Mädchen in der Pubertät

Ingrid Leifgen
Leifgen Ingrid

“Besser einen Sack Flöhe hüten, als eine Tochter”, sagte man früher. Heute drücken Eltern sich anders aus, wenn sie von ihren pubertierenden Mädchen sprechen, aber sie meinen das Gleiche.

Plötzlich ist alles anders

Es kam scheinbar ganz plötzlich, wie angeflogen. Von einem Tag auf den anderen wurde aus dem ausgeglichenen, fröhlichen Sonnenschein eine – richtige Zicke. Eben noch bester Laune, kann sie im nächsten Augenblick zornig “unter der Decke hängen”. Auf ein zärtliches “Du bist die liebste Mami der Welt” kann Minuten später ein heftiger Ausbruch folgen: “Mensch Mama, musst du mich denn immer nerven?” Wut und Zärtlichkeit, Freude und Trauer, Lust und Frust, die ganze Palette menschlicher Gefühle scheint das Kind im Turbo-Tempo zu durchleben, da kommt man als Eltern gar nicht mehr mit.

Aber auch sonst ist manches plötzlich anders. Zwischen die Pferdeposter an den Wänden mischen sich Bilder von Sängerinnen und Serienstars. Nachmittags telefoniert das Kind ewig mit Freundinnen, am Abend schließt sie sich neuerdings im Badezimmer ein. Und ihr Kleidergeschmack hat sich auch verändert. War sie vor Kurzen noch mit dem zufrieden, was Mutter ihr mitbrachte, besteht sie jetzt darauf selbst auszuwählen und zwar in ganz bestimmten Läden. Sogar Bewegung und Sprache verändern sich. Manche Mädchen wirken vorübergehend ungelenk, so als wüssten sie nicht wohin mit den gestreckten Gliedern und den ersten Anzeichen weiblicher Formen. Andere ahmen schon das Verhalten erwachsener Frauen nach. Das wirkt mitunter komisch, ebenso wie die “coolen” Redensarten, das Gekicher und alberne Getue, wenn mehrere Mädchen zusammen sind. Zwischen das Teeniegehabe schieben sich immer wieder Rückfälle ins Kindliche, ein Umstand, der Eltern besonders verwirrt. Da kramt sie auf einmal ihre Puppen hervor, wenn niemand zusieht, oder vertieft sich mit dem jüngeren Geschwister ins Ritterspiel.

Der Körper verändert sich

Die meisten Mütter und Väter erleben die Pubertät ihrer Tochter als anstrengend und fühlen sich nicht selten überfordert. Nie weiß man, wo man mit ihr dran ist, täglich stellt sie neue Grenzen in Frage. Besonders hart trifft es häufig die Mütter, die, eben noch engste Vertraute, plötzlich scharfe Abgrenzung durch die Tochter erleben. In dieser schwierigen Lage kann es helfen, sich klar zu machen, was eigentlich genau passiert.

Da ist zunächst einmal die körperliche Ebene. Etwa ab dem neunten Lebensjahr beginnt der Prozess der sexuellen Reifung. Die Brüste werden langsam sichtbar, die Hüften werden runder, unter den Achseln und im Schambereich sprießen die ersten Haare. All dies unterliegt einem feinen Steuerungsprozess, der unter anderem vom Körpergewicht abhängt. Erst bei zirka 40 Kilogramm erhalten die Östrogene (weibliche Hormone) den Befehl vermehrt aktiv zu werden. Die Pubertät beginnt deshalb beim einzelnen Kind sehr unterschiedlich. Ziel aller hormonellen Aktivitäten ist die Geschlechtsreife, sprich Empfängnisfähigkeit des Mädchens. Schon auf der physischen Ebene bedeutet das Ungeheuerliches. Ein Körper, der bisher einfach da war, nicht weiter wahrgenommen, aber Quell aller Lebendigkeit, unterliegt plötzlich nicht steuerbaren Gesetzmäßigkeiten. Die Regel kommt und geht, verursacht Spannungsgefühle, manchmal Schmerzen, auf jeden Fall Einschränkungen. Mit dem Eintritt der Periode breitet sich gleichzeitig der Kosmos weiblicher Lebensperspektiven aus. Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt und ein Leben als Mutter, das sind die Aussichten, die sich in das Bewusstsein junger Mädchen schieben, ob sie wollen oder nicht.

Spuren in der Seele

Kein Wunder, dass diese dramatische Veränderung sich in den Seelen der Mädchen spiegelt. Hin und her geht es da zwischen der Sehnsucht nach der verloren gegangenen Kindheit und den Verlockungen des Erwachsenenlebens. Eben deshalb sind sie beides in einem – liebe Mädchen und aufsässige Zicken. Tempo und Vehemenz des Wechsels legen Zeugnis davon ab, mit welcher Heftigkeit sich das innere Drama vollzieht. Dass es turbulenter erscheint und häufig schlimmer empfunden wird als bei Jungen hat vor allem zwei Gründe.

Der Erste: Mädchen dürfen von Haus aus gefühlvoll sein und das auch zeigen. In dieser Hinsicht erziehen wir heute noch – unbewusst – nach alten Mustern. Schon ganz früh werden Jungen dazu angehalten, ihre Emotionen zu kontrollieren. Nicht unbedingt durch martialische Sprüche – “ein Indianer kennt keinen Schmerz” -, sondern indem über ihre Gefühle hinweggegangen wird. Mädchen dagegen erfahren Ermutigung ihre Trauer, aber auch Freude oder Zärtlichkeit auszudrücken. Sie dürfen zu den eigenen Gefühlen stehen und das ist eine Stärke. Auch in der Pubertät kann der innere Zustand direkt nach draußen.

Es gibt kaum attraktive Vorbilder

Der zweite Grund: Eine eigene weibliche Identität zu entwickeln ist für Mädchen heute sehr schwer. Vorbilder und Rollen sind widersprüchlich und erweisen sich, zumindest langfristig, als wenig attraktiv. Da gibt es den Anspruch auf formale Gleichberechtigung, immer mehr Frauen dringen erfolgreich in bisherige Männerdomänen vor. Parteivorsitzende, Rennfahrerinnen, Auslandskorrespondentinnen, Pilotinnen – an diesen Frauen könnten sich junge Mädchen orientieren. Bei genauerem Hinsehen aber zeigt sich der Haken: Viele dieser “Superfrauen” haben keine eigene Familie. Mit Kindern haben sie nämlich auch heute noch weniger Chancen, wirklich attraktive Jobs zu bekommen. In ihrer realen Umgebung erleben Teenager meistens Mütter, die entweder als Hausfrauen unter mangelnder Anerkennung leiden, oder sich im Spagat zwischen Beruf und Familie aufreiben. Keine der angebotenen Rollen taugt im Grunde als Vorbild, dem man mit Begeisterung nacheifern möchte. Auch wenn dreizehn- oder vierzehnjährige Mädchen dies nicht immer klar benennen können, so ahnen sie es doch. Unbewusst wissen sie, dass das weibliche Geschlecht unter der Oberfläche (und häufig auch offen) immer noch als das schwache gilt. Nicht selten erleben sie es auch am eigenen Leib. Viele Mädchen müssen sich mit irgendeiner Form von sexuellen Übergriffen herumschlagen. An den Bewegungseinschränkungen, die ängstliche Eltern ihnen auferlegen, erkennen sie außerdem, wie gefährdet sie sind. Kein Wunder, dass die wenig glanzvollen Aussichten auf ihr Frauenleben in der Pubertät besondere Spannungen erzeugen. In zornigen, tränenreichen oder sonst wie dramatischen Auftritten kommen sie zu Tage.

In den Medien dominiert der Körperkult

Abhilfe vom Orientierungsnotstand versprechen die Medien. Unübersehbar die Bücher für Mädchen, die von der ersten Liebe handeln. Zahlreiche Zeitschriften sind auf weibliche Teenies zugeschnitten und diese Blätter wiederum unterhalten gut besuchte Internet-Seiten. Gewisse Fernsehserien bedienen das junge Publikum und die Popmusik produziert immer neue Stars, die vorübergehend den Idolhimmel bevölkern. Die Vorbilder, die die Medien anbieten sind allerdings einseitig bis zur Tristesse. Sie präsentieren perfekt gestylte Frauen mit Model-Figuren, deren Schönheit ihre wichtigste Eigenschaft ist.

Manche Mädchen reagieren auf die Überbewertung des Äußeren mit konsequenter Ablehnung und probieren in Aussehen und Verhalten das burschikose Gegenteil. Sie verstehen sich mit Jungen besser als mit den Angehörigen des eigenen Geschlechts, und wären überhaupt lieber ein Junge geworden. Ein Weg, der in die Sackgasse einer Identitätskrise führen muss. Denjenigen, die sich in der allerorts vorgeführten Weibchenrolle üben, ergeht es jedoch nicht besser. Die Überbewertung des Äußeren hat fatale Folgen. Zum einen führt sie dazu, dass alle anderen Eigenschaften und Fähigkeiten der Mädchen abgewertet werden. Die Freude am Sport etwa oder gute Schulleistungen erscheinen nicht mehr so wichtig. Zum anderen bewirkt sie, dass manchen Mädchen die Anerkennung ihres perfekt geformten Körper zum Lebenssinn wird. Mit extremen Mitteln versuchen sie dem Ideal zu entsprechen. Das ist der Grund, warum Körpersüchte wie Bulimie und Magersucht bei pubertierenden Mädchen dramatisch zunehmen.

Ihre Tochter braucht Orientierung

Um die mitunter raue See der Pubertät sicher durchkreuzen zu können, braucht ein junges Mädchen den Rückhalt seiner Eltern. Noch sind Mutter und Vater die wichtigsten Personen in seinem Leben und es wünscht sich nichts sehnlicher als Orientierung. Deshalb dürfen Sie sich gerade jetzt nicht aus dem Leben ihres Kindes verabschieden. Es braucht Sie als Garant für Beständigkeit in einer schwankenden Welt. Bleiben Sie klar und berechenbar. Vertreten Sie Ihre Meinung, gleich ob es um Schulleistungen, Tabak und Alkohol, Ausgehzeiten oder Kleidung geht und setzen Sie sie gegebenenfalls auch durch. Nicht, dass Sie mit der Brechstange hantieren sollten. Natürlich müssen Sie mit ihrer Tochter reden, Argumente ins Feld führen und sich von den ihren überzeugen lassen, wenn sie ihnen stichhaltig erscheinen. Geht Ihnen jedoch etwas völlig gegen den Strich, dann bleiben Sie bei ihrer Linie.

Zum Beispiel in der Klamottenfrage. In fast jeder Familie kommt die leidige Markendiskussion auf den Tisch, und die meisten Eltern sehen nicht ein, für ein bestimmtes Fabrikat viele Euros zu berappen. So könnte es gehen: Vater und Mutter legen ein Budget für Kleidung fest. Wird das überschritten, weil die Marke teurer war als das gleichwertige No-Name-Produkt, muss die Tochter vom Taschengeld drauflegen. Manche jungen Mädchen neigen auch zu extrem sexualisierter Kleidung und überschreiten damit nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks. Auch hier dürfen Eltern sich einschalten, ihre Meinung vertreten, gegebenenfalls ein Outfit verbieten. Scheuen Sie nicht die Auseinandersetzung und riskieren Sie ruhig mal einen Streit. Auch wenn sie es niemals zugeben wird, Ihre Tochter ist ihnen oft genug dankbar. Vielleicht fühlt sie sich selbst in dem super-knappen Oberteil nicht wohl, kann sich aber dem Druck ihrer Clique nicht widersetzen. Was für eine Entlastung, wenn sie dort erbost berichten kann, sie selbst habe ja gerne gewollt, aber ihre strenge Mutter…

Auch bei anderen Themen ist das oft so. Ihr Teenie passt sich an die Gruppe an, weil er nach Orientierung sucht, ist aber längst nicht immer glücklich damit. Eine Entscheidung von Mutter oder Vater hilft dann aus der Patsche, auch wenn scheinbar dagegen rebelliert wird.

So bleiben Sie in Kontakt

Natürlich wäre das alles weit weniger anstrengend, würden pubertierende Töchter nicht fast täglich neue Themen aufs Tapet bringen und ihre Eltern zu Stellungnahmen zwingen. Folgende Tipps helfen Ihnen konstruktiv mit der Situation umzugehen:

  • Erinnern Sie sich an Ihre eigene Pubertät. Das hilft Ihnen Ruhe zu bewahren und befördert Ihren Humor.
  • Hören Sie aufmerksam zu, wenn ihre Tochter etwas erzählt und nehmen Sie ihre Gefühle ernst. So machen Sie es ihr leichter, auch Sie ernst zu nehmen und für Ihre Argumente zugänglich zu sein.
  • Vermeiden Sie Vorwürfe und Verallgemeinerungen. Wenn Sie etwas stört, dann wählen Sie lieber die Ichform: Statt: “Du hast dein Zimmer schon wieder nicht aufgeräumt! Immer lässt du alles liegen!” lieber “Ich bin enttäuscht, dass dein Zimmer immer noch nicht aufgeräumt ist, obwohl du es mir versprochen hast.” Während die erste Fassung wahrscheinlich dazu führt, dass Ihr Mädchen beleidigt oder bockig reagiert, wird Ihre Botschaft im zweiten Fall ziemlich sicher ankommen.
  • Loben Sie Ihre Tochter, wann immer sich die Gelegenheit bietet, und zeigen Sie ihr, dass Sie stolz auf sie sind.
  • Sie müssen nicht jeder Zeit in der Lage sein, die richtigen Antworten zu geben. Wenn Sie einmal nicht weiter wissen, genehmigen Sie sich eine Auszeit. Sagen Sie ruhig: “Darüber muss ich erst einmal nachdenken.” Oder: “Ich will erst mit deinem Vater sprechen.”
  • Versuchen Sie nicht, sich an den Stil der Jugendlichen anzupassen. Eltern, die mit vierzig die Kleidung ihrer Kinder tragen und deren Sprache übernehmen werden insgeheim belächelt. Sie sind keine Vorbilder, weil sie keine Richtung weisen. Außerdem nehmen sie dem Nachwuchs die Chance sich abzugrenzen und etwas Eigenes zu entwickeln.
  • Bleiben Sie auf jeden Fall mit Ihrer Tochter im Gespräch. Nehmen Sie den Kontakt auch dann wieder auf, wenn es einmal richtig geknallt hat. Erzählen Sie von ihren eigenen Gefühlen und Gedanken in dem Konflikt. Das schafft Vertrauen.

Willkommen im Klub! Die Menstruation

Vertrauen braucht es ganz besonders, wenn es um das Thema geht, das die Pubertät dominiert: Sexualität. Erschreckend viele Mädchen wissen, trotz Aufklärung in der Schule, nicht richtig Bescheid. Hier sind vor allem die Mütter gefragt. Sprechen Sie mit Ihrer Tochter über Freundschaft und Liebe, Lust und Frust, Sex und Verhütung. Sie tun es am besten bevor das Thema ”dran“ ist. Das erfordert Fingerspitzengefühl, denn für eine Zwölfjährige zum Beispiel, die bereits ihre Periode hat, ist Verhütung noch kein Thema. Wenn Ihrem Teenie ein Thema peinlich ist, werden Sie das aber sehr schnell merken und entsprechend behutsam sein. Ganz besonders sei den Müttern ans Herz gelegt, das Thema Menstruation nicht auszusparen. Das ”erste Mal“erleben die meisten Mädchen auch heute noch als Schock und den Umgang mit der Periode als Problem. Oft ist sie noch unregelmäßig und deshalb nicht berechenbar. Das führt zu allerlei Peinlichkeiten. Manchmal verursacht sie auch Schmerzen und Übelkeit. Je jünger das Mädchen ist, desto schwerer fällt ihm, sich mit der Regel abzufinden. Machen Sie es ihm deshalb so leicht wie möglich. Helfen Sie ihm seine weiblichen Besonderheiten zu schätzen, indem Sie das ”erste Mal“gemeinsam feiern. Gehen Sie mit Ihrer Tochter Eis essen oder ins Kino, laden Sie vielleicht auch die Patentante dazu ein, die Oma oder ältere Kusinen und heißen Sie sie willkommen: Im Club der erwachsenen Frauen.

Literatur

  • Esther Schoonbrood, Barbara Dobrick (2011): Erklär mir die Liebe! Gefühle, Körper, Sex. Worüber Frauen mit Mädchen sprechen sollten. Goldmann Verlag
  • Peer Wüschner (2010): Grenzerfahrung Pubertät. Neues Überlebenstraining für Eltern, Eichborn Verlag
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Aufregende Jahre. Jules Tagebuch. Für Mädchen von 10 bis 15 Jahre, kostenlos hier

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Ingrid Leifgen ist freie Journalistin und Autorin mit dem Schwerpunkt Familie und Erziehung. Sie hat drei Kinder.

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