Kleinkinder in Kontakt

Prof. Dr. Marjan Alemzadeh
Alemzadeh

In Krippen- und Kindertagespflegegruppen kommt es täglich zu unzähligen Begegnungen zwischen Kleinkindern. Dabei können freudvolle Spiele, aber auch Konflikte entstehen. Welches Maß an Begleitung und Unterstützung brauchen die Mädchen und Jungen?

Konflikte selbst lösen

Mitra (2;5), Samuel (2;3) und Johanna (2;4) spielen im Rollenspielbereich: Mitra beschäftigt sich mit einer Puppentragetasche. Johanna hat eine Puppenschale samt Puppe in der Hand; eine weitere Puppe drückt sie mit der anderen Hand an ihren Körper. Nur Samuel hat noch kein Spielzeug. Schnell wird deutlich, dass er die Puppenschale haben möchte: Er versucht, diese zu greifen. Johanna verteidigt sie: „Das hat sich Johanna genehmt!“, bietet ihm aber die andere Puppe an: „Du darfst die Puppe“. Samuel geht darauf nicht ein. Er fordert weiterhin die Puppenschale und greift danach: „Das!“ Johanna reagiert körperlich und sprachlich immer noch eindeutig; sie möchte die Schale nicht hergeben. Beide Kinder ziehen nun mit einer Hand an der Puppenschale. Plötzlich hört Samuel auf zu ziehen, geht ein wenig in die Knie, schaut Johanna in die Augen und artikuliert mit fragender Stimme: „Helft! Okay? Helft!“ Samuels Hilfsangebot scheint Johanna zu überzeugen. Sie lässt die Puppenschale los und überlässt sie Samuel zum Tragen.

Besitzstreitigkeiten sind der häufigste Grund für Auseinandersetzungen unter Kleinkindern. Um sich an einem Spiel beteiligen zu können, scheint es wichtig zu sein, ein zum Spiel passendes Objekt zu besitzen.

Oft gibt es ein bestimmtes Spielzeug, das mehrere Kinder gleichzeitig haben wollen. Wie können Fachkräfte in solchen Situationen reagieren?

Die Szene zeigt, dass Kinder unter drei bereits in der Lage sind, Konflikte selbst zu lösen – wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen. Johanna und Samuel handeln ihren Konflikt in einer komplexen Interaktion aus: Deutlich ist ein Rhythmus aus Aktion und Reaktion zu erkennen. Beiden Kindern gelingt es, die eigenen Absichten zu kommunizieren, gleichzeitig zeigen sie aber auch soziales Verhalten: Sie nehmen das Anliegen des Gegenübers wahr und reagieren kompetent darauf. Johanna versteht Samuels Wunsch mitspielen zu wollen und bietet ihm deshalb eine Puppe an. Samuel kann Johanna im Gegenzug davon überzeugen, dass er ihr nichts wegnehmen, sondern kooperieren möchte.

Fachkräfte sollten Konfliktsituationen aufmerksam beobachten und erst dann eingreifen, wenn die Situation zu eskalieren droht, also wenn die Kinder nicht (mehr) in der Lage sind, auf ihr Gegenüber einzugehen. Dies zeigt sich daran, dass sie die Reaktion des anderen nicht mehr abwarten, keine Kompromisse eingehen oder ihre Emotionen nicht mehr unter Kontrolle halten können. Ist eine zu hohe Anspannung in Körperhaltung, Gestik und Mimik oder auch in den verbalen Äußerungen der Kinder zu erkennen, sollte die Pädagogin unterstützend eingreifen. Je nach Alter der Mädchen und Jungen kann sie z. B.:

  • einen Aushandlungsprozess initiieren: „Wenn ihr beide damit spielen wollt, könnt ihr euch vielleicht abwechseln?“
  • Alternativen ins Spiel bringen: „Sollen wir mal schauen, ob wir noch eine Puppenschale finden?“
  • den Stand der Dinge klären: „Jetzt hat Johanna die Schale. Wenn sie zu Ende gespielt hat, kannst du sie haben. Komm, wir schauen mal, womit du jetzt spielen kannst.“

Häufig werden Auseinandersetzungen in diesem Alter körperlich ausgetragen. Die Kinder schubsen oder hauen sich, weil die sprachliche Kompetenz nicht ausreicht, um sich verbal zu erklären und einigen. Doch auch in diesen Fällen schaffen es Kinder meist, ihre Streitigkeiten alleine zu lösen. Ob Unterstützung notwendig ist oder nicht, hängt nicht zuletzt von den jeweiligen Kompetenzen und dem Temperament der beteiligten Kinder ab. Wichtig ist also, dass Fachkräfte die betreuten Kinder gut kennen und einschätzen können.

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Im Rhythmus – erst du und dann ich!

Foto: Alemzadeh

Wenn’s nicht klappt ...

Sarah (2;4) sitzt auf dem Boden und betrachtet ein Bilderbuch. Lea (2;5) kommt hinzu. Sie möchte mit hineinschauen. Dabei stützt sie sich auf dem Buch ab. Schnell nimmt Sarah es hoch und drückt es an ihren Körper. Lea wird ärgerlich und haut Sarah, woraufhin diese aufsteht und geht.

Natürlich gibt es unter Kleinkindern auch Interaktionen oder Interaktionsversuche, die weniger erfolgreich sind. In der Beispielszene ist die Interaktion nach kurzer Zeit beendet. Lea kann ihre Absicht nicht in angemessener Form kommunizieren. Sarah fühlt sich gestört. Ihre Reaktion, das Buch an sich zu nehmen, wird von Lea mit Hauen beantwortet. In einer solchen Situation kann eine Fachkraft die Kinder darin unterstützen, die Störung aufzufangen: Z. B. indem sie Leas Wunsch, mit in das Buch zu schauen, formuliert und den beiden Mädchen hilft, sich so zu setzen, dass beide die Bilder betrachten können.

Moderiert man Interaktionsprozesse auf diese Weise, kann man Kinder darin unterstützen Interaktionen besser zu initiieren und aufrechtzuerhalten. Denn manchen Kindern fällt es schwer, Kontakte zu anderen anzubahnen, Handlungen über einen gewissen Zeitraum aufeinander abzustimmen und zu koordinieren bzw. dem Rhythmus der Interaktion zu folgen. Peer-Interaktionen sind eine große Herausforderung für die Kinder. Die feinfühlige, angemessene Unterstützung der Pädagogien und das richtige Maß zwischen Zurückhaltung und Aktivität machen an dieser Stelle professionelles Handeln aus.

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Konflikte unter Kleinkindern – wenn die Interaktion nicht gelingt                                             
Foto: Alemzadeh

Miteinander spielen

Samuel (2;8) und Anastasia (2;6) haben sich zum Telefonieren in die Rollenspielecke gesetzt. Samuel hält den Hörer ans Ohr und spricht hinein: „Hallo tam, tchüüüß.“ Dann legt er auf und nimmt Blickkontakt zu Anastasia auf. Gleichzeitig legt er seine Hände in den Schoß. Er scheint Bewegung und Aktion zurückzunehmen, um damit seiner Spielpartnerin zu signalisieren: Jetzt bist du an der Reihe. Sein Gesichtsausdruck und die Körperhaltung verraten freudige Spannung auf die Reaktion Anastasias. Das Mädchen nimmt sogleich den Hörer auf und wiederholt Samuels Äußerung: „Hallo tam.“ Das scheint Samuel sehr zu freuen, er lacht laut; Anastasia freut sich ebenfalls. Diese Abfolge variieren die beiden Kinder etwa zehn Minuten lang mit unterschiedlichen Wörtern, Namen und Fantasie-Ausdrücken.

Die Szene zeigt, wie die beiden Kleinkinder in einem Spiel interagieren, das auf Sprache und Nachahmung basiert. Sie bauen einen klar erkennbaren Wechselrhythmus auf. So gelingt es ihnen, ihre Handlungen gut aufeinander abzustimmen: Immer das Kind, das den Telefonhörer in der Hand hält, ist aktiv. Das andere Kind wartet ab, um anschließend den Beitrag des Spielpartners aufzugreifen, indem es dessen Äußerung imitiert oder erweitert. Das Engagement der beiden kommt in der Länge des Spiels und den positiven Emotionen deutlich zum Ausdruck: ein intensiver und lustvoller Dialog.                                                                   

Autorin

Prof. Dr. Marjan Alemzadeh ist Professorin an der Hochschule Rhein-Waal im Aufgabengebiet Pädagogik mit dem Schwerpunkt frühkindliche Bildung. Sie forscht zu den Themen Beobachtung und Dokumentation, U3 – insbesondere Eingewöhnung–, frühkindliche Bildungsprozesse, Gleichaltrigen-Interaktionen, Pädagogen-Kind-Interaktionen und Didaktik in der frühen Kindheit.

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Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: Kleinstkinder in Kita und Tagespflege, Ausgabe 06/2015 (Seite 10-11) und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages übernommen.

eingestellt am 29. April 2020

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