicht eingeschränkt werden. Etliche Konflikte sind dadurch vermeidbar.

Verhindern kann man Trotzanfälle nicht. Lediglich das Ausmaß läßt sich verkleinern. Dafür muß man folgendes gewährleisten:

  • Freiräume gestatten, aber auch gleichzeitig Grenzen ziehen. Freiheiten sind erforderlich für das Kind, um die Welt kennen zu lernen, zu erforschen, zu untersuchen. Das Neugierbedürfnis muß gestillt werden. Grenzen sind notwendig, um das Kind keiner gefährlichen Situation auszusetzen z.B. Möglichst wenig Regeln sollten konsequent beachtet werden (siehe Beitrag “Konsequenz” im Familienhandbuch). Je genauer das Kind weiß, wo Grenzen sich befinden, desto weniger Protest wird es geben.
  • Verhandlungen: Das Kind soll das Gefühl vermittelt bekommen, daß es ernst genommen wird. Es darf entscheiden, wo nichts dagegen spricht. Beispiel: Ob es nun die rote oder die blaue Hose anzieht; ob man die eine oder andere Geschichte vorliest; usw. Allerdings kann es auch hier Grenzen geben: Wenn das Kind das 1. und 2. Gericht zum Mittagessen nicht wollte, kann man nicht noch eins ihm hinstellen. Ein “nein” kann man dem Kind begründen. Beispiel: “Heute erhältst du kein weiteres Eis mehr, du hattest ja schon eines.” Kompromisse können eingegangen werden. Beispiel: “Heute habe ich sehr wenig Zeit, aber am Wochenende unternehmen wir etwas ganz Tolles zusammen, such du dir aus, was das sein soll.” Alternativen können angeboten werden. Beispiel: “Ich kaufe dir keine Cola, aber eine koffeinfreie Limonade darf es jederzeit sein.”
  • Konflikten aus dem Weg gehen: Zu wählen ist für Kinder recht schwierig. Die Wahl hat es so an sich, dabei gleichzeitig auf etwas anderes verzichten zu wollen. Damit haben Kinder Probleme. Beispiel: Kinder können sich schlecht entscheiden zwischen Kino, Schwimmbad oder Großeltern besuchen. Besser verfährt man so: “Es ist so schönes Wetter heute, wollen wir nicht schwimmen gehen?”
  • Ablenkung: Auf etwas anderes hinweisen, mit etwas anderem Aufmerksamkeit erreichen. Beispiel: Ärgert ein Kind sich gerade darüber, kein Eis mehr zu erhalten, dann kann man es auf den hübschen Hund hinter einem hinweisen.
  • Vorwarnung: Frühzeitig bekannt geben, wann etwas anderes getan werden soll. Auf diese Weise kann das Kind sich langsam mit dem Gedanken vertraut machen, die Sache, mit der es gerade beschäftigt ist, zu beenden. Die augenblicklichen Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigen und eine bestimmte Ausklingzeit zubilligen. Ein Erwachsener bricht ebenfalls ungern abrupt etwas ab. Beispiel: ” Wenn die Kirchturmuhr 5 mal schlägt, verlassen wir den Spielplatz. Sobald Vati in die Wohnung kommt, gibt es Mittagessen. Du darfst noch 2 Runden reiten, dann gehen wir. ” Verfährt man derart, kann man dem Kind einige negative emotionale und soziale Erfahrungen ersparen.
  • Dem Trotzanfall sollte möglichst wenig Beachtung geschenkt werden.
  • Eine Gradwanderung zwischen Überbehüten und Alleinlassen ist notwendig, damit sich Selbstvertrauen entwickeln kann. Dem Kind sollte nicht alles abgenommen werden, aber andererseits auch nicht alles überlassen werden. Mißerfolge muß das Kind auch erleben können. Der ideale Weg sieht so aus, daß man dem Kind zwar einiges überläßt, auf der anderen Seite Hilfe nicht abschlägt, bzw. anbietet, wenn es nicht weiter kommt.

Das Kind lernt folgendes in dieser Phase

Es hat begriffen, daß es nicht unbegrenzte Fähigkeiten besitzt; durchsetzen kann es sich; es hat eingesehen, daß die Gefühle der Eltern ganz anders als seine eigenen ausfallen können; zu Kompromisse ist es bereit; Anpassung fällt leichter; es sieht ein, daß Rücksicht nehmen unverzichtbar ist; Verzicht ist möglich. Das Kind fühlt sich von seinen Eltern geliebt trotz Meinungsverschiedenheiten.

Literatur

  • Eltern: Die richtige Erziehung von A-Z, VEMAG, Köln
  • Horst Nickel: Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters, Verlag Hans Huber, Stuttgart, 1982
  • Wolfgang Schmidbauer: Psychologie – Lexikon der Grundbegriffe, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1991
  • Dorsch, Friedrich: Psychologisches Wörterbuch, Hans Huber, Stuttgart, 1987
  • Metzger, F.: Frühkindlicher Trotz. Karger, Basel, 1956.
  • Remplein, H.: Die seel. Entwicklung des Menschen im Kindes- u. Jugendalter, E. Reinhardt, München, 1964
  • Hetzer, H.: Kind u. Jugendlicher in der Entwicklung. Schroedel, Hannover, 1970.
  • Kemmler, L.: Untersuchungen über den frühkindlichen Trotz, Psychol. Forschung, 1957, 25, 279-338.

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Beate Weymann, Diplom-Sozialpädagogin
37586 Dassel

Erstellt am 17. Juli 2001, zuletzt geändert am 27. Januar 2010

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