Erster Schultag: „Keinesfalls auf Vorrat büffeln“

Prof. Dr.  Joachim Kahlert

Worauf es bei der Einschulung ankommt und warum Eltern nicht die Hausaufgaben ihrer Kinder machen sollten.

Ein Interview mit Joachim Kahlert, Professor für Grundschulpädagogik an der LMU.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um Kinder einzuschulen und was müssen sie dafür mitbringen?

Joachim Kahlert: Die sozialen Anforderungen, die mit dem Schuleintritt verbunden sind, sind nicht zu unterschätzen: Kinder müssen sozial und emotional stabil sein, um den Schulanfang zu bewältigen. Die größte Herausforderung für sie ist, mit anderen Kindern zusammen zu lernen. Das heißt, mein Kind muss gelernt haben, Rücksicht auf andere zu nehmen und wissen, dass es nicht allein auf der Welt ist. Wenn ich als Schulkind realisiere, dass ich nicht immer die ungeteilte Aufmerksamkeit der Lehrerin in Anspruch nehmen kann, bedeutet das auch, dass ich bereit bin, Regeln einzuhalten.

Kann man das mit seinem Kind üben?

Nein, richtig üben kann man das nicht. Wenn es ein Kind von zuhause gewöhnt ist, Rücksicht zu nehmen, reicht das schon. Wichtig ist, dass man mit seinen Kindern viel spricht und nicht nur Anforderungen stellt oder – noch schlimmer – Befehle erteilt. Stattdessen sollte man immer wieder erklären, dass es sinnvoll ist, sich im Umgang mit anderen in einer bestimmten Weise zu verhalten. In den neuen Grundschullehrplänen geht es auch nicht mehr nur um ein bloßes Anhäufen von Wissen, sondern darum, sein Wissen sinnvoll einzusetzen. Im Fach Deutsch steht zum Beispiel das Sprechen, Zuhören und die Konstruktion eigener Sätze im Vordergrund und nicht nur das Einüben von Grammatik und Rechtschreibung.

Mit welchen Problemen haben Kinder in der ersten Klasse häufig zu kämpfen?

Studien zeigen, dass bei Kindern vor allem soziale Probleme im Mittelpunkt stehen. Viele Kinder haben Angst, dass ihre Mitschüler sie nicht akzeptieren oder ihre Lehrerin sie nicht mag. Eltern machen sich dagegen eher Sorgen, dass die Leistungen ihrer Kinder nicht stimmen. Dabei müssen sich Eltern und Lehrer auch immer wieder vergegenwärtigen, dass Kinder auf soziale Probleme oft sehr empfindlich reagieren. Erwachsene haben ja einen relativ routinierten Umgang mit anderen und wissen, dass man schnell etwas sagt oder tut, was vielleicht gar nicht so gemeint war. Kinder nehmen Situationen dagegen meist ganz anders wahr und fühlen sich schnell zurückgesetzt, wenn sie meinen, nicht die volle Aufmerksamkeit ihrer Lehrer zu bekommen.

Wie können Eltern ihr Kind denn in der Schule unterstützen?

Eltern unterstützen ihre Kinder indirekt, wenn sie den Lehrkräften einen gewissen Vertrauensvorschuss geben. In der Schule bekommen Profis die Kinder an die Hand, die dafür gut ausgebildet sind. Auf keinen Fall sollte man dagegen auf Vorrat büffeln oder zusätzliche Übungsaufgaben einplanen. Wichtig ist, die Kinder zu ermutigen und auf ihre Stärken zu achten. Außerdem hilft es, mit der eigenen Tochter oder dem Sohn viel zu reden und vorzulesen, da Sprache die Grundlage für den weiteren Wissenserwerb ist. Das darf aber nicht in ein übertriebenes Lesetraining ausarten.

Und wie ist es mit den Hausaufgaben?

Eltern sollten sich auf jeden Fall darum kümmern, dass Kinder ihre Aufgaben machen. Nach Möglichkeit sollte man sie aber nicht gemeinsam machen. Die Lehrerin will ja überprüfen, was die Kinder bereits gelernt haben – und nicht, ob die Mutter oder der Vater das kann.

Was sollten Kinder in ihrer Freizeit tun?

Entscheidend ist, dass sich Eltern überhaupt bewusst machen, dass Kinder freie Zeit zum Spielen brauchen. Wieviel das ist, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Wenn Kinder gerne Fußball spielen, nehmen sie feste Trainingszeiten ganz anders wahr, als Kinder, die unwillig zum Musikunterricht geschleppt werden. Man kann Kindern durchaus zumuten, in der Freizeit alleine zurechtzukommen. Kinder müssen lernen, ihr Leben selbstständig zu gestalten und nicht immer nur die Freizeitangebote von Erwachsenen konsumieren. Nur so entwickelt sich die eigene Fantasie.

Wie sieht denn der ideale Start in den Schultag aus?

Idealerweise frühstücken Kinder vor der Schule gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern – und sitzen nicht schon früh vor dem Fernseher. Kinder lernen in diesem Alter viel von anderen Menschen – und nicht aus den Medien. Oft geht ein zunehmender Fernsehkonsum zudem mit schwächeren Schulleistungen einher, da für die kindliche Entwicklung das Miteinandersprechen sehr wichtig ist.

Und wann kann man Kinder alleine in die Schule gehen lassen?

In den ersten Monaten würde ich mein Kind nie ganz alleine in die Schule schicken. Am besten geht man den Schulweg schon vor dem ersten Schultag ein paar Mal gemeinsam mit den Kindern. Gut ist, wenn sich Kinder zu zweit oder zu dritt auf den Weg machen. Und wenn es sein muss, kann auch ein Erwachsener die Kinder begleiten. Das ist immer eine Balance zwischen Überbehüten und zu frühem Loslassen.

Was kann man denn tun, wenn das Kind keine Lust hat, in die Schule zu gehen?

Viele Eltern treten in solchen Situationen oft mit Schuldzuweisungen an die Schule heran. Und natürlich kann es im Einzelfall an der Lehrkraft liegen, dass das Kind nicht mehr in die Schule möchte. Grundsätzlich sollte man jedoch gemeinsam überlegen, was die Ursachen sind und wer etwas dagegen unternehmen kann.

Kann es manchmal daran liegen, dass die Eltern etwas falsch machen?

Eltern bauen oft einen zu hohen Leistungsdruck auf und reagieren zu ängstlich auf vermeintlich mangelnde Leistungen. Außerdem muss man als Elternteil akzeptieren, dass man nicht mehr allein für die Bildungsentwicklung seines Kindes zuständig ist.

Was möchten Sie Eltern für den ersten Schultag mitgeben?

Eltern sollten es am ersten Schultag nicht übertreiben. Der Schulanfang ist natürlich ein wichtiges Ereignis für die Kinder, trotzdem muss die Schultüte nicht immer die größte und schönste sein. Man sollte auch nicht mit der gesamten Familie in die Schule kommen oder mit dem Kind bis ins Klassenzimmer laufen. Eltern sollten loslassen können und Vertrauen darauf haben, dass Kinder ihren eigenen Weg gehen.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Schultag?

Ja, er war für mich gigantisch! Gleich am ersten Tag habe ich einen guten Freund gefunden – und das war natürlich toll. Für Kinder ist es wichtig, auf der sozialen Ebene gut zurechtzukommen – alles andere ist erst einmal Nebensache.

Interview: Constanze Drewlo

Professor Joachim Kahlert ist Ordinarius für Grundschulpädagogik und Didaktik an der LMU. Seit 2009 leitet er zudem das Münchener Zentrum für Lehrerbildung.

Quelle

Ludwigs-Maximilians-Universität München

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der LMU.

erstellt am 08.09.2014

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