Musik hören – wie laut?

Dr. Hans Eirich
Eirich
 

Musik wird von Kindern und Jugendlichen aus vielerlei Gründen gern, viel und sehr laut gehört. Doch was muss beachtet werden damit das Gehör keinen Schaden davon trägt? August Schick, Mitglied des interdisziplinären Arbeitskreises für Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt Berlin, gibt als Richtschnur an: Erwachsene können ohne Hörschaden einen Grenzwert von 75 dB(A) über 24 Stunden ertragen, Jugendliche 70 dB(A) und Kinder bis etwa 13 Jahren 65 dB(A).

Musik spielt vor allem im Jugendalter eine wichtige Rolle. Musik verstärkt in der Zeit des Umbruchs Stimmungen und Emotionen, ist Teil des Lebensgefühls und schafft eine Plattform für die Kommunikation mit Gleichaltrigen. Mit dem Übergang von der Kindheit ins Jugendalter wird für junge Menschen Musik so wichtig, dass manche Autoren sogar von einem “zentralen Leitmedium” sprechen (Sander, 1999, S. 227). In der Pubertät steht der Heranwachsende vor der Anforderung, geistig selbstständig zu werden und eigene Wertmaßstäbe auszubilden. Der Jugendliche muss sich von den in der Kindheit noch selbstverständlichen, weil – in der Familie oder im wie auch immer gearteten sozialen Herkunftsmilieu – vorgegebenen Denkmustern und Geborgenheiten abgrenzen, teilweise auch ablösen und sich neu orientieren, sich neuen Bezugsgruppen zuordnen. Er muss aus dem in einer pluralistischen Gesellschaft vorhandenen Angebot an Lebensformen und Weltdeutungen auswählen und er wird mehr oder weniger intensiv auch ausprobieren, wofür er sich entschieden hat. Die Bewältigung all dieser anspruchsvollen und komplexen Aufgaben – gleichsam der Preis für den Eintritt in die Erwachsenenwelt – braucht ihre Zeit.

Die Musik kann dabei wertvolle Dienste leisten. Denn als ein vor allem die Gefühle und die Fantasie ansprechendes und anregendes Medium passt sie einerseits gut in diese konflikthafte Zeit des Umbruchs, indem sie Stimmungen und Emotionen verstärkt und das eigene Lebensgefühl verdichtet zum Ausdruck bringt, andererseits schafft sie eine Plattform für die Kommunikation mit Gleichaltrigen. Und gerade in der Pubertät ist die Erfahrung von Nähe zu Freunden und Freundinnen, mit denen man gleiche Vorlieben teilt, und von der eigenen Kompetenz, andere Identitäten gelten zu lassen und soziale Beziehungen befriedigend zu gestalten, über die Maßen wichtig.

Die herausragende Bedeutung der Musik für ältere Kinder und Jugendliche geht auch aus ein paar einfachen Zahlen hervor. In der Studie zum Medienumgang der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland JIM 2000 (Feierabend & Klingler, 2000) wurde erhoben, welche Themen für junge Menschen besonders relevant oder “sehr wichtig” sind. Über alle Befragten hinweg steht aus einer Liste von 18 Themenbereichen “Musik und Interpreten” mit 41 Prozent an dritter Stelle, für Mädchen ist dieses Thema noch wichtiger als für Jungen. Was die Mediennutzung (“mindestens mehrmals in der Woche”) in der Freizeit angeht, rangieren knapp hinter fernsehen (93 %), das den ersten Platz belegt, CDs oder Musikkassetten hören (92 %) und Radio hören (84 %) auf den Plätzen zwei und drei. Die nächste mediale Freizeittätigkeit folgt erst mit deutlichem Abstand.

Laute Musik und die Folgen für das Gehör

Musik wird also von Kindern und Jugendlichen aus vielerlei Gründen gern und viel und, darum geht es im Folgenden, sie wird oft sehr laut gehört. Dies trifft bei den Eltern und der erwachsenen Mitwelt erfahrungsgemäß auf weniger Verständnis und Toleranz als der in der Wahrnehmung der älteren Generation vielleicht ausgefallene oder gar verstörende Musikgeschmack des Nachwuchses. Bestehen die Vorbehalte gegen hohe Lautstärken zu Recht?

Auch wenn sich vielleicht gute psychologische Gründe finden lassen, warum Jugendliche Musik sehr laut mögen – etwa um sich abzuschotten und vor Störungen “Ruhe” zu haben, um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen, um in die Musik richtig eintauchen und sie gleichsam als Droge genießen zu können -, darf die physiologische Wirkung großer Lautstärken oder, wenn man so will, von Lärm nicht unterschätzt werden.

Die physikalische Grundlage von Schall sind Druckschwankungen in der Luft (Längswellen), man spricht deshalb auch von Schalldruck. Die Frequenz der Druckschwankungen bestimmt die Tonhöhe, niedrige Frequenzen ergeben tiefe und hohe Frequenzen hohe Töne. Je größer der Schalldruck auf das Ohr ist, desto lauter wird das Schallereignis wahrgenommen. Die Maßeinheit für Schallintensität oder Schalldruck ist Dezibel oder abgekürzt dB. Benutzt man bei der Messung einen sog. A-Filter, der dafür sorgt, dass die Schallaufnahme im Messgerät der im Innenohr weitgehend entspricht, dann wird die Höhe von Schallpegeln in dB(A) angegeben.

Um die möglichen Folgen von lauter Musik für das Gehör abzuschätzen, muss zur Lautstärke zusätzlich die Dauer berücksichtigt werden, die das Ohr dem Schall ausgesetzt ist. Maschke & Hecht (2000) sprechen von der “Schalldosis” als der entscheidenden Größe für die Bestimmung des Gehörschadenrisikos. Die Schalldosis “wächst bei gleicher Expositionsdauer mit dem Schallpegel und bei gleichem Pegel mit der Expositionsdauer. Einer Schalldosis’ von 85 dB(A) bei 40 Wochenstunden entspricht … [ein] Schallpegel von 95 dB(A) bei 4 Wochenstunden. Bei 101 dB(A) ist die gleiche Schalldosis bereits nach einer Stunde erreicht” (S. 20 ). Dies sind gleichzeitig die Einwirkzeiten, die nach der Beurteilung von Lärm am Arbeitsplatz durch den Verein Deutscher Ingenieure (VDI 2058-3, 1999 – 02, zitiert nach Maschke & Hecht, 2000) bei den gegebenen Schallintensitäten nicht überschritten werden dürfen, damit das berufsbedingte Hörschadensrisiko nicht ansteigt.

Welche maximalen Schallintensitäten bei welcher Schalldauer gerade noch nicht zu einer Schädigung des Gehörs führen, wird in sog. Risikokurven (Damage-Risk-Contour: DRC) zum Ausdruck gebracht, die in Tierversuchen ermittelt wurden. Danach ist etwa ein Schallereignis pro Tag mit einem Spitzenpegel von 115 dB (z.B. Presslufthammer, Walkman bei maximaler Lautstärke) und einer Dauer von 10 s nicht mit dem Risiko eines Gehörschadens verbunden (s. Spreng, 1993, S. 658).

Hörschäden infolge von zu großer Lautstärke sind deshalb so gravierend, weil sie irreversibel sind. Den Schalldruck registrieren im Innenohr die Haarzellen als Rezeptoren. Durch ein kurzes, explosionsartiges Geräusch oder durch lang anhaltenden Lärm jenseits eines kritischen Schalldrucks (entscheidend für diesen Grenzwert ist, wie bereits ausgeführt, die Zeit, die das Ohr der Schalleinwirkung ausgesetzt ist) werden die Haarzellen irreparabel zerstört. Abhilfe ist bei den dann auftretenden Hörverlusten oder Hörschäden letztlich nur durch ein Hörgerät möglich.

Zu den typischen Erscheinungsweisen von lärmbedingten Gehörschäden (Spreng, 1993, S. 659 – 661) gehört die reduzierte Empfindlichkeit vor allem für die höheren Frequenzen, was insbesondere die Wahrnehmung von Sprache und Musik beeinträchtigt. Schwierigkeiten bei der Lokalisation einer Schallquelle treten dann auf, wenn die Schädigung hauptsächlich eines der beiden Ohren betrifft. Man kann sich dann beispielsweise schwer auf den Sprecher in einer Gruppe von Personen konzentrieren.

Zu erwähnen sind schließlich auch Geräuschwahrnehmungen, die nicht von einer äußeren Schallquelle herrühren (tinnitus aurium). Diese Ohrgeräusche können in Tonhöhe, Klangfarbe, Rhythmus, Lautstärke und Dauer unterschiedlich ausfallen. In der Presse sind immer wieder Berichte zu lesen, denen zufolge nach dem Besuch von sehr lauten Diskotheken Tinnitus aufgetreten ist. Wenn die äußerst unangenehme Symptomatik dieser speziellen Schädigung des Gehörs dann nicht von selbst zurückgeht, ist guter Rat teuer, denn bislang gibt es dafür keine mit Sicherheit erfolgreiche Therapie.

Wie hoch ist für die Jugend heute das Risiko eines Gehörschadens als Folge von zu lautem Musikhören?

Barbara Ritzert von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften berichtet in ihrer Pressemeldung vom 16. Mai 2000 über den 4. Europäischen Kongress für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie in Berlin, dass in Deutschland jeder vierte junge Mann einen Hörschaden wegen zu lauter Musik aus Kopfhörern, in Diskotheken und Konzerten habe. Und sie zitiert Dr. Hans-Michael Strahl, den Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, mit den Worten (S. 1): “Bereits heute haben 14 Millionen Menschen in Deutschland einen Hörschaden …. Wenn nichts geschieht, kommen in den nächsten fünf Jahren weitere neun Millionen dazu.”

Maschke & Hecht (2000, S. 16) sprechen nach der ISO 1999 (1990 – 01, zitiert nach Maschke & Hecht, 2000) von einem Hörschaden nur dann, wenn ein Hörverlust von mindestens 25 dB gemittelt über die Oktaven von 500, 1000 und 2000 Hz vorliegt. Sie ziehen aus aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen das Fazit (S. 24 – 25): “Die ermittelten Schallpegel in Diskotheken und beim Hören tragbarer Musikabspielgeräte sowie die wöchentlichen Nutzungsdauern lassen erwarten, dass nach 10 Jahren bei ca. 10 % der Jugendlichen ein musikbedingter Hörverlust von mindestens 10 dB(A) auftreten wird. Da z.B. bei den 40-jährigen Männern von einem altersbedingten Hörverlust von ebenfalls etwa 10 dB auszugehen ist …, sind bei 10 % der 40-Jährigen Hörverluste von 20 dB und mehr zu erwarten, die in dieser Größenordnung die Kommunikation deutlich beeinträchtigen …. Schick et al. (1999) gehen davon aus, dass bereits in jeder Schulklasse in Deutschland 5 bis 10 % der Kinder Hörverluste aufweisen.”

Die Zahlen bzw. Schätzungen sind bei aller Verschiedenheit groß genug, um sich über die Vermeidung lautstärkebedingter Hörverluste, wenn schon nicht Hörschäden, bei Kindern und Jugendlichen ernsthaft Gedanken zu machen. Wie laut darf Musik gehört werden? August Schick (2001, S. 3), Mitglied des interdisziplinären Arbeitskreises für Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt Berlin, gibt als Richtschnur an: Erwachsene können ohne Hörschaden einen Grenzwert von 75 dB(A) über 24 Stunden ertragen, Jugendliche 70 dB(A) und Kinder bis etwa 13 Jahren 65 dB(A).

Eine informative, praxisorientierte Broschüre zu diesem Thema stammt von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva, 2009). Danach bewegen sich erfahrungsgemäß, d.h. aufgrund vieler Messungen, die Musikschallpegel bei Rockkonzerten im Zuhörerbereich zwischen 95 und 105 dB(A), in Diskotheken auf der Tanzfläche zwischen 90 und 100 dB(A) und beim Walkman mit Kopfhörer zwischen 70 und 110 dB(A). Die typischen Schallintensitäten bewegen sich jeweils im Mittelfeld. Für die Berliner Diskotheken berichten Maschke & Hecht (2000, S. 21) höhere Werte: In den Jahren 1994/97 betrug der Schalldruckpegel auf der Tanzfläche in 80 Prozent der Diskotheken 96 – 105 dB(A). Dass die Zahlen in der Schweiz niedriger ausfallen, liegt vermutlich daran, dass dort die Lautstärke auf Veranstaltungen mit elektroakustisch verstärkter Musik seit dem 1. April 1996 gesetzlich begrenzt ist.

Zur Abschätzung des Schallpegels in einem Raum gibt die Suva die folgenden Hinweise (S. 7): Kann man sich bei einer Distanz von einem Meter zwischen Sprecher und Hörer in normaler Lautstärke unterhalten, sind höchstens 70 dB(A) anzunehmen, ist die Verständigung mit erhobener Stimmen möglich: 80 dB(A), ist die Verständigung auch mit Rufen schwierig: 90 dB(A), gelingt Verständigung nur noch mit größtem Stimmaufwand: 100 dB(A), und ab 105 dB(A) ist schließlich keine Verständigung mehr möglich. Des Weiteren seien zur Orientierung über gefahrloses Musikhören die folgenden zwei Beispiele aus der Suva-Broschüre angeführt (S. 11): “Laute Musik im Kopfhörer mit 95 dB(A) kann den Ohren während 6 Stunden je Woche zugemutet werden. Der mittlere Schallpegel bei einem zweistündigen Rockkonzert sollte nicht über 100 dB(A) liegen.”

Empfehlungen über zulässige Lautstärken beim Musikhören sind deshalb so schwierig, weil es auf den Dauerschallpegel oder die Schalldosis ankommt, also nicht nur auf die momentane Schallintensität, sondern auch auf die gesamte Dauer der Schallbelastung während eines längeren Zeitraums, z.B. einer Woche. Keine Rolle für die Vermeidung von lautstärkebedingten Hörverlusten spielt dagegen, ob einem die Musik gefällt, ob man sich dem Schall also gern aussetzt. Dies freilich macht Ratschläge zu empfehlenswerten Lautstärken nicht unbedingt leichter.

Im Zweifel sollte jedenfalls auch einmal zu Ohrstöpseln gegriffen werden.

Literatur

  • Feierabend, S. & Klingler, W. (2000). JIM 2000, Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Baden-Baden: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest.
  • ISO 1999. (1990 – 01). Acoustics: Determination of occupational noise exposure and extimation of noise induced impairment. Genf: ISO. [zitiert nach Maschke & Hecht, 2000]
  • Maschke, C. & Hecht, K. (2000). Lärmexposition und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Grundlagen und Forschungsergebnisse; Abruf am 11.11.2014.
  • Ritzert, B. (2000, 16. Mai). Kinder und Jugendliche brauchen Lärmschutz. In Informationsdienst Wissenschaft. Abruf am 11.11.2014.
  • Sander, E. (1999). Medienerfahrungen von Jugendlichen in Familie und Peergroup. In F. Schell, E. Stolzenburg & H. Theunert (Hrsg.), Medienkompetenz. Grundlagen und pädagogisches Handeln (S. 220 – 236). München: KoPäd.
  • Schick, A. (2001). Lärm und überlaute Musik. Psychologische Analyse und präventive Maßnahmen. Erschienen in: Berichte aus dem Institut zur Erforschung von Mensch-Umwelt-Beziehungen, Universität Oldenburg, Nummer 38 (2001).
  • Spreng, M. (1993). Lärmwirkungen. In H. Bruhn, R. Oerter & H. Rösing (Hrsg.), Musikpsychologie (S. 655 – 665). Reinbek: Rowohlt.
  • Suva. (2009). Musik und Hörschäden. Informationen für alle die Musik spielen oder hören. Luzern: Schweizerische Unfallversicherungsanstalt.
  • VDI 2058-3. (1999 – 02). Beurteilung von Lärm am Arbeitsplatz unter Berücksichtigung unterschiedlicher Tätigkeiten Nachbarschaft. Düsseldorf: Verein Deutscher Ingenieure. [zitiert nach Maschke & Hecht, 2000.

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Autor

Eirich, Hans, Dipl.-Psych., Dr. phil., Jahrgang 1954; Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
 

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Erstellt am 24. Juni 2001, zuletzt geändert am 19. November 2014

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