“Verlassene” Väter – psychische Situation und Bewältigungsverhalten

Dr. Herbert Pagels
Pagels
 

Die Situation von Vätern, die gegen ihren Willen von Frauen und Kindern verlassen wurden, ist durch massive seelische Belastungen gekennzeichnet : Wie reagieren verlassene Väter auf die ungewollte Trennung ? Wie kann eine derart extrem belastende und verunsichernde Lebensphase bewältigt werden ? Mit diesen und in diesem Kontext wesentlichen anderen Fragen beschäftigt sich der folgende Artikel, basierend auf den 2003 veröffentlichten Ergebnissen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts zu diesem spezifischen Thema.

Der Trend steigender Scheidungszahlen ist ungebrochen. Nahezu 200.000 Scheidungen werden Jahr für Jahr ausgesprochen. Statistiken belegen, daß in überwiegender Zahl, nämlich in fast zwei Dritteln der Fälle, die Scheidungsanträge von Frauen eingereicht werden.

Die Gesamtzahl familiärer Trennungen liegt aber noch wesentlich höher, wenn man die stetig steigende Zahl von “nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern” und die in diesem Zusammenhang stattfindenden Trennungen berücksichtigt. Verläßliche Zahlen, in welchem Umfang bei diesen Lebensgemeinschaften Trennungen vorkommen, liegen nicht vor. Insgesamt kann aber von einer sehr großen Zahl “verlassener Väter” ausgegangen werden – von Vätern, die ungewollt eine Trennung von ihrer Frau/ Partnerin und ihrem Kind/ ihren Kindern erleben.

Das Thema “Verlassene Väter” findet, trotz der offenbar sehr hohen Zahl Betroffener, jedoch keine breitere Beachtung. Dramatisch verlaufende Einzelfälle, oft im Zusammenhang mit Selbsttötungen oder “erweiterten Suiziden” lösen allerdings immer wieder Aufmerksamkeit aus, oft auch in Form von Darstellungen in der Sensationspresse.

Ergebnisse eines Hamburger Forschungsprojekts

Im Sommer des Jahres 2002 wurden die Ergebnisse einer an der Hamburger Universität durchgeführten Studie zum Thema “Verlassene Väter” veröffentlicht. Insgesamt wurden 114 verlassene Väter befragt, teilweise in Form von intensiven Einzelgesprächen, größtenteils jedoch mit einem untersuchungsspezifischen Fragebogen. Die meisten der befragten Männer (67%) entstammten der Altersgruppe der 36-50jährigen. Die Dauer der Ehen bzw. eheähnlichen Beziehungen betrug bei 25% bis zu 5 Jahren, bei 37% zwischen 5 und 9 Jahren und bei 26% zwischen 9 und 16 Jahren. Zum Zeitpunkt der Befragung waren seit der Trennung bei 14% bis zu einem Jahr, bei 12% bis zu zwei Jahre, bei 46% bis zu 5 Jahre und bei 24% bis zu 10 Jahre vergangen. Die Untersuchungsergebnisse werden in diesem Artikel zusammengefaßt.

Die Zeit vor der Trennung

Vor dem Weggang ihrer Frau oder Partnerin mit den Kindern hatte gut die Hälfte der befragten Männer im Zusammenhang mit ihrem Familienleben Gefühle der Zufriedenheit, insbesondere mit ihrer Rolle als Ehemann und Vater, empfunden: Von Zufriedenheit mit dem Familienleben berichteten 56% der mit dem Fragebogen befragten Gruppe (z.B. “Ich kannte meine Frau seit 9 Jahren. Das Familienleben war Ein und Alles für mich”). Und von Zufriedenheit als Ehemann berichteten 50% (z.B. “Schön mit meiner Frau waren Outdoor-Erlebnisse wie Wandern, Kajak und Reisen und Sex”).

Das Verhalten dieser Männer im Vorfeld einer – von ihnen noch nicht erahnten – Trennung war teilweise daran ausgerichtet, wesentliche Beiträge für eine positive Beziehung zur ihrer Frau und auch für ein positives Familienleben zu erbringen. Ein Vater beschrieb dieses so: “Nach einer dreijährigen Beziehung in zwei Wohnungen, in denen wir nur begrenzt zusammen den Alltag erlebten, haben wir uns bewußt für ein gemeinsames Kind entschieden. Die Freude war auf beiden Seiten sehr groß, als unsere Tochter das Licht der Welt erblickte. Wir haben unseren Alltag nun, ab Beginn der Schwangerschaft, mit allem was dazu gehört, geteilt. Mit der Geburt unserer Tochter wurde meine Ex auf meinen Wunsch hin zur Teilhaberin aller unserer finanziellen Verhältnisse.”

Partnerschaftsprobleme in sehr unterschiedlicher Qualität und Intensität gingen den Trennungen voraus: 76% der Befragten äußerten sich dementsprechend. Einige Männer bemühten sich aktiv um eine Beseitigung der Eheprobleme, versuchten – oft vergebens -, ihre Partnerin zu einer Paarberatung oder -therapie zu motivieren. Ein Teilnehmer beschrieb dieses so: “Ich wollte mit meiner Frau zu einer Beratungsstelle gehen, als es Probleme gab. Habe ich auch gesagt: ‘Wir müssen das mal machen’. Wollte sie aber alles nicht. Ich sagte: ‘Laß’ uns Hilfe holen… Die ganzen Jahre, die wir…’ Wir haben uns 18 Jahre gekannt und waren 14 Jahre verheiratet. ‘Das kann man doch nicht so wegschmeißen?’ So habe ich gedacht. Ich wollte Eheberatung…, aber sie wollte das nicht.”

Bei anderen führte in Anspruch genommene Hilfe aber zu keiner Veränderung. In einer – zeitlich nach der Trennung liegenden – späteren Reflexion jener Zeit, die der Trennung vorausging, gelangte ein erheblicher Teil (53%) der befragten Männer zu der Erkenntnis, daß auch sie einen Anteil an der Entwicklung hin zu einer Trennung hatten, z.B. aufgrund eigener Verhaltensfehler.

Den Trennungen – so berichteten viele der verlassenen Väter – gingen oft seelische Verletzungen, aber auch körperliche Auseinandersetzungen in den verschiedensten Formen und mit überraschenden Gewichtungen voraus: Bei den Fällen, in denen Handgreiflichkeiten und Gewalthandlungen im Trennungsgeschehen auftraten (insgesamt 38), ging in 7 Fällen die Gewalthandlung vom Mann, in 8 Fällen von beiden Partnern und in 23 Fällen von der Frau aus.

Während der Trennung

Die meisten Männer (77%) empfanden es wie einen tiefen Schock, als sie mit der Trennungsabsicht ihrer Frau konfrontiert wurden. Für 72% erfolgte die Trennung überraschend. Ein Mann beschrieb dieses wie folgt: “Für mich kam die Trennung sehr überraschend. Da kam ich freitags von der Arbeit, schönes Wetter draußen, hab mich gefreut, Wochenende, ein bißchen was unternehmen. Und dann kam ich rein, sie saß auf der Terrasse und guckte in die Sonne und rauchte ‘ne Zigarette, eigentlich rauchte sie nie. Oder sie hat in meinem Beisein nie geraucht. Und dann bin ich raus und wollte sie begrüßen. Dann hat sie den Kopf so weggedreht und sagte nein, das will sie jetzt nicht mehr. Sie will das alles nicht mehr, sie will die Trennung und Schluß…” Es kam dann oft zu Versuchen, die Frau oder Lebenspartnerin umzustimmen, um so den Bestand der Ehe oder Lebensgemeinschaft zu retten.

Die Beachtung der seelischen Bedürfnisse ihrer Kinder stand – trotz eigener massiver Erschütterung – im Augenblick der Trennung für etliche Väter im Vordergrund. Ein Vater: “Wir haben da erst noch ein Gespräch drüber geführt mit den Kindern, ob sie mitwollen oder ob sie hierbleiben wollen, und da wollten beide mit. Da war ich natürlich nicht glücklich drüber” und “Ich habe in dem Augenblick, als sie zur Tür herausgegangen sind, zu ihnen gesagt: ‘Kinder, ihr könnt jederzeit herkommen. Das ist euer Zuhause. Wenn ihr ein Problem habt oder Sorgen habt: Ihr könnt gerne kommen…’ Später sagte er: “…na ja, das habe ich vor den Kindern getan… so gefaßt zu reden… Im Nachhinein: Die Tür war zu, und dann habe ich geheult. Das ist einfach eine Geschichte, ich mochte es nicht vor den Kindern machen. Ich habe gedacht, da erzeugst du zusätzlichen nervlichen Druck auf die Kinder, wenn die jetzt auch noch sehen, jetzt ist der auch noch ganz unten… Dann laß’ das mal lieber…”

Ein anderer Vater, der seine Tochter antraf, nachdem diese kurz zuvor von der Mutter erfahren hat, daß diese sich trennen werde: “…ja, und dann habe ich sie gefragt, ob sie darüber geredet haben, und dann sagte sie nur so mit ganz tränenerstickter Stimme, da möchte sie jetzt nicht drüber reden, sie will jetzt zu ihrer Freundin fahren. Dann habe ich ihr nur gesagt – da sind mir natürlich auch die Tränen so hoch gekommen – daß sie eins wissen soll: Daß sie keine Schuld hat da… an diesem Ganzen… Ich hatte das mal so im Fernsehen gesehen, daß sich viele Kinder da irgendwo Vorwürfe machen, daß sie vielleicht nicht artig waren oder sonst was… Und, na ja, dann ist sie auch erst mal abgefahren, und dann bin ich hierher…”

Ein weiterer Vater: “…und dann haben wir abgewartet, wie die Kinder darauf reagiert haben, und da habe ich den Kindern aber auch noch mal ganz klar gemacht, daß ich aus meiner Sicht auch keine Rettung mehr sehe für die Ehe, nachdem das jetzt so ist und… ja… da haben sie doll geweint den Abend… Ich habe auch mitgeheult, wir haben alle vier rumgeheult. Wir haben in der Küche gesessen und dann habe ich noch mal gesagt…, daß ich das alles nicht in Ordnung finde, aber daß ich das auch nicht mehr ändern kann. Und um den Kindern das leichter zu machen, habe ich dann noch gesagt, daß ich mir vielleicht vorstellen kann, daß der ja ganz nett ist und daß der vielleicht sogar irgendwann mein Freund werden könnte. Man weiß ja, wie das im richtigen Leben ist: Man kommt da ja nicht drum rum, wenn sie mit dem zusammenzieht irgendwann, dann wird mir der öfter mal über den Weg laufen… Und dann nützt es nichts, wenn ich den bekriege oder was, die Sache ist erledigt…”

Die erste Zeit nach der Trennung wurde von den verlassenen Vätern als eine Phase tiefster seelischer Erschütterung und Verunsicherung empfunden. Einige beschrieben ihr Empfinden im Augenblick der Trennung so: “Ich konnte nicht glauben, was sie sagte”, oder: “Tiefe Verzweiflung: Leben geht nicht mehr weiter”, oder auch: “Fassungslos: Boden unter den Füßen war wie weg…”

Manche versuchten, den Schock mit dem Konsum von Alkohol zu bewältigen. So berichtete ein verlassener Mann: “Ich habe einfach nur versucht, dieses Alleinsein oder auch diese absolute Stille im Haus, die ich ja nicht gewöhnt war, ja, zu ertränken, um nicht drüber nachdenken zu müssen. Ich kam nach Hause, habe mich umgezogen, und da war der Verschluß offen, um das zu verdrängen, einfach verdrängen! Auch das Denken darüber zu verdrängen.” Ein anderer Vater: “Es ging mir – um mit deutschen Worten zu reden – absolut beschissen! Ich habe angefangen oder habe versucht, meine Sorgen und meine Ängste, die ich hatte, und die Gefühle, die ich hatte, in Alkohol zu ertränken. Ich habe angefangen zu saufen ohne Ende, bis ich nach 2, nach 2 1/2 Wochen gemerkt habe: ‘Das bringt nichts, du hast eigentlich nur wirklich einen dicken Kopf, und du löst damit nichts!’ Ich habe versucht, den Frust runter zu saufen.”

Viele Männer reagierten auf das Verlassenwerden mit sehr unterschiedlichen Gefühlen wie z.B. Depressionen, Resignation, Trauer, aber auch mit aggressiven Impulsen und Wut. Diese heftigen Gefühle wurden bei einem Drittel der Befragten noch verstärkt durch die Tatsache, nicht zu wissen, wo sich die Kinder befanden. Ein Vater: “…und auch Wut, da war in kleinem Maße auch ein gewisser Haß auf meine Frau, einfach um zu sagen: Sie muß sich doch mal melden?! Es sind ja schließlich auch meine Kinder, und ich habe verdammt noch mal ein Recht darauf zu erfahren: Was ist mit den Kindern, wie geht es ihnen? Geht es ihnen gut, sind sie krank oder so etwas in der Art!”

Ein verlassener Vater – nachdem er aus seinem überraschend leergeräumten Haus zu seinen Eltern gefahren war – berichtete: “Dann, bei meinen Eltern Zuhause, ja da ging das denn los. Da kam dann die Traurigkeit. Da bin ich dann so zusammengebrochen. Ich war absolut fertig, das Haus war leer geräumt, ich wußte nicht, wo der Junge war. Und ich war… ja… ich hatte irgendwo auch keinen Lebensmut mehr gehabt.”

Ein anderer Vater beschrieb seinen inneren Kampf so: “Am Anfang hatte ich auch mal an Selbstmord gedacht. Aber dann habe ich immer an meine Tochter gedacht und… was die denn dazu sagt… und daß sie ihren Vater nicht auch noch verlieren darf… Das darf nicht auch noch passieren…”

96% der Verlassenen vermißten ihre Familie, 99% vermißten ihre Kinder. 89% fühlten sich verzweifelt, 39% dachten daran – die Hälfte davon intensiv -, sich das Leben zu nehmen. Viele fühlten sich als Vater abgewertet (87%). Psychosomatische Reaktionen korrespondierten teilweise mit der seelischen Belastung und fanden ihren Ausdruck z.B. in Schlafstörungen (58%), Eßstörungen (32%), Magenproblemen (30%), Herzbeschwerden (24%) und massiven Gewichtsverlusten (43% verloren zwischen 5 und 14 kg Körpergewicht).

So berichtete z.B. ein verlassener Vater: “Ich habe, als die Trennung war, 70 kg gewogen. Das war auch mein Normalgewicht. Ich bin dann arbeiten gegangen, und ich habe 13 Tage lang nichts gegessen. Ich hatte dann 57 kg. Also ich habe mich so dermaßen gehen lassen; das Einzige, wovon ich mich ernährt habe, waren Kaffee und Zigaretten. Das waren meine Stamm-Lebensmittel. Ich habe nichts gegessen. Ich habe einfach nichts runtergekriegt. Das war… unbeschreiblich.” – “Irgendwann war es dann soweit, daß ich dann nicht mehr hochkam. Ich war so abgemagert und kraftlos. Aber ich mußte aufstehen und zur Arbeit. Ich bin dann aufgestanden. Der Kompagnon kam dann rein, wir haben dann morgens noch einen Kaffee getrunken. Ich sagte: ‘…ich nehme jetzt meine Tasche’, bin aufgestanden, und dann kam der Zusammenbruch… Das war es. Und dann bin ich irgendwann oben im Schlafzimmer bei mir aufgewacht, und was in der Zeit passiert ist, kann ich Ihnen nicht sagen, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls vor Schwäche zusammengebrochen…”

Nach der Trennung

Die Bewältigung der seelischen Folgen einer ungewollten Trennung von Frau und Kindern erfolgte in sehr unterschiedlicher Weise: Etliche Männer (40%) versuchten – oft sehr kurzfristig nach der Trennung -, mit dem Konsum von Alkohol ihre emotionale Belastung zu verringern bzw. dieser auszuweichen (wie oben bereits erwähnt). Eine wichtige – und hilfreichere – Strategie waren Gespräche mit Freunden: 83% empfanden diesen Bewältigungsschritt als hilfreich oder sehr hilfreich. Sehr wichtig war auch die Unterstützung durch die eigene Herkunftsfamilie. Ebenso boten Berater und Therapeuten geeignete Hilfestellungen. Über 50% empfanden sportliche Aktivität als hilfreich; 45% sahen eine Verbesserung ihrer Situation dadurch gegeben, daß sie neue Bekanntschaften und Freundschaften schlossen. Der Kontakt zu Väter-Selbsthilfeorganisationen und der Austausch mit Gleichbetroffenen wurden als wichtig beschrieben. Mit diesen Aktivitäten einhergehende Selbst-Appelle und verstärkte Bemühungen um Selbst-Regulierung wurden ebenfalls als hilfreiche Strategien genannt.

Das Erleben der verlassenen Väter entwickelte sich längerfristig in sehr unterschiedlicher Weise: Viele Männer erlebten eine weiterhin gegebene Verunsicherung, andere aber auch eine Verbesserung ihrer seelischen Situation – oft auch im Zusammenhang mit neu eingegangenen Partnerschaften. Auch in Bezug auf die nunmehr getrennt lebende Ehefrau kam es zu unterschiedlichen Entwicklungen: Verstärkte Auseinandersetzungen im Kontext des Besuchsrechts oder wegen der Unterhaltszahlungen prägten das Bild. 95% der verlassenen Väter hätten gern mehr Kontakt zu ihren Kindern.

Einer der Befragten stellte seine Situation so dar: “…also wie gesagt, also jetzt geht das wieder auf Sonntag zu, da ist es wieder schlechter. Ich fange dann wieder an zu grübeln, bin in gedrückter Stimmung. Jedes Mal, wenn ich denn darüber nachdenke… Ich denke dann immer: ‘…ja, dann sehe ich meine Tochter wieder, und dann habe ich sie drei Stunden, und danach muß ich wieder zwei Wochen warten’. Das ist so eine Traurigkeit… Ich kann mich da irgendwie nicht dran gewöhnen…”

79% der befragten Väter berichteten, daß der Kontakt zu ihrem Kind durch die Mutter erschwert werde. 76% beantworteten die Frage, ob es mit der Mutter Auseinandersetzungen um das Besuchsrecht gebe, mit “Ja”. 83% befürchteten, daß zwischen den Kindern und ihnen ein zu großer Abstand entstehe. 12% hielten Distanz zu ihren Kindern, weil es sie schmerzt, immer wieder Abschied nehmen zu müssen. 89% der verlassenen Väter hatten das Gefühl, zwar zahlen, sich aber sonst aus dem familiären Geschehen heraushalten zu sollen. 97% berichteten von Auseinandersetzungen um Unterhaltszahlungen. Ein Teil der Männer hatte das Gefühl, daß die gegenwärtig rechtliche Situation Frauen mit Trennungs- und Scheidungsabsichten zum Nachteil der verlassenen Väter begünstigte. Die Aussage “Meine Ex-Frau und ich haben nun einen vernünftigen Weg gefunden, miteinander zu sprechen” wurde nur von 13% der verlassenen Väter bejaht.

Oft gibt es Zusammenhänge zwischen streitigen Unterhaltszahlungen und Unstimmigkeiten beim Besuchsrecht. Die Erfahrungen eines Vaters: “…ich fragte noch, ob ich Claudia am nächsten Freitag schon um 14.00 Uhr abholen könne, denn ich wollte mit ihr in den Zirkus in C. und da bräuchten wir diese Zeit. Meine Frau sagte: ‘Nein! Zahl du erst mal Unterhalt und dann komm ich dir auch entgegen’. Ich fragte dann noch, ob es dann am Samstag oder Sonntag gehe? Sie sagte: ‘Es ist abgemacht: immer freitags von 15-18 Uhr, und da mußt du dich dran halten’. Ich sagte noch: ‘Ich hab sie doch auch schon zu anderen Zeiten bekommen, und wir haben uns doch auch so einigen können?’ Sie sagte: ‘Klär’ du das erst mal mit dem Unterhalt und dann sehen wir weiter…'”

Viele verlassene Väter (85%) litten bei traditionell-familiären Anlässen wie Weihnachten, Geburts- und Hochzeitstagen in besonderer Weise unter der Trennung. Ein verlassener Vater berichtete: “Auf jeden Fall kriegte ich die Kinder im Dezember dann nicht mehr so… es wurde immer weniger. Das lag wohl auch an ihrem Neuen. Weihnachten war dann besonders enttäuschend: Weihnachten war für mich… ja… wie soll ich das sagen…? Ich habe Heiligabend dann woanders Weihnachtsmann gespielt. Das habe ich aber nur gemacht, damit ich rauskomme, abgelenkt bin. Ich war ja alleine… ganz alleine. Ich hatte damals keinen Kontakt mit meinen Eltern, gar nichts. Tja und dann habe ich mir Heiligabend, das muß ich ganz ehrlich zugeben… habe ich mir so einen in den Schädel gekloppt, da war ich abends um 21.00 Uhr nicht mehr ansprechbar. Das Schlimme war für mich aber auch, ich habe fast 1.000 EUR für Weihnachtsgeschenke ausgegeben für die drei, und noch nicht einmal einer hat angerufen. Nicht einer…”

Ein anderer Vater sah seinen anstehenden Geburtstag und Hochzeitstag so: “Ich werde morgen 38…, und wir haben auch auf meinen Geburtstag geheiratet… Morgen hätte ich auch meinen elften Hochzeitstag… und das tut natürlich verdammt weh, jetzt meinen Geburtstag wieder zu feiern ohne meine Frau… Vor allem, weil das ja eben auch unser Hochzeitstag war. Das ist ein Tag, den werde ich, glaube ich, in meinem Leben nicht vergessen… Das ist eine Sache, was verdammt weh tut…”

Daß die Folgen der Trennung auch Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Männer haben kann, wird von 73% der Befragten berichtet. So sagte z.B. ein Vater: “…ich krieg’ das doch gar nicht mehr so richtig auf die Reihe. Also, wenn ich früher 10 verschiedene Vorgänge parallel bearbeiten konnte, dann schieb’ ich heute den einen Ordner dahin und dann dorthin und sortier das und… ja, was machste jetzt zuerst? Die ersten Momente… oder die ersten zwei Wochen dann… habe ich, wie gesagt, fast gar nichts gemacht, dann waren zum Glück drei Wochen Werksurlaub.”

Persönlichkeitscharakteristika

Die Untersuchung der Befragten mit Hilfe eines standardisierten Persönlichkeitsfragebogens erbrachte folgende Ergebnisse: Die Gruppe der untersuchten verlassenen Väter zeigte ein besonderes Ausmaß an eingeschränkter Lebenszufriedenheit. Deutlich mehr als andere waren diese Väter mit den gegenwärtigen und früheren Lebensbedingungen, Partnerbeziehungen und Berufen unzufrieden und meinten, daß sie das, was in ihnen steckt, kaum verwirklichen konnten. Deswegen grübelten sie viel über ihr Leben nach. Oft hatten sie alles satt und äußerten eine bedrückte, unglückliche Stimmung, Depressivität und eine negative Lebenseinstellung.

Auch hier unterschied sich die Gruppe der befragten verlassenen Väter von anderen Personen: Sie ließen viele Probleme und innere Konflikte erkennen. Einerseits waren sie reizbar und erregbar, andererseits fühlten sie sich abgespannt und matt oder auch teilnahmslos. Ihre Laune wechselte oft, ihre Stimmung war überwiegend gedrückt oder ängstlich getönt. Sie grübelten viel über ihre Lebensbedingungen, neigten zu Tagträumen, fühlten sich von Verwandten und Bekannten kaum richtig verstanden. Gesundheitlich machten sie sich Sorgen, denn sie fühlten sich oft im Stress, fühlten sich nervös und psychosomatisch gestört.

Ein Befragter: “…und jetzt ist es so… Also morgens… man fragt sich mit anderen Worten… warum man überhaupt aufsteht, also überhaupt was beginnt? Weil… der Gedanke ist immer da: Wie man das wieder hinkriegt. Im Moment weiß ich da wirklich nicht weiter… Wenn ich darüber sprechen kann, dann geht das so einigermaßen. Das Schlimmste ist, wenn ich oben alleine bin… und so in’s Grübeln komme… das ist immer so das Schlimmste…”

Wünsche und Hoffnungen verlassener Väter

Ein Teil der Männer empfand den starken Wunsch, daß die Trennung wieder rückgängig gemacht und die ursprüngliche Familienstruktur wieder hergestellt werde. Manche Familienväter empfanden den Wunsch, daß z.B. Weihnachten und Geburtstage im Kreis der ursprünglichen Familie stattfinden könnten. Andere Väter wiederum hatten den Wunsch, daß – wenn auch ihre Ehe nicht mehr zu retten sei – der Kontakt zu den Kindern möglichst unbeeinträchtigt stattfände. So vertrat ein Vater die Ansicht: “Es ist möglich, den Kontakt zwischen Kind und Eltern unkompliziert laufen zu lassen. Ich hatte das in S. gesehen. Da war ein Kollege, mit dem habe ich mal zusammen gearbeitet. Der wohnte in S. Den Sohn, den habe ich immer gefahren, der ging irgendwo in E. auf die Schule, und seine Mutter wohnte woanders… Das funktionierte hundertprozentig. Der stieg dann an der Schule in den Bus und dann fuhr er zum Vater… Die haben das so unkompliziert gelöst, so habe ich mir das eigentlich vorgestellt.”

Manche Väter hatten die Hoffnung, daß ihre Kinder, die gegenwärtig noch bei der Mutter leben, langfristig zu ihnen ziehen würden. Einer von ihnen beschrieb dieses so: “Auf jeden Fall rechne ich damit, daß, wenn er 14 oder 15 Jahre alt ist, er sowieso zu mir will. Bei mir hat er die Ruhe, und er ist auch ganz anders, wenn er bei mir ist; er will dann auch gar nicht nach Hause. Wir unternehmen was, wir gehen zum Angeln oder Pilze Sammeln, oder ich zeige ihm ein paar Tiere, ein paar Vögel, auch im Tierpark war ich mit ihm. Ich frage ihn dann auch: ‘Wozu hast du Lust?’ Schach spielt er wie perfekt. Und dann sind wir auch, wenn wir beide so zusammen sind, richtig zufrieden.”

Einige verspürten das Bedürfnis nach einer möglichst konstruktiven Beziehung zu ihrer Ex-Partnerin, auch um der Kinder wegen das Konfliktpotential so gering wie möglich zu halten: “Ich lege auch ganz großen Wert darauf, daß es nicht zu negativ läuft; ich mach die Frau nicht schlecht und nichts. Gut, wir waren 14 Jahre zusammen, es hat nicht funktioniert, und da jetzt schmutzige Wäsche waschen, das bringt ja nichts. Da leidet nur der Lütte drunter, und das will ich nicht. Das ist ja auch seine Mutter, seine leibliche, und er mag sie ja auch.”

Eine andere Hoffnung wiederum rankte sich um den Aufbau einer neuen liebevollen Beziehung, verbunden mit dem Wunsch nach gemeinsamen Kindern. Hier wurde also die Gründung einer neuen Familie gewünscht.

Hilfen bei der Bewältigung einer ungewollten Trennung von Frau und Kindern

Hilfreiche Erlebnisse konnten von einem Teil der verlassenen Väter auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen konkret benannt werden. Ein Vater beschrieb seine Erkenntnisse so: “…man braucht Menschen, also… auf die man sich praktisch verlassen kann und denen man vertrauen kann. Mit denen muß man sich dann viel unterhalten. Weil… Ich habe das ja ganz anders die erste Zeit gemacht… bin bloß oben gewesen und habe mit keinem anderen gesprochen. Ich habe mich total abgeschottet. Das ist total verkehrt. Man darf sich nicht einigeln…” Eine andere Aussage: “…was mir im Moment sehr viel hilft: Ich fahre dann auch einfach los… je nach dem, wie ich Zeit habe. Ich fahre dann zu einem Bekannten hin, um nur mal zu sprechen, damit das rauskommt… Weil sonst, wenn man das nur in sich reinschluckt, geht man dran kaputt… Also man muß mit jemandem sprechen. Das hilft unwahrscheinlich viel. Ich fahre dann auch irgendwo hin, wo ich auch mitunter 10 Jahre nicht mehr war…”

Auch konnten hilfreiche Hinweise von trennungserfahrenen Vätern hinsichtlich der Bewältigung einer akuten Trennungskrise gegeben werden. Beispielsweise empfahl einer von ihnen: “Nicht aufgeben. Und dann, was mir viel hilft, vielleicht auch jetzt wieder nur für mich, morgens aufstehen, und wenn das auch alles Mist ist, sagen: ‘Guten Morgen, lieber Rolf, hast du gut geschlafen?’ Sich richtig so… sich selber motivieren… Oder was ich den ersten Tag gemacht habe, da, als ich an dem See gesessen habe, da habe ich dann auch mal so vor mich hingerufen – war ja zum Glück keiner da: ‘Es gibt noch so viele schöne Frauen auf der Welt!’ Das was… ich meine, das hat vielleicht nur ein bißchen gebracht, aber das war wohl ganz wichtig…”

Andere berichteten über positive Entwicklungen wie z.B. einer neuen Partnerschaft, aber auch Erfahrungen, die zwar mit Verunsicherungen einhergingen, aber zu bewältigen waren: “…innerlich bin ich jetzt schon, dadurch, daß ich jetzt wieder diese Frau kennen gelernt habe und daß ich mit mir auch so’n bißchen wieder im Reinen bin, was ich jetzt hier wohnungsmäßig so mache… Ich weiß noch nicht genau, in welche Richtung das jetzt weitergeht, aber das was wir besprochen haben (im Interview, Anm. d. Verf.), das ist eigentlich Vergangenheit… Das ist so’n Abschnitt, der ist jetzt erledigt. Ich habe jetzt auch zwischenzeitlich gemerkt, daß die Kinder also nicht negativ darauf reagieren, wenn sie ein Wochenende in K. waren. Das tut zwar nicht richtig weh, aber das ist ein bißchen komisch, wenn mein Sohn jetzt also ganz Feuer und Flamme erzählt, daß der Dieter ein neues Computerspiel hat und er da also die ganze Zeit drauf gespielt hat. Ja das ist ein bißchen merkwürdig so ein Gefühl, aber irgendwie geht es…”

Manche Väter empfanden Resignation: “Aber nun habe ich eben nichts mehr. Keine Frau, keine Kinder und kein Haus mehr. Soll sie auch haben, ich wünsche ihr auch Glück, und jetzt ist das einfach vorbei. Leider ist es so: Die Familie ist kaputt. Für mich gibt es keine Familie mehr.”

Für andere wiederum ergaben sich neue Perspektiven. Beispielsweise empfand ein Vater Hoffnung, daß sich die Dinge zum Guten wenden lassen, auch durch eigenes Zutun: “Man darf sich nicht hängen lassen. Man muß sich da durcharbeiten; wie gesagt, Alkohol, das ist das Schlimmste. Auf keinen Fall Alkohol trinken, das ist ganz wichtig. Sich von ‘guten Freunden’ würde ich mal sagen, fernhalten. Weil… da kommt es leicht, da wird automatisch Bier getrunken. Am besten, wenn die Eltern noch da sind, oder Geschwister, den Kontakt suchen. Weiter zur Arbeit gehen, das ist ganz wichtig. Sobald man die Arbeit noch schmeißt, dann ist das eigentlich schon… Das dauert so ein halbes Jahr, dann fällt man wieder auf die Füße. Von meiner Schwester der Schwager, der ist 57 Jahre, der ist jetzt so glücklich! Der kam vor zwei Jahren von See rein; da war die Hütte total leer geräumt… total, und die hatten richtig tolle Möbel, Antiquitäten und so. Da war alles weg. Ein Bungalow, der hing auch so an dem Haus, das war nun komplett bezahlt, und da mußte er seiner Frau 75.000 EUR geben. Seine Töchter, die haben sich auch von dem Vater abgewandt, na ja, der war fertig mit der Welt. Der war also nur bei meiner Schwester. Und dann hat er nach ‘ner Zeit eine Sekretärin kennen gelernt, auch eine Witwe, und die hat ihn so richtig wieder hochgebracht. Jetzt ist er wieder richtig glücklich, mit 57 Jahren ist er richtig glücklich!”

Schlussbemerkung

Verlassene Väter gibt es in großer Zahl. Die Gefahr, daß Verhaltensweisen dieser Männer falsch verstanden, ihre Signale nicht richtig erkannt und ihre besondere Lebenssituationen nicht angemessen beachtet werden, ist recht groß. Dabei liegt es auch im Interesse der Kinder, daß es hier zu Veränderungen kommt – z.B. dadurch, daß entsprechende Hilfsangebote für verlassene Väter geschaffen werden.

Literatur

  • Pagels, Herbert: Verlassene Väter. Die innerseelische Situation und das Bewältigungsverhalten von Männern nach einer ungewollten Trennung von Frau und Kindern. Dissertation. Hamburg: Universität Hamburg 2002

Autor

Dr. Herbert Pagels war Leiter der Cuxhavener Erziehunsgberatungsstelle von 1984 – 2012. Er ist nun tätig in freier psychotherapeutischer Praxis.

Kontakt

Dr. Dipl. – Psych. Herbert Pagels
Psychologischer Psychotherapeut
Ellhornstrasse 11
21784 Geversdorf
Tel. : 04752 – 84 10 22

Website
E-Mail

 

Erstellt am 8. Juli 2003, zuletzt geändert am 12. März 2015
 

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
Logo: Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz