Kinder können beten

Dr. Angela M. T. Reinders
Reindersangela

 

 

 

 

Was „bringt” das Gebet für das Leben des Kindes? Was können Eltern tun, um Kinder in ihrer Gebetspraxis altersgerecht zu unterstützen? Anregungen für einen gemeinsamen Gebetswortschatz und eine Auswahl aus einer Bandbreite von Formen.

Dass Kinder manchmal spontan kleine Gebete äußern, zeigt: Sie können beten. Doch wie entwickelt sich das Gebet bei Kindern? Was „bringt“ das Gebet für das Leben des Kindes? Was können Eltern tun, um Kinder in ihrer Gebetspraxis zu unterstützen? Welchen Gebetswortschatz kann man beherrschen und welche Gebetsformen bieten sich an?

Stellen Sie sich eine Familie mit drei Kindern vor. Nehmen wir an, Sarah ist die Älteste mit 13 Jahren, Samuel ist elf Jahre und Nadine sechs Jahre alt. Der Opa, an dem alle sehr hängen, ist lebensbedrohlich erkrankt. Der Arzt tut sein Bestes, aber weiß nicht, ob er den alten Mann wieder gesund machen kann. Die drei Kinder beten.

„Nadine: ‚Lieber Gott, du bist doch allmächtig. Mach den Opa wieder gesund.’

Samuel: ‚Lieber Gott, hilf dem Arzt, dass er die richtigen Behandlungsmethoden und Medikamente findet, und gib unserem Opa durch sie die Gesundheit wieder.’

Sarah: ‚Lieber Gott, unser Opa ist schwerkrank. Hilf dem Arzt und uns, alles zu machen, was ihm guttut, und tröste ihn in seiner Trauer. Denn du bist den Menschen ein Freund.’“

Beispiel aus: Bernhard Grom, Religionspädagogische Psychologie, Patmos Verlag, Düsseldorf 5. Auflage 2000, S.187.

Offensichtlich beten Kinder verschiedener Altersstufen unterschiedlich und es gibt eine Entwicklung im Gebet – vorausgesetzt, die Kinder werden bei ihrem Gebet gefördert und begleitet.

Wie entwickelt sich das Gebet bei Kindern?

Alter des Kindes

Einstellung des Kindes zum Gebet

Was können Eltern tun?

erstes und

zweites

Lebensjahr

Durch das gemeinsame Gebet erfährt das Kind Geborgenheit auch dadurch, dass sein Vertrauen in die Eltern in deren Gottvertrauen eingebettet ist. Der Religionspädagoge Lothar Kuld zitiert in seinem Buch „Das Entscheidende ist unsichtbar“ die Kinderfrage: „Versteht Gott die Kinder auch mit Schnuller im Mund?“ Zwar ist es ein älteres Mädchen, das diese Frage stellt. Doch geht es im Rückgriff auf eigene Erfahrung und in der Beobachtung seiner jüngeren Geschwister davon aus, dass schon kleine Kinder ein Gespräch mit Gott führen und so anfänglich beten.

Gebet mit dem Kind, eigenes Gebet als Vorbild.

 

drittes bis

sechstes

Lebensjahr

Die Erfahrung zeigt dem Kind, dass die Welt (und Gott) nicht gemäß seiner Erwartung funktioniert. Es kann darüber noch nicht nachdenken, nur mit Trotz reagieren. Die Vorstellung von der Welt ist „magisch“ und es braucht eine angemessen magische Verarbeitung seiner Erlebnisse. Eltern wissen genau, dass der Schmerz einer Schürfwunde sich nicht vom Knie löst, wenn sie pusten – das Kind sieht ihn weit am Himmel fortfliegen. Auch das Gebet stellt das Kind sich magisch vor: Gott greift automatisch ein, wenn ich ihn bitte, und verändert meine Situation. Das Gebet vermittelt ihm das Gefühl, seine Ängste mit Gottes Hilfe unter Kontrolle bringen zu können.

Die Wortwahl der Gebete lässt den Eindruck verblassen, Gott würde wie ein „Feuerwehrmann“ in das Geschehen eingreifen. Neben selbst formulierten können vorgegebene Gebetstexte hierfür passend sein, auch durch Bilder unterstützt. Schon die Grundgebete wie das Vaterunser kann das Kind lernen, wenn es auch noch nicht den ganzen Sinn erfasst.

 

siebtes bis

zehntes

Lebensjahr

Das logische Denkvermögen nimmt zu und das Kind kann seine Gedanken in Worte fassen. Das gelingt auch beim Gebet. Das Kind entwickelt ein Zeitgefühl; dadurch werden Erinnerungen von Familienmitgliedern wichtig. Bei Gott vermutet es eine „ausgleichende Gerechtigkeit“, „wenn ich – dann du“. Das Kind versteht, wenn man ihm das Gebet als spirituelle Hilfe anbietet, und löst sich nur allmählich von seiner früheren Vorstellung, dass Gott gleich mit passenden „Sachen“ und „Lösungen“ zur Stelle wäre.

Die Gebetstexte wandeln sich mit dem zunehmenden Verständnishorizont. Das Kind freut sich über Gebetstextangebote aus dem Familienschatz, über das, was Oma und Opa oder die Cousine und der Cousin immer beten. Die eigene Erfahrung damit, wie das Gebet spirituell hilft, verstärkt den Prozess des Betenlernens.

 
elftes bis

zwölftes

Lebensjahr

Immer noch überwiegt die Vorstellung, dass Gott gut reagiert, wenn das Kind gut ist, dass er mit „Lohn“ und „Strafe“ das eigene Tun beantwortet. Entsprechend werden auch Gebete formuliert. Die Einsicht wächst, dass Gott und Mensch beide etwas zur Veränderung einer Situation beitragen. Zum Übergang in das Jugendalter entwickelt sich daraus – wenn auch nur für eine Übergangszeit – das Verständnis, dass Gott und Mensch nebeneinander her handeln.

Durch die Gebetssprache – auch für diese Altersstufe gibt es passende „Gebetsliteratur“ – betonen, dass das Handeln von Gott und Mensch miteinander zu tun hat. Diese Einsicht durch biblische Erzählungen vertiefen wie auch die Tatsache, dass Gott eben nicht belohnt und bestraft, sondern in seiner Freiheit dem Menschen gibt, was er braucht (Bergpredigt) – nicht, weil die Menschen gut sind, sondern weil er gut ist.

ab Jugendalter

Gott wird vielfach eher als „Gefühl“ empfunden denn als Gegenüber gedacht, das prägt auch das Gebet, das vielfach gefühlsbetont formuliert und „innerlich“ bleibt. Eine eigene Persönlichkeit und die Festlegung auf ein eigenes Glaubens- und Wertesystem werden wichtiger. Gebetstexte werden souverän selbst und in Auseinandersetzung mit anderen gefunden. Es findet bei religiös engagierten Jugendlichen auch ein Austausch von Gebetstexten statt. Besondere Bedeutung erlangen Gebete von berühmten Christinnen und Christen wie Mutter Teresa oder Dietrich Bonhoeffer. Jugendlicher Protest äußert sich auch durch Stil und Praxis des Gebets.

Eltern brauchen hier wohl am meisten Gelassenheit, auch Gebetstexte zuzulassen, die mit ihrer eigenen Spiritualität nicht übereinstimmen

Was „bringt“ das Gebet für das Leben des Kindes?

Im Babyalter verstärkt das Gebet, das das Kind bei den Eltern lernt, sein Vertrauensvermögen – und das zu entwickeln ist bis zum dritten Lebensjahr die vordringlichste Aufgabe von Eltern und Kind. Das eigene Beispiel der (Groß-)Eltern beim Gebet lässt das Kind spüren, dass es nicht an Gott als „Notdienst“, sondern an die Geborgenheit bei ihm glauben kann, die auch die Großen trägt.

Dem kleinen Kind hilft das Gebet, Stresserfahrung zu verarbeiten. Dies ist eine Funktion des Gebetes, die es bis ins Erwachsenenalter hinein erfüllt; auf dieser Grundlage sind viele so genannte „Stoßgebete“ entstanden. Bei dieser Erfahrung darf die Einübung des Gebetes allerdings nicht stehen bleiben. Würde sie das tun, dann könnte man ja in Stresssituationen irgendeinen magischen Ritus oder ein Zauberwort einsetzen, das eine entlastende Funktion erfüllen soll. Gebet ist ein Gespräch mit Gott und hat Aussicht auf Antwort – auch wenn diese Antwort vielleicht nicht so ausfällt, dass eine Situation gleich und sofort gelöst wird.

Zur Erziehung zum Gebet gehört daher auch, dass Kinder eine Gelegenheit erhalten, auf Gottes Stimme zu hören. Die biblische Geschichte von Elia gibt hierzu Anregung. Wenn das Alltagsgeschehen von den Eltern und Kindern gemeinsam betend gedeutet wird, wird das Dankgebet die Erfahrungen vor Gott bringen, in denen seine Nähe spürbar geworden ist.

Kinder, die beten, erhalten ein Angebot, ihre Zeit einzuteilen und zu deuten. Je älter sie werden, umso mehr haben sie den gleichen Eindruck wie Erwachsene, dass viele Dinge schnell erreichbar sind – oder es sein müssen, um etwas wert zu sein. Erinnerungen an die Vergangenheit dagegen erleiden einen Kursverfall. Die christliche Zeiteinteilung dagegen traut dem Menschen, auch schon dem Kind etwa ab Grundschulalter, ein anderes Zeitmaß zu:

Vergangenheit 

erinnern

Gebetsschatz und Worte aus der Bibel, Rückgriffe auf das Alltagsgeschehen und auf den Glauben von Großeltern und Eltern sind kostbare Quellen für das Leben.

Gegenwart

entscheiden 

Sieht auch meine Situation verfahren aus, so traut Gott mir doch zu, genau jetzt, im Augenblick des Gebetes, mit seiner Hilfe etwas zu verändern.

Zukunft

erhoffen

Gottes Zusage, von ihm etwas erwarten zu dürfen, kann ich betend beantworten und so mit Gott meine Zukunft entwerfen.

nach Hans-Joachim Höhn, Gegen-Mythen. Religionsproduktive Tendenzen der Gegenwart, Freiburg/Basel/Wien 1994.

Ältere Kinder, die eine Gebetskultur gepflegt haben und nicht durch Enttäuschungen oder mangels Begleitung davon abgerückt sind, haben mit dem Gebet ab Jugendalter eine weitere Kommunikationsform, in der sie ihre Ängste und Sorgen „verpacken“ können, aber auch eine Sprechweise für ihr Engagement für die bessere Welt, für die sie sich in sozialer oder ökologischer Hinsicht einsetzen, und – wenn auch noch so unbekannt – Gott als Gegenüber. Jugendgottesdienste sprechen eine eigene Sprache und sollen das auch bewusst tun.

Ansprechpartner für die Gestaltung von Jugendgottesdiensten gibt es bei den katholischen und evangelischen Jugendverbänden.

Was können Eltern tun, um Kinder in ihrer Gebetspraxis zu unterstützen?

Ganz einfach: Beten. Morgens und abends, bei Tisch und spontan in Situationen, in denen ihnen selbst danach zumute ist. Allein mit dem Kind und in der Gemeinschaft von Familie, Kirchengemeinde und Kindergartengruppe.

Eltern sind der erste Zugang, den Kinder zu Gott haben. Am Anfang sind sie auch ihr Sprachrohr. Um nicht sprachlos zu werden, brauchen Eltern selbst immer spirituelle Anregung. Auf das Beten mit Kinder bezogen heißt das auch: eine Auswahl von Kindergebetbüchern.

(Hier finden Sie zu der hilfreichen Seite „Religiöse Bücher“, auf der in der Rubrik „Empfehlungen“ immer wieder neue Kindergebetbücher vorgestellt werden.)

Ein gutes Angebot stellen Katholische Öffentliche Büchereien. Eine solche Leihbücherei in Ihrer Nähe finden Sie über ein Büchereiverzeichnis. Sie müssen keine teuren Bücher erst anschaffen, sondern können zunächst auswählen, in Ruhe prüfen, ausleihen und eventuell ein bis zwei Bücher selbst kaufen.

Schaffen Sie – besonders abends – eine Atmosphäre, in der Ihr Kind wahrnehmen kann, dass das Gebet für Sie etwas Besonderes bedeutet und aus der Alltagsunterhaltung herausgehoben ist. Verlieren Sie aber nicht die Geduld, wenn Ihre Tochter oder Ihr Sohn zu müde oder zu aufgedreht von den Ereignissen des Tages ist, Themen und Worte in das Gebet hineinbastelt, die nach Ihrer Meinung nichts darin verloren haben.

Wenn Sie mit Worten nicht mehr viel ausrichten können, weil die Konzentration fehlt, dann findet der Tag in Liedern wie „Der Mond ist aufgegangen“, „Guten Abend, gute Nacht“ oder „Weißt du, wie viel Sternlein stehen?“ einen innigen Abschluss gemeinsam mit Gott.

Was bedeutet es, einen Gebetswortschatz zu haben?

Das „Bitte“ des Gebets lebt aus dem Vertrauen, es umfasst das „Danke“ mit: Mein Leben kann ich gar nicht alleine schaffen; Gott steht mir bei und schenkt, weil er in seiner Freiheit so gut zu mir und allen Menschen ist.

Einige Gebetsworte, am Beispiel des Vaterunsers: Die Anrede „Vater“ für Gott sagt dem Kind: Mit Gott gibt es jemanden, der dich ins Leben gerufen hat. Oder, mit einem Wort Jürgen Werths: „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur.“ Der „Himmel“ ist nicht so weit weg, er macht meinen Blick weit und meine Hoffnung groß. „Du“ ist ein sehr wichtiges Wort. Gebet ist ein Gespräch mit Gott. Jesus hat die Menschen gelehrt, ihn mit „Vater“ anzusprechen, in ihm ein Du zu finden. Zum Vertrauen kommt Vertrautheit dazu. „Vergib“ trägt die eigene Hilflosigkeit und die eigenen Grenzen zu Gott: Ich mache Fehler und muss deswegen nicht völlig scheitern. Gottes Vergebung gibt mir eine neue Chance, eine Zukunftsperspektive. „Amen.“ Der Wortklassiker in der Gebetssprache ist auch Menschen bekannt, die nicht mehr, nicht viel oder einfach nicht beten. „So sei es“, bedeutet es wörtlich. Von der Wortwurzel her hängt es zusammen mit „sich festmachen“. Das Amen am Ende eines Gebetes ist nur ein Wort von mehreren aus dem Gebetsvokabular, das von Vertrauen erzählt und von Sicherheit.

Welche Formen des Gebets gibt es?

Grundgebete 

Bittgebete

Dankgebete

vor- und selbst
formulierte
Gebete

Stoßgebete

Segen

z. B. das Vaterunser

bei Tisch, in Morgen- und Abendgebet

in Notsituationen

besonders bei allen „Wende-Zeiten und -Situationen“ im Leben des Kindes

Grundgebete mitbeten zu können ist wichtig, weil das Kind auch in Gemein-schaft  beten lernen soll.

Ausdrückliche Bittgebete sind in der Kirche die Fürbitten.

Das Abendgebet wird in der Rückschau vom Dank geprägt sein.

Nicht zu viel einfach wiederholend „abspulen“, denn Gott war ja die ganze Zeit dabei, während das Kind seinen Tag erlebte; vielmehr deuten und tatsächlich danken, dabei Gottes Liebe besingen.

Beide „Spielarten“, das selbst formulierte und das vorgetragene „fertige“ Gebet, sind ganz geeignete Angebote für das Beten gemeinsam mit dem Kind.

Stoßgebete sind von frühen Generationen an ein gutes „Ventil“, sich schnell Hilfe bei Gott zu erbitten oder eine aktuelle Bedrängnis mit der Hoffnung auf seinen Beistand in eine aussichtsreichere Situation zu verwandeln.

Segen ist biblisch Gottes Bekräftigung für einen neuen Abschnitt im Tag oder im Leben. Er lässt sich mit passenden Worten ausschmücken;

Vorbilder finden Sie, wenn Sie dem Link oben folgen. Wer mag, kann ein Weihwasserbecken in die Wohnung hängen und das Kind während des Segens mit dem Weihwasser benetzen.

Literatur

  • Bernhard Grom, Religionspädagogische Psychologie, Patmos Verlag, Düsseldorf, Neufassung 2000
  • Lothar Kuld, Das Entscheidende ist unsichtbar. Wie Kinder und Jugendliche Religion verstehen, Kösel Verlag, Stuttgart 2001
  • Angela Reinders, Kinder brauchen Gott. Wie man Kindern Vertrauen in das Leben schenkt, Pattloch Verlag, München 2001

Links zum Thema

Amen-online mit einem großen Gebete-Verzeichnis

Autorin

Dr. Angela M. T. Reinders, Jahrgang 1965, Dipl.-Theologin, Redakteurin beim Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen

Anschrift

Dr. Angela M. T. Reinders
Purweider Winkel 10
D – 52070 Aachen
E-Mail

erstellt am 13. November 2002, zuletzt geändert am 11. Dezember 2014

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